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Ausgrabungen in Amarna
B. Kemp berichtet in einem Interview mit Archaeology
Iufaa am 02.10.2006 um 16:11:31

Auf der online-Seite der Zeitschrift Archaeology1 berichtet B. Kemp von der Universität Cambridge, UK, der seit 1977 das Amarna-Projekt leitet, in einem Interview über die aktuellen Erkenntnisse aus den Ausgrabungen in Tell-el-Amarna. Hier die wesentlichsten Fragen und Antworten in einer Zusammenfassung.

Was passierte nach dem Tode von Echnaton? Wurde die Stadt weiter benutzt?
Es gibt u.a. schriftliche Hinweise, aber auch einen von Haremhab im Großen Aton-Tempel errichteten Schrein, die belegen, dass die Stadt bis in die Zeit von Tutankhamun benutzt wurde. Unter Haremhab begann allerdings der Abriss und der Abtransport von Baumaterial, das anderenorts weiter verwendet wurde. Wie sich die anwesende Einwohnerschaft dazu stellte, ist nicht bekannt. In vielen Fällen waren  diese in irgendeiner Weise an den königlichen Haushalt gebunden, so dass sie nicht selber entscheiden konnten, wo sie leben wollten. Sobald die Verwaltungseinrichtungen die Stadt verließen, dürfte es schwierig gewesen sein, eine ausreichende Anzahl von Einwohnern zu halten, die für eine funktionierende Siedlung notwendig waren - man darf nicht vergessen, es gab keine natürlichen Gründen, gerade dort eine Stadt zu errichten.

Gab es eine andere soziale Schichtung in Amarna im Vergleich zu anderen Städten? Wie unterschied sich die Stadt von anderen Hauptstädten - gab es mehr Bürokraten, mehr Militär, ect.?
Diese Frage lässt sich nicht beantworten, da Vergleichsmaterial fehlt. Offensichtlich hat sich Echnaton auf die traditionellen Verwaltungsstrukturen verlassen, aber es fehlen praktisch alle Verwaltungsdokumente, die sich mit den internen Vorgängen des Landes befassen. Völlig ungeklärt ist die ökonomische Rolle des Aton-Tempels mit seiner ungeheuer großen Anzahl an Opfertischen.
Schon früher ist aufgefallen, dass in den Szenen aus dem königlichen Leben zahlreiche Soldaten dargestellt sind - und man darf nicht vergessen, dass es das Militär war, das vom Scheitern des Armarna-Reiches profitierte, nicht die Priester. Über Haremhab gelangte die Macht schließlich in die Hände einer Soldatenfamilie aus dem Delta.

Die Häuser der Mittel- und Oberklasse sehen in Amarna, im Vergleich zu Häusern in Theben oder Memphis, eher wie Landhäuser aus. Lässt dies irgendwelche Aussagen über die Herrschaft Echnatons zu?
Dies ist offensichtlich eine falsche Vorstellung. Bereiche von Amarna waren durchaus dicht bebaut und engten auch die Wohnbereiche der reicheren Leute ein. Offensichtlich war es [aus Platzmangel] üblich, mehrgeschossig zu bauen. Andererseits entwickelten sich auch Theben und Memphis im NR sprunghaft, so dass man annehmen kann, dass auch sie eine aufgelockerte Besiedlungsstruktur annahmen, als in früheren Zeiten. Solange es nicht mehr Kenntnisse über diese Orte gibt, sind viele Vorstellungen über das Leben reine Projektion.

Deuten die archäologischen Daten - Stadtplannung, Hausbau, etc. - darauf hin, dass die Arbeiter in Amarna anders lebten als die in Deir el-Medinah?
Nun, das Leben in Deir el-Medinah ist sehr gut belegt für die ramessidische Zeit, aber wir wissen wenig über Deir el-Medinah in der 18. Dynastie. Es gibt bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen Deir el-Medinah und der Arbeitersiedlung von Amarna - beim Siedlungsplan und bei der Mehrzal der gefundenen Artefakte. Ob man daraus aber Schlussfolgerungen über das soziale Leben ziehen kann, ist eher eine Frage der persönlichen Überzeugung.  

Was ergaben die Ausgrabungen auf dem Friedhof der ärmeren Bevökerung?
Damit haben wir gerade erst angefangen. Das erste Ergebnis ist, dass ein ansehnlicher Teil der Einwohner, die in Armarna verstarben, dort beigesetzt und auch dort bei der Aufgabe der Stadt belassen wurden. Die bisher geöffneten Gräber sind ärmlich ausgestattet, mit wenig Beigaben, und wahrscheinlich keine Mumifizierung der Verstorbenen. Die Bestattungsgebräuche der einfachen Bevölkerung sind im NR wenig belegt, unserer Ausgrabungen werden dazu sicher einiges beitragen können. Der größere wissenschaftliche Nutzen liegt allerdings in den Knochen - sie stammen alle aus einem engen Zeitfenster, von Leuten, die dort gelebt und sich möglicherweise sogar gekannt haben. Aber die Funde erzählen bereits jetzt eine düstere Geschichte - von einem harten und kurzen Leben.

Aus anderen Gebieten Ägyptens wird immer wieder über Grundwasserprobleme und Beschädigung der antiken Denkmäler durch die hohe Touristenzahl berichtet. Wie ist die Situation in Armarna?
Es gibt ein Problem mit dem steigenden Grundwasser, aber die Lage ist nicht so kritisch, wie anderenorts. Darüber hinaus gibt es immer wieder Versuche der lokalen Behörden, Siedlungsbereiche und Friedhöfe auf Kosten der antiken Fundorte auszudehnen - bisher hat es die Altertümerverwaltung geschafft, dies abzuwehren.
Bedingt durch die Sicherheitsmassnahmen für Mittelägypten hält sich die Besucherzahl in Grenzen und frei rumlaufen darf man auch nicht. Andererseits würde eine höhere Besucherzahl sicher dafür sorgen, dass die Gegend nicht vernachlässigt wird. Das im Bau befindliche Amarna-Museum wird sicher zusätzliche Besucher anlocken und damit zum Erhalt der antiken Stätten beitragen. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, was für die antiken Denkmäler besser wäre: Restaurieren und den Besuchern zugänglich machen, oder alles wieder zuschütten.

Haben Echnatons Aktionen - neue Religion, neuer Kunststil, neue Hauptstadt - das tägliche Leben der Ägypter beeinflusst
Natürlich hat der Umzug in eine neue Hauptstadt das Leben der Betroffenen beeinflußt - es war schließlich eine wenig komfortable und einladende Gegend, ein Landstrich in der Wüste, der erst bewohnbar gemacht werden musste. Inwieweit die neue Religion das Leben beeinflusst hat, ist eines der Thema des Forschungsprojektes.
Auf der einen Seite stehen die Tempel des Aton mit Hunderten von Opfertischen. Ob sie ein Zeichen dafür sind, dass Echnaton dabei größere öffentliche Vorteile im Auge hatte - das ist eine attraktive Überlegung,  aber schwer zu überprüfen.
Auf der anderen Seite finden sich in Amarna mehr Belege für einheimische Kulte als in anderen Orten (Deir el-Medinah in ramessidischer Zeit mal ausgenommen) - und die standen sicher nicht im Fokus der Echnaton´schen Ideen. Die Belege einheimischer Kulte ist so weitreichend, das man annehmen muss, dass die Einwohner einen akzeptablen Querschnitt durch die Bevölkerung darstellten. Angesichts der Dichte der Häuser und der Nähe zu Häusern von Offiziellen ist es nicht plausibel anzunehmen, dass diese Glaubensvorstellungen und Praktiken im Untergrund und versteckt ausgeübt wurden.

Die Wahrnehmung Echnatons hat sich im Laufe der Zeit in der Wissenschaft immer wieder verändert - vom Visionär zum Tyrann. Hat Ihnen die Arbeit in Amarna einen Einblick in seinen Charakter erlaubt?
Ich war eigentlich immer mehr an dem Ort als an seiner Person interessiert, aber ich komme natürlich auch nicht darum herum, mir eine Meinung zu bilden.
Allerdings denke ich, es ist unmöglich, seinen Charakter zu kennen. Er hatte eine Vision, von einer neuen Stadt und einem neuen Kult, daher ist der Begriff "Visionär" sicherlich zutreffend. Ihn einen Tyrann zu nennen, dafür sehe ich keine Beweise. Alle Könige hatten absolute Macht und wir haben keine Belege, aus denen hervorgeht, dass Echnaton seine Höflinge oder Leute anders behandelt hätte als andere Könige. Nachfolgende Könige haben ihn hart verurteilt, aber die haben ihre eigene Legende. Uns fehlen Aussagen unabhängiger Zeugen seiner Regierungszeit im Vergleich zu anderen Zeiten.



1: http://www.archaeology.org/online/interviews/kemp.html


http://www.aegyptologie.com/forum/cgi-bin/YaBB/YaBB.pl?action=newsshow&ntag=061002161131

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