Ägyptologie-Blatt

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'Spring Break' im alten Ägypten
Orgien im Tempel der Mut?
Von Iufaa am 01.11.2006 um 19:15:10 

Alan Boyle, Wissenschaftsredakteur bei MSNBC berichtet am 30. Okt 2006 über Erkenntnisse aus den Ausgrabungen im Tempel der Mut in Karnak.

Heute ist es der Springbreak in den USA, bei dem die Vorgaben lauten: "Mädchen werdet wild" oder: "Trinken Sie Unmengen Bier, lassen Sie sich "verwüsten", geben Sie sich unentgeltlichem Sex hin, und das alles, bis Sie das Bewusstsein verlieren - und wachen Sie am nächsten Morgen bei kreischender Musik und bei Ihren Freunden auf, die inständig flehen, alles wird schon wieder gut werden.
1470 v.Chr. war das die Tagesordnung für eines der "härtesten" Feste des alten Ägyptens, das "Fest der Trunkenheit", auf dem nichts weniger als die Erlösung der Menschheit gefeiert wurde. Archäologen behaupten nun, dass sie mitten in den Ruinen eines Tempels in Luxor Beweise gefunden haben, dass im Zentrum des jährlichen Festes Sex, Drogen, und eine antike Entsprechung vom Rock 'n' Roll standen.

Betsy Bryan von der Johns Hopkins Universität, die seit 2001 eine Ausgrabung im Tempel der Mut leitet, trug die Ergebnisse ihres Teams über das "Fest der Trunkenheit" am Samstag während der jährlichen "New Horizons in Science Briefing", veranstaltet vom "Council for the Advancement of Science Writing", vor.
"Wir sprechen über ein Fest, auf dem Leute zusammen kamen, um sich zu betrinken," sagte sie. "nicht elitär, nicht zur geselligen Unterhaltung, aber zum Besaufen - bis zur Bewusstlosigkeit."
Die Tempel-Ausgrabungen brachten ans Tageslicht, was offensichtlich eine "Vorhalle der Trunkenheit" gewesen ist, verknüpft mit Hatschepsut, der Frau und Halbschwester Thutmosis II. Nach dem Tode Thutmosis II. im Jahre 1479 v.Chr., herrschte Hatschepsut für ungefähr 20 Jahren als weiblicher Pharao über Ägypten, und die Vorhalle wurde auf dem Höhepunkt ihrer Herrschaft errichtet.
Einige der Inschriften, die am Tempel entdeckt wurden, verbinden das "Fest der Trunkenheit" mit der "Reise durch die Sümpfe," was, wie Bryan sagte, ein antiker ägyptischer Euphemismus war, um Sex zu haben. Die sexuelle Verbindung wird durch Graffiti bestätigt, die Männer und Frauen in Stellungen zeigen, die ein vielsagendes "Tsss-Tsss" auslösen würden.
Die Regeln für das Fest verlangten sogar von einigen wenigen, nüchtern zu bleiben, als "designierte Antreiber" für die Betrunkenen. Am Morgen danach gingen Musiker herum, und schlugen ihre Trommeln, um durch die Feiernden zu wecken.

Frommes Fest
Das Ziel des Ganzen war, sich nicht nur gut zu unterhalten, sagte Bryan. Stattdessen wiederholte das Fest - das während des ersten Monats des Jahres, direkt nach der ersten Überschwemmung des Nils, gefeiert wurde - den Mythos der Sachmet, einer löwenköpfigen Kriegsgöttin.
Gemäß dem Mythos vernichtete die blutdürstige Sachmet fast alle Menschen, aber der Sonnengott Re trickste sie aus, in dem er sie große Mengen von ocker-farbigem Bier trinken ließ, das sie für Blut hielt. Sobald Sachmet völlig betrunken war, verwandelte er sie in eine freundlichere Göttin, nämlich Hathor, und die Menschheit wurde gerettet.
Bryan sagte, dass die Festinszenierung zu ihrem Höhepunkt kam, wenn die Trommler die Feiernden erweckten. "Letztlich war es die Absicht der Betrunkenen, die Gottheit zu sehen und zu erfahren." sagte sie.

Es ist, als wenn die Ägypter die Göttin bitten würden, die Gemeinschaft vor Schaden zu bewahren. "Es war eine gemeinschaftliche Bitte, nicht eine individuelle," sagte Bryan.


Neue Wendungen einer alten Geschichte
Die Entdeckungen am Tempel der Mut passen zu historischen Quellen über Trunkenheitsfeste während Ägyptens griechisch-römischer Periode. Der Schriftsteller Herodot berichtete 440 v.Chr., dass solche Feste sogar 700.000 Menschen anzogen - darunter betrunkene Frauen, die sich zur Schau stellten. "Außerdem wird an diesem Fest mehr Traubenwein verbraucht als während des ganzen restlichen Jahres." schrieb Herodot. Das Fest taucht auch in Chroniken um ca. 200 n. Chr. auf.
Die neue Erkenntniss von Bryan ist nun, dass solche Feste auch schon viel früher in der ägyptischen Geschichte stattgefunden haben, sagte Aidan Dodson, ein Ägyptologe von der Universität Bristols. "Sie hat tatsächlich die ersten eindeutigen Beweise gefunden." erzählte er MSNBC.

Dodson stimmt mit Bryan überein, dass das Betrinken eindeutig ein Teil des Festes war. "Sicher genossen die Ägypter ein "Gläschen" oder drei" sagte er. Neu ist dagegen, dass die Parallelen zum Mythos der Sachmet eine "gute theologische Grundlage" für etwas lieferten, was sonst als schlechtes Benehmen betrachtet werden könnte.
Jedoch ist er nicht so überzeugt, dass der Sex eine religiöse Verpflichtung war. "Es wird mit größerer Wahrscheinlichkeit ein natürliches Ergebnis des ausgedehnten Trinkens des Bieres, aber nicht ein integraler Bestandteils des Festes selbst gewesen sein." sagte Dodson.

Bier, hergestellt aus vergorenem Gersten-Brot, war das Getränk der Wahl für das Fest der Trunkenheit, gefeiert im Tempel der Mut, so Bryan. Bei einem anderen Fest, das mehrere Monate später im Jahr gefeiert wurde und als "Schöne Fest vom Wüstental" bekannt ist, waren die Feiernden aufgefordert, sich mit Wein, gewürzt mit Lotusblüten zu betrinken, was die Schläfrigkeit förderte. Die Lotusblüten konnten auch Erbrechen auslösen - was in einigen ägyptischen Wandgemälden festgehalten wurde, bemerkte Bryan.

Bryan gab zu, dass sie keine eindeutigen Antworten für viele der Fragen hat, die die Feste umgeben.
Zum Beispiel:

* Verwendeten die Feiernden Geburtenkontrolle? (Es wird berichtet, dass die Ägypter natürliche Teige und Zäpfchen einsetzten oder eventuell Steinamulette, die als Spiralen dienten.)
* Wie lange existierte die Vorhalle der Trunkenheit aus der Zeit der Hatschepsut, und warum wurde sie abgerissen? (Ägyptologen sagen, dass der Nachfolger von Hatschepsut, Thutmosis III., alle Hinweise auf Hatschepsut auslöschte - und ihr Name war lange ein Rätsel, bis die beschädigten Ruinen wiederaufgebaut wurden.)

Bryan vermutet, dass das Fest der Trunkenheit bald nach dem Abgang der Hatschepsut an Beliebtheit verlor. Zurzeit Amenhotep III., weniger als ein Jahrhundert später, waren Hinweise  auf das Fest verklungen. "Man kann nur darüber rätseln, ob individuelle Gläubigkeit über diese Art, sich öffentlich zu betrinken, gesiegt hat." sagte sie.
Dodson dagegen ist der Ansicht, dass dieses ägyptische Fest in seiner Form noch lange nach Hatschepsut existiert haben muss. Wie sonst könnte es in der griech.-römischen Periode wieder aufgetaucht sein? "Wenn etwas ausgestorben sein soll, dann macht mich die Idee, dass es in voller Form Jahrhunderte später wieder aufgelebt sein soll, ein wenig nervös." sagte er.



Geändert: 01.11.2006 um 19:32:07

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