Quellenkritischer Exkurs Lieber Michael, selbstverständlich habe auch ich zur Kenntnis genommen, dass die Inschrift der Abydos Stele (JE 66285) nur mit Mühe gelesen werden konnte, aber gerade deshalb ist es doch umso verwunderlicher, dass bis 2007 alle wichtigen Autoren (1)(1a)(2)(3), mit Ausnahme von Blackman (4), im wesentlichen den gleichen Textinhalt übersetzten, was doch erstaunlich ist und sehr für die Qualität der ersten, von Brugsch gefertigten Übersetzung spricht. Der britische Ägyptologe Aylward Manley Blackman hatte es 1941 in der Hand, den abschließenden Nachweis für die Existenz eines in der 21. Dynastie amtierenden Pharao namens Scheschonq der Ältere zu führen, doch er vergab nicht nur diese Gelegenheit zur Etablierung eines solchen Scheschonq A, sondern argumentierte diesbezüglich auch noch in einer höchst fragwürdigen, meines Erachtens sogar unseriösen Art und Weise. Zunächst einmal fällt auf, dass Blackman mit den bisherigen Übersetzungen der Abydos Stele (JE 66285) durchaus vertraut ist, denn er nennt Eingangs auf Seite 83 die Beiträge von Breasted (1906), Mariette (1880) und Brugsch (1871). (5) Seine Übersetzung geht zudem über weite Teile mit den von Brugsch und Breasted erstellten Übersetzungen konform, doch in einer Hinsicht unterscheidet sie sich gravierend, denn den in der 1. Zeile der Inschrift genannten Fürsten Nimlot A bezeichnet er in seiner eigenen Übersetzung nicht mehr - wie bisher - als den "Sohn" des Königs Scheschonq A, sondern als den "Vater" desselben. (6) Durch diese Verkehrung des Sohnes Nimlot A in einen Vater des Eingangs in der Inschrift genannten König Scheschonq A wird nicht nur der gesamte Inhalt der Inschrift der Abydos Stele ad absurdum geführt, sondern auch ein Kunstgriff möglich, denn nun überführt Blackman diesen von ihm geschaffenen "Sohn des Nimlot" in die 22. Dynastie, was grob falsch ist. Blackman verweist zur Begründung dafür, dass dieser bislang in die 21. Dynastie gesetzte König Scheschonq A in Wirklichkeit der 22. Dynastie zuzurechnen sei auf Alan Gardiner und behauptet, dass dieser über die von Breasted (1906) erstellte Übersetzung der Abydos Stele gesagt habe, dass diese "has gone completely astray in his interpretation" und somit also inhaltlich "vollständig irreführend" gewesen sei. (7) Überprüft man diese angeblich von Gardiner in Hinblick auf Breasteds Übersetzung und Interpretation der Abydos Stele gemachte Aussage jedoch, dann bemerkt man, dass diese Äußerung in einem ganz anderen Zusammenhang getan wurde ! Tatsächlich bespricht Gardiner in dem von Blackman dazu angeführten Beitrag (8) nämlich einen von Wilhelm Spiegelberg veröffentlichten Aufsatz über eine Stele aus der Oase von Dakhla. (9) Ebendort kritisiert Gardiner denn auch nicht die durch Breasted vorgenommene Übersetzung der Abydos Stele, sondern thematisiert eine botanische Frage, nämlich die fehlerhafte Identifizierung eines Baumes, genauer der Thurifera, einem aus dem Westen importierten Weihrauch-Wacholder. (10) Über diese Frage bezüglich der "Thuriferen" nun auf eine Diskreditierung der Übersetzung Breasteds hinsichtlich der Postion des in der Inschrift der Abydos Stele genannten König Scheschonq A zu schließen ist schlicht unwissenschaftlich, zumal sich Blackman dabei auf Gardiner beruft, anstatt sein zweifelhaftes Anliegen selbst zu vertreten. Im Ergebnis ist es also Blackman (1941), und nicht etwa Gardiner (1933), welcher die Übersetzung und Interpretation Breasteds völlig zu Unrecht als "komplett irreführend" bezeichnete und meiner Auffassung nach ist es deshalb Blackman selbst, welcher an dieser Stelle gänzlich zu verwerfen ist. In diesem Zusammenhang gilt es nun zudem den Zeitpunkt der von Blackman veröffentlichten Untersuchung zur Inschrift der Abydos Stele (JE 66285) zu beachten. Im Dezember 1941 publiziert, dürfte der eigentliche Anlass für seine fragwürdige Übersetzung und Interpretation offenbar darin bestanden haben, die damals soeben eingetretene, neue Fundlage einzubeziehen, denn sie wird vor dem Hintergrund der sensationellen Entdeckungen entstanden sein, welche Pierre Montet in den Jahren 1939 und 1940 in Tanis gemacht hatte. (11) In dem ebenfalls 1941 veröffentlichten Essai "Le drame d'Avaris" hatte Montet auf den Seiten 199-200 nämlich ausgeführt, dass er auf der in Tanis entdeckten Mumie des Pharao Scheschonq I. ein Pektoral gefunden habe, welches mit Scheschonq dem Älteren einen Ahnherrn Scheschonq I. nannte und legte dementsprechend einen genealogischen Stammbaum an, welcher für die 21. Dynastie ebenfalls einen Pharao namens Scheschonq aufführt. (12) Obwohl Montet anhand dieses Pektorals feststellte, dass Nimlot A und Scheschonq A die Ahnherren des späteren Pharao Scheschonq I. (946-924 v. Chr.) sind, berücksichtigt Blackman diesen Fund jedoch nicht und erwähnt Montet selbst in seinem Beitrag mit keinem Wort, was zu beanstanden ist. Dabei hätte Montet seine Lesart, wonach Scheschonq der Ältere ein Sohn des Nimlot A sei, durchaus gestützt, (13) doch damit war ihm offenbar nicht gedient, vermutlich weil es vorab bereits eine Intention gab, der gemäß es letztlich die Etablierung eines in der 21. Dynastie amtierenden Pharaos namens Scheschonq A zu verhindern galt. Ein wichtiges Indiz für eine solche Absicht findet sich im Kommentar Blackmans, wo der in der Inschrift der Abydos Stele an zentraler Stelle genannte Fürst Nimlot A selbst, sowie dessen Mutter Mehetenweskhet, an keiner Stelle berücksichtigt werden. Dies nimmt auch nicht wunder, denn sobald er die königliche Mutter Mehetenweskhet einbezogen hätte, wäre seine Argumentation unter genealogischen Gesichtspunkten zusammengebrochen. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf die Zeile 24 der Inschrift der Abydos Stele, wo Blackman selbst übersetzte : "[the contributions to the deceased] great chief of the Meshwesh, prince of the princes, Nemrat, justified, son of the great chief of the Meshwesh, Shoschenk, justified, whose mother is Mehetemweskhet, for ever and ever." (14) Es ist überraschend, dass sich Blackman in der genealogisch entscheidenden, vorletzten Zeile der Abydos Stele plötzlich wieder der bisherigen Lesart von Brugsch und Breasted anschließt und damit seine abschließenden, eigenen Schlussfolgerungen grundsätzlich in Frage stellt. (15) Seine Epigonen jedoch, hielten sich zumeist an Blackmans Kommentar und folgten seiner Kernaussage, wonach der in der Abydos Stele (JE 66285) genannte Pharao Scheschonq A der 22. Dynastie zuzurechnen sei. Soweit mein quellenkritischer Exkurs zu Blackman, dessen Übersetzung der Abydos Stele bei mir einiges Erstaunen hervorgerufen hat. Was denkt ihr, ist meine Kritik berechtigt ? Gruß Lolli  Quellen: 1.) Brugsch, Heinrich (1871) : Notizen zur Rechtfertigung gegenüber dem Herausgeber. In: Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertümer, Bd. IX, Leipzig 1871, S. 85-86. 1a.) Brugsch, Heinrich (1877) : Geschichte Ägyptens unter den Pharaonen, Leipzig 1877, S. 651-655. 2.) Breasted, James Henry : Ancient Records of Egypt, Vol. IV : The 20.- 26. dynasties, Chicago 1906, S. S. 325-326 (§ 669) u. S. 329-333 (§3 675-687). Online: Abydos Stele JE 662851 3.) Jansen-Winkeln, Karl : Inschriften der Spätzeit, Teil 1: Die 21. Dynastie, Wiesbaden 2007, S. 159-162. Online: Abydos Stele JE 662852 4.) Blackman, Aylward Manley : The Stela of Shoshenq, great chief of the Meshwesh. In : The Journal of Egyptian Archaeology, Bd. 27, London 1941, S. 83-95 u. Tafel 10-12. 5.) Blackman, Aylward Manley : Ebenda, S. 83. Genannt werden : Breasted, Anc. Rec. IV, p. 325 ff und Mariette, Abydos II, Planche 36-37 u. Abydos [III], No. 1225, sowie Brugsch, Notizen, ZÄS, Bd. IX, S. 85-86. 6.) Blackman, Aylward Manley : Ebenda, S. 84 u. 86, Kommentar, Nr. 1. 7.) Blackman, Aylward Manley : Ebenda, S. 93 : "Gardiner noted some years ago that [Breasted] has gone completely astray in his interpretation [of the king Shoshenk]" A at Abydos. 8.) Blackman, Aylward Manley : Ebenda, S. 87, n. 18 : Gardiner, JEA XIX, 27, Issue n. 1. 9.) Gardiner, Alan : The Dakhleh Stela, with Plates V-VII. In: The Journal of Egyptian Archaeology, Vol. 19, Issue 1, London 1933, S. 19-30, Plate V-VIII. (Rezension zu Spiegelberg, Eine Stele aus der Oase von Dachel) 10.) Blackman, Aylward Manley : Ebenda, S. 85. (Thurifers, Thuriferen) 11.) Montet, Pierre : Tanis - Douze années de fouilles dans une capitale oubliée du Delta Égyptien, Paris 1942, S. 38-40. 12.) Montet, Pierre : Le drame d'Avaris; essai sur la pénétration des Sémites en Égypte, Paris 1941, S. 199-200. Online: Pektoral Tanis JE 721703 (Für die Stundenweise Ausleihe dieses Essai ist eine vorherige Anmeldung in den Internet Archive erforderlich) 13.) Montet, Pierre : Le drame d'Avaris, Paris 1941, S. 199-200. 14.) Blackman, Aylward Manley : Ebenda, S. 86. (Blackmans Übersetzung der Zeile 24 der Inschrift der Abydos Stele) 15.) Blackman, Aylward Manley : Ebenda, S. 92. (Conclusions)
> Antwort auf Beitrag vom: 10.02.2024 um 11:53:43
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