Ägyptologie-Blatt

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Kämmten sich die alten Ägypter?
Der Berliner Archäologe Dietrich Wildung über die zeitgemäße Präsentation von Kulturgeschichte
Von Gitta am 03.09.2003 um 23:37:35 

Jedes Jahr sind für über eine Million Berlin-Touristen der Pergamonaltar im Pergamonmuseum und die Nofretete des Ägyptischen Museums in Charlottenburg die Hauptattraktionen. In wenigen Jahren sollen diese Kostbarkeiten auf der Berliner Museumsinsel zu bewundern sein in einer „Archäologischen Promenade“, die durch 4 000 Jahre Kulturgeschichte führt. SZ sprach mit Prof. Dietrich Wildung, Direktor des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung Berlin, über eine neue Form der Zusammenarbeit von Sammlungen, wie sie auch für Sachsen interessant sein könnte.

Für die von Ihnen geplante Archäologische Promenade müssen verschiedene Museen ihre besten Stücke hergeben. Haben Sie sich darum sehr gestritten?

Im Gegenteil. Wir haben es in einem sehr behutsamen und langen Diskussionsprozess geschafft, dass alle im Bereich Archäologie tätigen Museen sich zu diesem gemeinsamen Konzept zusammenfanden. Die Sammlungen vereinen sich unter thematischen Gesichtspunkten, ohne die Autonomie und die Tradition der einzelnen Häuser in irgendeiner Weise in Frage zu stellen oder gar aufzuheben.

Welche zwingenden Gründe gab es dafür?

Es war eher die Lust, eine sinnvolle und zeitgemäße Präsentationsform alter Kulturen zu entwickeln. Wir beobachten in den stark besuchten Häusern – das Pergamon-Museum hat 850 000, das Ägyptische Museum 350 000 Besucher im Jahr –, dass unsere Gäste immer weniger historisches Wissen mitbringen. Infolge dessen sind sie kaum am historischen Detail, an der präzisen Datierung des Stückes interessiert als vielmehr am inhaltlichen Kontext der Objekte und an so banalen Fragen, ob sich die alten Ägypter schon die Haare gekämmt haben. Aktuelle Themen waren in der Regel vor 4 000 Jahren schon relevant. Das wird anschaulich, wenn man sie nicht getrennt Kultur für Kultur abhandelt, sondern wenn sich Museen zusammentun und Themen wie Sprache und Schrift, Chaos und Kosmos, Tod und Verklärung erörtern, indem sie aus den verschiedenen Bereichen repräsentative Werke ausstellen.

In Sachsen gibt es seit anderthalb Jahren eine ähnlich gelagerte Debatte, die längst nicht so friedlich abläuft. Ein Haus der Archäologie soll in Chemnitz eingerichtet werden mit antiken Beständen der Dresdner Skulpturensammlung.

Auch in Dresden sind die Sammlungen so unendlich reich, dass die Staatlichen Museen ja schon ihre Bereitschaft erklärt haben, mitzuwirken an einer sinnvollen, fächerübergreifenden Präsentation. Meiner Ansicht nach sollte das Haus der Archäologie in Chemnitz in erster Linie die regionale Geschichte darstellen. Insofern frage ich mich, ob es sinnvoll ist, bis in den Mittelmeerraum und nach Ägypten auszugreifen. Ich stelle es mir sehr interessant vor, dass die spezifisch sächsischen Funde aus der Vor- und Frühgeschichte durch analoges Material aus anderen Bundesländern sowie aus Polen und Tschechien aussagekräftig werden.

Das hieße, andere Länder um Hilfe zu bitten.

Von diesem Gedanken ausgehend, habe ich vorgeschlagen, dass Berlin durch langfristige Leihgaben zum Haus der Archäologie in Chemnitz beiträgt. Wir haben aus Dresden bereits eine erste positive Reaktion erhalten. Das ist übrigens nicht ganz neu. Da die Bundesländer die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mitfinanzieren, hat die Stiftung im Gegenzug schon zum zweiten Mal einen Angebotskatalog erarbeitet mit Ausstellungen, die sich jedes Regionalmuseum ins Haus holen kann – zu vernünftigen Konditionen, versteht sich.

Wie kommen Sie darauf, dass das auch beim Haus der Archäologie funktionieren könnte?

Bei der Jahrestagung der regionalen Museumsverbände der BRD haben wir auch über solche Möglichkeiten der Zusammenarbeit gesprochen. Es war ein allgemeines Interesse der einzelnen Landesverbände festzustellen, an diesem Projekt mitzuwirken. Das könnte sogar vorbildhaft für Museen in anderen Bundesländern werden.

Das vorläufige Konzept für das Haus der Archäologie, das man im Internet einsehen kann, hat einen anderen Ansatz: Sachsen misst sich an den antiken Hochkulturen.

Ein punktueller Vergleich anhand einzelner ausgewählter Objekte kann erhellend sein. Aber er dürfte nicht zum Vorteil der Bestände des sächsischen Landesmuseums ausfallen. Ich würde das nicht zum Thema eines solchen Hauses machen, weil es auch nicht Hauptthema der sächsischen Landesarchäologie ist. Es gibt eine Aufgabenverteilung aufgrund gewachsener Strukturen, und ich sehe keinen Grund, daran fundamental zu rütteln. Ein Museum lebt nicht nur von seinen Beständen, sondern auch von seiner Geschichte. Die Dresdner Sammlungen waren und sind mit den Berliner und den Münchener Sammlungen maßgebend für die Entwicklung des Museumswesens in Deutschland und in Europa. Das ist eine Größe für sich, die setzt man nicht aufs Spiel.

Das Haus der Archäologie will zu seiner eigenen noch große Sonderausstellungen nach Chemnitz holen, die bisher an Sachsen vorbeigegangen sind.

Das ist eine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Aber es wird schon aus finanziellen Gründen kaum ein flächendeckendes Programm über Jahre sein können. Mittelgroße Projekte überschreiten schnell die Million-Euro-Grenze. Im Bereich Vor- und Frühgeschichte liegt unendlich viel Material in den Depots oder vor der Haustür, so dass durch wechselnde Themenstellungen immer wieder reizvolle Möglichkeiten für Veränderungen gegeben sind. Ein Museum bleibt dadurch aktuell und begibt sich nicht in den Zwang, im Karrussell der kaum noch finanzierbaren Großausstellungen mitzuspielen.

Sparpotenzial sieht Sachsens Landesarchäologin Judith Oexle vor allem beim Personal: Ticketautomaten und Überwachungskameras sollen in Chemnitz die Aufsichten ersetzen.

Es ist fragwürdig, ob auf diese Weise tatsächlich Kosten gespart werden. Im Pariser Louvre glaubte man auch, auf die Ticketverkäufer verzichten zu können. Aber die Besucher standen hilflos vor den Automaten, und die Warteschlangen wurden endlos. Diese Technik ist außerdem sehr anfällig. Für mich verliert ein voll automatisiertes Museum an Atmosphäre.

Gespräch: Birgit Grimm

Quelle
http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=518650



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