Ägyptologie-Blatt

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2500 Jahre alte Gerstenkörner aus Ägypten
Kornmumie in Ulm
Von Gitta am 09.06.2003 um 00:52:09 

Grossaufnahmen spriessender Spelzgerste in Kornmumie

Das Ulmer Brotmuseum nennt eine ägyptische Mumie sein eigen. Es handelt sich aber nicht um eine menschliche Mumie, sondern um eine sogenannte Kornmumie. Der hölzerne Miniatursarg von knapp einem halben Meter Länge stammt aus der ägyptischen Spätzeit und entstand um etwa 600 v. Chr. Er setzt sich aus zwei Teilen zusammen, Boden und Deckel, und ist mit schwarzblauem Pech bemalt. Der falkenförmige Kopf ist mit Blattgold belegt; der Sarg stellt damit das Abbild des Totengottes Sokar aus Memphis dar.

Im Sarginnern ruht die «Mumie». Der leinenumhüllte Körper hat weder Arme noch Beine, der Kopf ist nur schwach angedeutet. Der grau-beige gefärbte Leinenstoff ist durch Bitumen versteift, so dass der Inhalt nicht ertastet werden kann. Auf dem Kopfteil sitzt eine braune Wachsmaske mit menschlichen Gesichtszügen und einer Haube. Eine Uräusschlange auf der Stirne und Straussenfedern auf beiden Seiten kennzeichnen die Haube als königlich-göttlichen Kopfschmuck. Die Maske symbolisiert den Gott Osiris.

Aufgrund von Analogien bezeichnete man die kleine Mumie als Kornmumie, ohne allerdings zu wissen, was der Leinensack genau enthielt. Um das herauszufinden, ohne ihn öffnen und damit beschädigen zu müssen, wurde er nun mit der Spiral-Computertomographie untersucht. Diese Technik ermöglicht eine radiologische Analyse und verschiedene zwei- und dreidimensionale Rekonstruktionen. Anders als bei der traditionellen Computertomographie, die das Untersuchungsobjekt Schicht für Schicht abtastet, wird mit der Spiral-Tomographie der Gegenstand kontinuierlich durch ein Röhrendetektorsystem gezogen, das sich in ständiger Rotation befindet. Es entstehen axiale Bilder, die dem Beobachter schliesslich ermöglichen, wie mit einem winzigen Flugzeug kreuz und quer durch das Objekt zu «fliegen» und Aufnahmen von verschiedensten Ebenen und Ansichten zu erstellen.

Natürlich interessierte bei der Untersuchung, die an der Universitätsklinik Ulm unter der Leitung von Wolfgang Pirsig und Roman Sokiranski durchgeführt wurde, in erster Linie der Inhalt des Leinensacks. Es konnten aber auch andere erstaunliche Details sichtbar gemacht werden: So sind mit dieser Methode beispielsweise die Jahrringe des Sargholzes zählbar, oder es wurde erkennbar, dass die Holzoberfläche mit einer glättenden Kreideschicht überzogen war, die als Unterlage und Grundierung für die Pechbemalung und die Goldauflage diente.

Die Analyse des Sackinhaltes ergab zwei Komponenten: Erde, vermutlich Nilschlamm, und Getreidekörner. Die Grossaufnahmen der Körner, die von den Forschern als sensationell bezeichnet werden, ermöglichten es dem Paläobotaniker Hans-Peter Stika vom Institut für Botanik an der Universität Hohenheim, rund 50 Messungen vorzunehmen. Die Querschnitte und Seitenansichten der Körner erlaubten die nähere Bestimmung der Getreideart: Es handelt sich um Spelzgerste, eine besonders rasch spriessende Sorte. Einige Körner zeigten auch bereits Keimlinge, so dass anzunehmen ist, dass die Erde vor dem Verschliessen des Sarges eine Weile feucht gehalten worden war.

Getreide war schon im alten Ägypten das wichtigste Nahrungsmittel, aus dem Brot und Bier hergestellt wurden. Es verkörperte aber auch im Kleinen den ewigen Zyklus von Tod und Wiedergeburt. Das Schicksal der Toten ist mit dem Schicksal der Getreidekörner vergleichbar. Damit im Zusammenhang steht Osiris, Gott der Fruchtbarkeit und des Ackerbaus einerseits und Gott des Totenreichs andererseits. In ägyptischen Königsgräbern verbreitete sich im Neuen Reich (ab 1550 v. Chr.) deshalb der Brauch, sogenannte Osirisbetten aufzustellen. In eine Hohlform aus Ton oder Holz in Gestalt des Osiris wurden Nilschlamm und Getreidekörner gefüllt und das Ganze bewässert, bis die Körner keimten: So spross aus dem Leib des toten Osiris neues Leben. Diese Figuren blieben ein Jahr lang in den Kulträumen der Gräber und wurden dann durch neue ersetzt. Bei der Ulmer Sokar-Osiris-Kornmumie scheint es sich nun um eine jüngere Variante dieses Totenbrauchs zu handeln.

Geneviève Lüscher

Quelle: Antike Welt 2, 137-142 (2003).
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Quelle
http://www.nzz.ch/2003/06/04/ft/page-article8VXSZ.html



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Kommentare zu diesem Artikel
amiralaila09.06.2003 um 15:24:16
In eine Hohlform aus Ton oder Holz in Gestalt des Osiris wurden Nilschlamm und Getreidekörner gefüllt und das Ganze bewässert, bis die Körner keimten: So spross aus dem Leib des toten Osiris neues Leben. Diese Figuren blieben ein Jahr lang in den Kulträumen der Gräber und wurden dann durch neue ersetzt.

Auch im Grab Tut-Anch-Amuns wurde eine solche Kornmumie gefunden. Ich frage mich nun, wie die Körner in der Dunkelheit des verschlossenen Grabes überhaupt keimen konnten? Oder blieb das Grab so lange offen, bis sie gekeimt hatten?



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