Ailianos aus Praeneste, Klaudios ÜBER DIE EIGENART VON TIEREN PERI ZOON IDIOTETOS (griech.; Über die Eigenart von Tieren). Siebzehnbändige Kuriositätensammlung aus der Welt des Tierreichs von Klaudios Ailianos aus Praeneste. – Das Werk ist ein charakteristisches Produkt jener vom römischen Hof inaugurierten Neosophistik des 2.Jh.s, die die Wissenschaft zur seichten Bildung und die alte Forschung zur rhetorisch präparierten Unterhaltungslektüre degradierte. Der abstruse und doch wendige Geist des Autors wußte sich diesem Geschmack der Epoche in geschicktem intellektuellem Opportunismus anzupassen. Das Kompositionsprinzip der siebzehn Bücher – die von einem Prolog und einem Epilog gerahmt werden, worin der Verfasser in eigener Sache spricht – ist Buntheit um jeden Preis. Es herrscht ein geradezu hektischer Wechsel der Themen und Tiere – je Buch meist mehr als fünfzig Arten –, und das Ganze mutet wie ein aufregend flimmerndes, im Tempo des Zeitraffers vorgeführtes zoologisches Panoptikum an. Dabei ist nicht nur die Vielzahl der vorgestellten Tiergattungen und -arten frappant, der Autor verblüfft vielmehr auch mit der Breite seines Interesses: Er hält vom Aussehen der Fische, Vögel, Insekten, Vierbeiner usw. bis zu ihren Seelenregungen, von ihren Verhaltensweisen in der Umwelt und untereinander bis zu ihren erotischen Eigenarten (die Skala reicht von rühmlicher Gattentreue bis zum Inzest) so ziemlich alles an Merkwürdigkeiten parat, was damals ein Betrachter mit anthropologisch bestimmten Neigungen über die Lebewesen überhaupt in Erfahrung bringen konnte. Dennoch war Aelian beileibe kein spezialisierter Naturforscher, im Gegenteil: Was er dem staunenden Publikum bietet, ist zum allergrößten Teil eine Sammlung von Lesefrüchten, redigiert von einem ambitionierten Stilisten, der das Ideal einer dem Attizismus verpflichteten künstlichen Schlichtheit an einem möglichst ausgefallenen Objekt ins Wort umsetzen möchte. Da er seine Exzerpte mit großem Fleiß, doch geringer Kritik zusammenstellt, wirkt sein Raritätenkabinett nicht selten befremdlich: so etwa, wenn er, der sein Leben lang nie über Mittelitalien hinauskam, unbedacht von einem Gewährsmann Sätze wie »da sah ich doch in der großen Stadt der Alexandriner einen fünffüßigen heiligen Stier« übernimmt. Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß der heutige Leser, ganz im Gegensatz zu den Zeitgenossen des Autors und seiner unmittelbaren Nachwelt, in Aelianus nur noch den Vermittler von Zitaten älterer Schriftsteller schätzen kann. Der Gedanke von der weisen Zweckhaftigkeit alles Naturgeschehens ist jedenfalls nur ein dünner Kitt, der die einzelnen »Geschichten« notdürftig zusammenhält; den Autor deswegen als tiefsinnigen Repräsentanten stoischer Philosophie aufzufassen, wird niemand mehr in den Sinn kommen. Prof. Dr. Egidius Schmalzriedt AUSGABEN: Leiden 1533 (Es Aeliani historia ... libri XVI; lat. Übers. d. Petrus Gyllius; Ausz.). – Zürich 1556 (Ailianu ta heuriskomena hapanta, Hg. C. Gessner, m. lat. Übers.). – Lpzg. 1864 (De natura animalium libri XVII, Hg. R. Hercher). – Ldn./Cambridge (Mass.) 1958/1959 (On the Characteristics of Animals, 3 Bde., Hg. A. F. Scholfield; m. Bibliogr. u. engl. Übers.; Loeb). ÜBERSETZUNGEN: Thiergeschichte, F. Jacobs (in Werke, Bd. 4–9, Stg. 1839–1842). – Die tanzenden Pferde von Sybaris, Tiergeschichten, Hg. U. u. K. Treu, Lpzg. 1978 [Ausw.]. LITERATUR: W. Schmid, Der Atticismus in seinen Hauptvertretern, Bd. 3, Stg. 1893. – W.Baumann, Quaestiones de animalium historia Aelianeae et Oppianeae I, Diss. Marburg 1912. – Schmid-Stählin, 2/2, S. 788 f. – G. Gossen, Die Tiernamen in Älians 17 Büchern »Peri zoon« (in Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften, 4, 1935, H. 3, S. 128–188). – R. Keydell, Oppians Gedicht von der Fischerei und Aelians »Tiergeschichte« (in Herm, 72, 1937, S. 411–434). – H. Gossen, Aelians »Tiergeschichten« (in Geistige Arbeit, 5/15, 1938, S. 11–12). – E. S. McCartney, Modern Analogues to Ancient Tales of Monstrous Races (in Classical Philology, 36, 1941, S. 390–394). – K. Gerth, Art. Die Zweite oder Neue Sophistik (in RE, Suppl. 8, 1956, Sp. 732–734). – J. Richmond, Chapters on Greek, Fish-Lore, Wiesbaden 1973. – W. Huebner, Der Mensch in Aelians Tiergeschichten (in Antike und Abendland, 30, 1984, S. 154–176). Kindlers neues Literaturlexikon © CD-ROM 2000 Net World Vision GmbH, Buchausgabe Kindler Verlag GmbH