Ägyptologie-Blatt

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Gynäkologie und Frauenheilkunde im Alten Ägypten
Seminarbericht
Von Gitta am 15.08.2005 um 22:34:22 

Interdisziplinäres Seminar der Philipps-Universität Marburg am 16. und 17. Juni 2005

Gut zwanzig Ägyptologen, Mediziner und am Thema Interessierte folgten der Einladung, am 3. Marburger Treffen zur Altägyptischen Medizin mit dem Schwerpunkt Gynäkologie teilzunehmen. Veranstalter war die Fakultät der Ägyptologie mit Professor Dr. Rainer Hannig, unterstützt von der Universitätsstiftung und dem Marburger Förderverein Ägyptologie e.V. Die Marburger Haus- und Grundstücksverwaltung hatte zu diesem Anlass Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Und so tagte man in einem wunderschönen alten, aber mit aller Technik ausgestatteten Gemäuer eines ehemaligen Weinlagers. In Anbetracht der hochsommerlichen Temperaturen war man dankbar und froh, dass die heißen Diskussionen in wohltemperierter Umgebung stattfanden, während es in den Pausen die Gelegenheit gab, in mittelalterlichem Ambiente entlang der alten Stadtmauer Sonne zu tanken.

Man hatte es sich zum Ziel gesetzt, in Form eines interdisziplinären Seminars zu untersuchen und zu diskutieren, inwieweit die publizierten deutschen Übersetzungen der altägyptischen medizinischen Texte einer philologischen Prüfung standhalten und ob anhand der vor Jahrtausenden niedergeschriebenen Untersuchungsmethoden, Diagnosen und Therapien Rückschlüsse auf heute noch bekannte Krankheitsbilder gezogen werden können. Zu diesem Zweck kamen 22 Texte aus den medizinischen Papyri auf den Prüfstand. Nach Verlesung der deutschen Übersetzung wurde aus philologischem und medizinisch-inhaltlichem Blickwinkel  interaktiv diskutiert.

Zur Gynäkologie und Frauenheilkunde finden sich Texte in diversen altägyptischen Papyri, von denen einige Grundlage der Textauswahl waren: Sehr fachbezogen ist der Medizinische Papyrus Kahun aus dem Mittleren Reich (um 1850 v.Chr.);  er wird als Fachbuch für Gynäkologie betrachtet. Der Papyrus Edwin Smith aus der Zeit um 1550 v.Chr. (Neues Reich) enthält neben Behandlungshinweisen für verschiedenste Leiden auch einige zur Frauenheilkunde. Die bekannteste medizinische Handschrift, der Papyrus Ebers mit einer Höhe von 30 cm und einer Länge von ca. 20 m wird wie der Papyrus Edwin Smith in das Neue Reich datiert. Er enthält mehr als 50 gynäkologische Einträge. Und schließlich wäre da noch der Medizinische Papyrus Berlin 3038 (um 1250 v.Chr.), der den Papyrus Ebers inhaltlich ergänzt. Nach der Eröffnung der Veranstaltung durch Professor Hannig referierte Dr. Petra Vomberg über Geschichte, Zustand, Aufbau und Inhalte eben dieser Papyri.
Dr. Petra Vomberg erläutert die medizinischen Papyri


Gleich zu Beginn der Textbearbeitung wurde deutlich, dass sich in die weithin publizierte deutsche Übersetzung ein grober Fehler eingeschlichen hat, nämlich die durchgängige Verwechslung von Vulva mit Vagina. Wenn es zum Beispiel im Zuge einer Behandlung heißt "... werde in ihre Vulva gegeben ...", dann ist selbst jedem Laien klar, dass diese Wortwahl mehr als unpassend ist. Beim Einstieg in den Papyrus Kahun trifft  man in der Einleitung zu den einzelnen Textpassagen auf den Begriff
(SsAw)
- vielleicht auch ein sprachlicher Stolperstein. SsA bedeutet "erfahren, kundig, bewandert" und wird in den Übersetzungen als "Heilkunde" substantiviert. Ob damit der Intention der alten Ägypter wirklich entsprochen wird, kann zumindest in Frage gestellt werden. Der von einem Seminarteilnehmer vorgeschlagene Ausdruck „Fallbeispiel“ kommt dem vielleicht näher, kann jedoch sprachlich nicht begründet werden. Ebenso unklar ist die Übersetzung „Uterus“ für
(jdt)(1)

Aufgrund der Determinierung mit der bildlichen Darstellung der Eileiter/Eierstöcke einigten sich die Seminarteilnehmer schließlich auf  den weniger einseitigen medizinischen Begriff „inneres Genitale“(2). Im Papyrus Ebers, 833, taucht das Wort
(Hbbt)

auf, übersetzt als „Trinkwasser“. Im Zusammenhang mit Erbrochenem, wie es hier der Fall ist, könnte jedoch vielmehr an Brack-/Schmutzwasser gedacht werden. Die eher vage Bezeichnung „Unterleibsregion/Schamgegend“ für
(kns)

wurde nach einer inhaltlichen Analyse der Kontexte mit dem Perineum (Damm zwischen Vagina und After) identifiziert. Dies sind einige Beispiele dafür, dass die sprachliche Deutung der medizinischen Texte manchmal auch heute noch eine Gleichung mit Unbekannten sein kann.
Angeregte Diskussionen: Professor R. Hannig, Dr. A. Wimmel, Dr. I. Hilbert (von links nach rechts)

Bei der Diskussion von Diagnosen und Behandlungen konnten diverse auch den modernen Gynäkologen noch bekannte Leiden aus den Texten herausgelesen werden. So unter anderem, dass der „Geruch von Gebratenem“ (Kahun 2/1,5-8) an die Abneigung gegen Fleisch bei Unterleibskrebs erinnert(3), dass ein Leiden am Perineum und  „zwischen ihren beiden Hinterbacken“ (Kahun 4/1,12-15) auf Hämorrhoiden oder einen Dammriss hinweist oder eine Kaumuskel- und sich weiter ausbreitende Verkrampfung (Kahun 5/1,15-20) auf Eklampsie (manchmal lebensbedrohliche Krampfzustände bei Schwangeren) hindeuten könnte.
Neben der Durchsprache der Texte waren auch Fachreferate Teil des Seminars. Daniela Rosenow M.A. sprach über magische Praktiken in der altägyptischen Gynäkologie, die sich aus sehr frühem Schamanentum entwickelten, so u.a. über die angestrebte Abweisung von Dämonen mit Hilfe von Amuletten oder Dekreten, die als kleine Papyrusrolle am Hals getragen wurden, oder über die Identifikation von Gebärenden mit Göttinnen.
Daniela Rosenow referiert über Magie

Das Thema von Daniela Steder waren Tonringe, die im Beckenbereich von mitteleuropäischen Skeletten der vorrömischen Eisenzeit gefunden wurden und möglicherweise als Stützpessare dienten. Dr. Ilse Hilbert, Gynäkologin, erklärte sehr anschaulich den naturgemäßen Vorgang von Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt.

Das Seminar war ebenso interessant wie lehrreich und nach den Worten von Professor Hannig auch überaus erfolgreich. Das nächste „Marburger Treffen zur Altägyptischen Medizin“ wird vom 16. bis 18. Juni 2006 stattfinden. Thema werden Geschwulste und Geschwüre und eventuell auch ausländische Krankheiten sein.

(1)Transkription/Vokalisation siehe Hannig (Großes Handwörterbuch Band 1, 1997, S. 116)
(2)s. a. Kolta/Schwarzmann-Schafhauser (Die Heilkunde im Alten Ägypten, Stuttgart, 2000, S. 129)
(3)ähnlich auch G. Höber-Kamel in Kemet, Heft 2/2005, S. 21



Geändert: 16.08.2005 um 00:09:47

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