Abwege

-
ein Führer zu den Eltern von Tutankhamun -

[ Forum ]

Erläuterungen zu: Hawass et al., Ancestry and Pathology in King Tutankhamun's Family. JAMA 2010, 303-7

 

Im Februar 2010 publizierten Zahi Hawass, Yehia Z. Gad, Somaia Ismail, Rabab Khairat, Dina Fathalla, Naglaa Hasan, Amal Ahmed, Hisham Elleithy, Markus Ball, Fawzi Gaballah, Sally Wasef, Mohamed Fateen, Hany Amer, Paul Gostner, Ashraf Selim, Albert Zink, und Carsten M. Pusch, im Journal der American Medical Association, Vol. 303, Heft 7, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen an diversen Mumien aus der Amarna-Zeit der 18. Dynastie unter dem Titel "Ancestry and Pathology in King Tutankhamun's Family". Ziel der Untersuchungen war u. a. die Klärung möglicher verwandtschaftlicher Beziehungen.
Die Publikation führte zu einer Reihe von kritischen - und teilweise auch berechtigten - Kommentaren bzgl. der Planung der Untersuchungen aber auch wg. der Interpretation der Ergebnisse. Aus ägyptologischer Sicht finden sich kritische Stellungnahmen in den Publikationen z.B. von D. Forbes, Tutankhamuns Family Ties Full of Knots. KMT 21-3, 2010, S. 19-35, oder kürzlich M. Eaton-Kraus, Mummies (and Daddies), GM 230, 2011, S. 29-36.
Die folgende Betrachtung der Ergebnisse der Untersuchungen von Hawass et al. verzichtet daher auch konsequent auf eine mögliche Namenszuweisung von Personen, d.h. es werden ausschließlich die üblichen Bezeichnungen für die untersuchten Mumien verwendet, wie z.B. "KV35EL" für die ältere Dame aus dem Grabe Amenhotep II. (KV35).
 
Die vorliegende Abhandlung befasst sich außerdem nur mit den Ergebnissen der genetischen Untersuchungen der JAMA-Publikation.

Untersucht wurde Material von folgenden Mumien:
Yuya und Thuya (KV46),
"Elder Lady" aus KV35 (KV35EL),
Amenhotep III. (CG 61074),
Mumie aus KV55 (KV55),
"Younger Lady" aus KV35 (KV35YL),
Tutankhamun (KV62),
die beiden weiblichen Mumien aus KV21 (KV21A und KV21B),
sowie die beiden Totgeburten aus KV62.

Von diesen Mumien ist lediglich die Identität der Mumien aus dem durchwühlten, aber weitgehend intakten Grab KV46 (das sind Yuya und seine Gemahlin Thuya) sowie die von Tutankhamun gesichert. Die Identifizierung der Mumie "Cairo CG 61074" als Amenhotep III. wurde wiederholt in Frage gestellt (s. a. Forbes, loc. cit.) - es muss daher als eindeutiger Fehler in der Versuchsplanung angesehen werden, dass Untersuchungen an den Mumien von Amenhotep II. und Thutmosis IV, also Großvater und Vater von Amenhotep III., nicht eingeplant worden sind.

Für genetische und anatomische Vergleiche wurden weitere Mumien aus der 18. Dynastie herangezogen, darunter die Mumie "Cairo CG61065" (früher als Thutmosis I. identifiziert, inzwischen wird diese Identifikation zurückgewiesen), die Mumie von Thutmosis II. (= Cairo CG61066), die beiden Mumien aus KV60 (KV60A = Hatschepsut und KV60B = Sat-Ra), die Mumie der Ahmose-Nefertari (= Cairo CG61055). Von diesen Vergleichsmumien wurden keinerlei genetische Daten in der Publikation explizit aufgeführt.
 
Die möglichen verwandtschaftlichen Verhältnisse wurden mittels der genetischen Fingerabdrucke bestimmt. Diese Technik findet auch in der modernen Forensik Anwendung.
Bei diesen genetischen Fingerabdrucken werden sogenannte Mikrosatelliten untersucht. Dies sind Abschnitte (Genorte) auf einem Chromosom, die sogenannte "Single Tandem Repeats (STR)" enthalten, kurze Sequenzen der Erbsubstanz (DNA), die sich mehrfach wiederholen. Die biologische Bedeutung dieser Abschnitte ist unbekannt. Für die Erstellung eines genetischen Fingerabdruck werden 8 - 15 solcher Mikrosatelliten verwendet. Das Team um Hawass hat für acht verschiedene Genorte (Gen-Locus, pl. Gen-Loci) auf unterschiedlichen Chromosomen die Anzahl der Wiederholungen der dort vorhandenen "Single Tandem Repeats" bestimmt (sofern möglich).
Da das menschliche Genom von jedem Chromosom (mit Ausnahme der Geschlechtschromosomen) immer zwei identische besitzt, ist jeder untersuchte Genort doppelt vorhanden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch an einem solchen Gen-Locus eine unterschiedliche Anzahl von Wiederholungen (STRs) auf seinen beiden Chromosomen besitzt, ist ziemlich hoch - man sagt, dass dann zwei unterschiedliche Ausprägungen (Allele) des Genortes vorliegen. Noch höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Personen für den gleichen Genort eine unterschiedliche Anzahl von Wiederholungen aufweisen.
 
Die jeweilige Anzahl der gefundenen Wiederholungen für jeden der acht untersuchten Genorte wurde von Hawass et al. in der folgenden Abbildung 1 (Figure 1) der Publikation dargestellt. Thuya hat demnach auf dem Chromosom D13 am Genort "D13S317" 9 und auf dem anderen 12 Wiederholungen.
 

Figure 1 aus: Hawass et al., Ancestry and Pathology in King Tutankhamun's Family. JAMA 2010, 303-7

 
Für das Erkennen verwandtschaftlicher Beziehungen ist diese tabellarische Darstellung der Wiederholungen an den einzelnen Genorten (Allelen) eher weniger gut geeignet. Daher wurden in den folgenden Abbildungen die möglichen Kombinationen der gefundenen Allele für jeden Genort für bestimmte Mumien-(Personen-)Kombinationen dargestellt.
In der Abbildung 1 werden für jeden Genorte die von Hawass et al. bei Yuya und Thuya gefundenen (vgl. Figure 1) und die möglichen Allelkombinationen für Nachkommen (eingerahmt) der beiden aufgeführt:

 

Bild 1: Iufaa

Grundsätzlich gilt: beide Elternteile geben jeweils nur eines ihrer 2 Chromosom - also auch nur eines der 2 Allele - an ihre Nachkommen weitergeben. Welches Chromosom weitergeben wird, ist zufallsabhängig. Bei den 2x2 Allelen für jeden Gen-Locus der Eltern sind daher insgesamt 4 Kombinationen bei den Kindern möglich, d.h. das Allel von Yuya am Genort D13S137 mit 11 Wiederholungen kann mit entweder mit dem Allel mit 9 Wiederholungen oder mit dem mit 12 Wiederholungen von Thuya kombiniert bei einem ihrer Kinder auftreten, usw.
Die Grün unterlegten Kombinationen zeigen nun, dass sich für jeden Gen-Locus eine Kombination findet, die auch bei der Dame "KV35EL" (Grün markierte Felder) auftritt. Daraus folgt, dass diese Dame mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Tochter von Thuya und Yuya ist! Hawass et al. geben im - nur online verfügbaren - Supplement zum JAMA-Paper die statistische Wahrscheinlichkeit für diesen Fall mit 99.99999929% an!
 
Da die Quellen für Yuya und Thuya über keine weitere Tochter außer der Gemahlin Amenhotep III., Tiye, berichten, muss man aus ägyptologischer Sicht die "KV35EL" als diese Königin identifizieren. Folglich ist es interessant, die möglichen Allelkombinationen für mögliche Nachkommen von Amenhotep III. (Cairo CG61074) und der Dame "KV35EL" zu betrachten. Die möglichen Allelkombinationen sind in der nächsten Abbildung dargestellt:

  Bild 2: Iufaa

Die möglichen Allelkombinationen, die bei Kindern von Amenhotep III. und KV35EL auftreten könnten, zeigen nun für jeden Gen-Locus eine Übereinstimmung mit den Allelkombinationen, die bei der Mumie KV55 (Gelb markierte Felder) und der der Dame "KV35YL" (Blau markierte Felder) gefunden wurden. Somit sind beide Personen Sohn bzw. Tochter von Amenhotep III. und "KV35EL". Hawass et al. geben im Supplement die statistische Wahrscheinlichkeit für Amenhotep III. und KV35EL als Eltern von KV55 mit 99.99999964% an - für die Elternschaft bzgl. der KV35YL wird in der Publikation bedauerlicherweise keine Wahrscheinlichkeit aufgeführt. Dennoch dürfte der Schluss, dass KV35YL eine Tochter von A. III. und KV35EL - und somit eine Schwester von KV55 - ist, eine vergleichbare stat. Wahrscheinlichkeit aufweisen.
 
Betrachtet man nun die möglichen Allelkombinationen, die bei gemeinsamen Kinder des Mannes aus KV55 und der Dame "KV35YL" auftreten können (siehe folgenden Abbildung), so fällt ins Auge, dass für jeden Gen-Locus eine Kombination möglich ist, die auch bei Tutankhamun auftritt (Orange markierte Felder).

  Bild 3: Iufaa

Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass KV55 der Vater von Tutankhamun ist, beträgt lauft Supplement zur JAMA-Publikation 99.99999981%, die für KV35YL als Mutter wird mit 99.99999997% angegeben. Die Eltern von Tutankhamun sind somit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gefunden, aber (noch) nicht identifiziert.
 
Die übrigen Mumien der Hauptgruppe, die beiden Damen aus KV21 und die beiden weiblichen, totgeborenen Foeten aus Tutankhamuns Grab (KV62), weisen bei mehreren Genorten Datenlücken auf, d.h. bei einigen Genorten konnte nur die Zahl der Wiederholungen für ein Chromosom bestimmt werden, bei anderen Genorten konnten für beiden Chromosomen keine Wiederholungen ermittelt werden.
Die folgende Abbildung zeigt die möglichen Allelkombinationen für gemeinsame Kinder von Tutankhamun und der Dame KV21A. Für die von Hawass et al. bei KV21A gefundenen Datenlücken stehen - hier und in den folgenden Abbildungen - die Buchstaben x und y. Hellblau unterlegte Felder markieren dabei Allelkombinationen oder einzelne Wiederholungen an, die auch beim Foetus 1 gefunden wurden. In gleicher Weise markieren violette Felder Übereinstimmungen mit den Allelen, die beim Foetus 2 gefunden wurde.

  Bild 4: Iufaa

Der Vergleich der Allelkombinationen der beiden Foeten mit den möglichen Kombinationen für gemeinsame Kinder von Tutankhamun und der Dame KV21A deutet mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Tutankhamun als Vater der Foeten hin. Hawass et al. geben im Supplement zur JAMA-Publikation die statistische Wahrscheinlichkeit für Tutankhamun als Vater der Beiden mit 99.97992885% für den Foetus 1 und 99.99999299% für Foetus 2 an.
Trotz zahlreicher Übereinstimmungen bei den Allelen, die an den verschiedenen Genorten bei der Dame KV21A und bei den Foeten gefunden wurden, reichen die lückenhaften Daten nicht für eine statistische Auswertung aus - die Dame KV21A könnte die Mutter sein, aber statistisch ist das anhand der vorliegenden Daten nicht zu sichern.
Die Übereinstimmungen der Allelkombinationen der beiden Foeten mit denen, die möglicherweise bei Kindern auftreten könnten, wenn Tutankhamun der Vater und die Dame KV21B die Mutter wären, sind noch geringer als bei den möglichen Eltern Tutankhamun und KV21A (man vergleiche z.B. die Zahl der markierten Doppelfelder mit denen in Bild 4; hier in Bild 5 gibt es nur einen "Treffer" beim Foetus 2 im Genort D16S539, im Gegensatz zu insgesamt 4 Treffer für beide Foeten in Bild 4). Die folgende Abbildung zeigt die übliche Übersicht.

  Bild 5: Iufaa

Für diesen Erbgang geben Hawass et al. ebenfalls keine statistische Auswertung an.
 
Zusammenfassung
Der Familienstammbaum lässt sich anhand der "genetischen Fingerabdrucke" aus acht Genorten von Yuya und Thuya bis zu Tutankhamun mit an Sicherheit grenzender statistischer Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. Auch die Möglichkeit, dass Tutankhamun der Vater der beiden totgeborenen Mädchen aus seinem Grab KV62 ist, kann trotz der Datenlücken im Fingerabdruck der beiden Foeten noch als wahrscheinlich angesehen werden.
Die Hypothese, dass die Dame KV21A die Mutter der beiden Foeten ist, lässt sich dagegen aufgrund der Datenlücken nicht statistisch absichern.
 
Eine detaillierte Betrachtung der Daten zeigt außerdem, dass aufgrund der möglichen Allelkombinationen im Locus D7S820 (eingerahmt), die bei Tutankhamun, der Dame KV21A, und den beiden Foeten auftreten, der Mann aus KV55 nicht der Vater der Dame KV21A sein kann. Im Gegensatz zu allen anderen Genorten ist es beim Locus D7S820 möglich, die fehlende Allelkombination für KV21A zu rekonstruieren (siehe folgende Abbildung und folgende Erläuterung).

  Bild 6: Iufaa

Unter der Annahme, dass beide Foeten Kinder von Tutankhamun und KV21A sind, muss die Mutter dann über die Allelkombination [13 / 6] verfügt haben. Da beide Elternteile je ein Allel beisteuern - Tutankhamun also wahlweise ein Allel mit 15 oder eines mit 10 Wiederholungen - sind die Allelkombinationen [10 / 13] beim Foetus 1 und [15 / 6] beim Foetus 2 nicht anders zu erklären.
Die Allelkombination [13 / 6] schließt übrigens aus, dass der Mann aus KV55 der Vater von KV21A sein könnte, denn der hat im Locus D7S820 die Allelkombination [15 / 15]. Wenn man die Dame KV21A als Anchesenamun, Tochter Echnatons, identifiziert, dann kann -anders als von Hawass et al. behauptet - KV55 nicht Echnaton sein.
Auf diese Diskrepanz hat bereits K. Philzackerley in ihrer Internetpublikation "DNA shows that KV55 Mummy is probably not Akhenaten." hingewiesen.
Allerdings ist dieser Schluss abhängig von der Annahme, dass KV21A eine Tochter von Echnaton und außerdem die Mutter der beiden Foeten ist - beides ist nicht gesichert.
 
 
Eingestellt durch: Iufaa

Bearbeitet am: 02.09.2011