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Ägyptologie Forum >> Nachbarländer


1) Der Liber linteus zagrabiensis
 Lolli2u am 24.01.2025 um 05:37:24 - Anhang: Der_Liber_linteus_zagrabiensis_Mumienbinde_mit_etruskischer_Inschrift_Foto_SpeedyGonsales_Wikimedia_2008_Lizenz_CC_BY_3.0_.jpg

Die Beziehungen der Ägypter zu ihren Nachbarländern waren mitunter manchmal vielschichtiger, als man gemeinhin annehmen möchte. Dies soll das folgende Beispiel verdeutlichen.

Im Jahr 1880 machten J. v. Bojnicic, der Kurator der ägyptischen Sammlung des Kroatischen Nationalmuseums in Zagreb, sowie S. Ljubic, der Direktor des Nationalmuseums international darauf aufmerksam, dass sich seit geraumer Zeit in ihren Beständen die Mumie einer jungen Frau aus der ägyptischen Spätzeit befände, welche der Wiener Großhändler Michael Baric um 1849 zunächst aus Ägypten nach Wien mitgebracht und 1867 dann dem Zagreber Museum vermacht habe. Diese Mumie sei dereinst mit Binden einbalsamiert worden, welche mit einer unbekannten Schrift versehen seien.

Auf Einladung des Museumsdirektors Ljubic hatte sich 1869 zunächst einmal Heinrich Brugsch nach Zagreb begeben und dieser erkannte zu seinem Erstaunen, dass es sich bei den beschriebenen Binden nicht etwa um eine altägyptische Hieroglyphenschrift handelte, sondern um eine alphabetische Schrift und daher vermutete Brugsch zunächst, hier möglicherweise ein äthiopisches Alphabet vorliegen zu haben, welches er notierte. Brugsch teilte seinen Befund zu den Binden dieser Mumie, welche wohl der Zeit Ptolemaios II. (285-246) oder dem frühen 2. Jahrhundert v. Chr. angehören könnte, unter anderem auch dem Linguisten Richard Francis Burton mit, welcher diese Schrift des Leinenbuches 1877 dann den altirischen Ogham-Runen zuordnete.

Im Jahre 1890 widmete sich schließlich der österreichische Ägyptologe Jakob Krall den Agramer Mumienbinden und erkannte, dass es sich bei den dort verwendeten Schriftzeichen offenbar um "etruskisch" handelt. Die vermutlich in Alexandrien beigesetzte Frau, deren Stirn dereinst anlässlich ihrer Beisetzung vergoldet wurde, stammte demnach offenbar aus dem italischen Etrurien und gehörte einem Stamm der Etrusker an. Ihr Körper war in Binden eingehüllt, welche aus einem in Streifen geschnittenen Leinenbuch gefertigt worden waren, dass ebendort in Etrurien verfasst worden ist. Der verborgene Schatz von Agram, wie Brugsch sich ausdrückte, besteht daher in der Auffindung dieses Liber linteus, eines Leinenbuches in etruskischer Schrift und hat in der Sprachwissenschaft eine hohe Bedeutung erlangt. Der seinerzeit von Jakob Kroll dazu veröffentlichte Aufsatz sei hier daher einmal als Volltextausgabe vorgestellt : https://archive.org/details/denkschriften4142ster/page/160/mode/2up?view=theater.

Viel Spaß bei der Lektüre

Lolli    


2) Re: Der Liber linteus zagrabiensis
 Lolli2u am 25.01.2025 um 01:34:49 - Anhang: Die_Dame_von_Volsinii_Karte_Gebiet_der_Etrusci_Aus_Spuner_u._Menke_Atlas_antiquus_Gotha_1865_Karte_Nr._X_Etruria_Detailansicht_In_public_domain_Gemeinfrei_.jpg

Auf der Suche nach dem Namen der im ptolemäerzeitlichen Ägypten in etruskisches Leinen eingebundenen Frau kam zudem ein Papyrus in das Blickfeld, welcher zusammen mit der Mumie begraben worden sein soll. Dieser Papyrus nennt namentlich wohl Nesi-hensu, die Frau eines Schneiders aus Theben, welcher selbst den Namen Paher-hensu trug, wie aus einem 2017 veröffentlichten Artikel von Claudia Frickel hervorgeht: https://web.de/magazine/wissen/mystery/liber-linteus-zagrabiensis-geheimnis-agramer-mumienbinde-32561556. Mich selbst hat diese Zuordnung des Papyrus insofern irritiert, weil ich dem etruskischen Leinenbuch hier gerne einen etruskischen Frauennamen zur Seite gestellt hätte. Vielleicht wurde er dereinst tatsächlich in dem Text des Leinenbuches genannt, doch von den ursprünglich wohl acht Streifen sind drei zwischenzeitlich verloren gegangen. Immerhin datiert der hier eingeführte Artikel die Entstehungszeit des Liber linteus ebenfalls in die Zeit um 250 v. Chr. und folgt damit den erstmals von Jakob Krall vorgeschlagenen Datierungen.

Der Liber linteus wurde 2008 durch den Etruskologen Lammert Bouke van der Meer bearbeit und erfuhr 2013 durch Fred Woudhuizen eine erste Übersetzung, die ich jedoch nicht besorgen konnte. Zur Verfügung steht aber eine Rezension, welche die Linguistin Karin Westin Tikkanen verfasste: https://www.academia.edu/9282463/Fred_C_Woudhuizen_The_Liber_linteus_A_Word_for_Word_Commentary_to_and_Translation_of_the_Longest_Etruscan_Text_Innsbrucker_Beitr%C3%A4ge_zur_Kulturwissenschaft_Neue_Folge_Bd_5_Innsbruck_Institut_f%C3%BCr_Sprachen_und_Literaturen_der_Universit%C3%A4t_Innsbruck_Bereich_Sprachwissenschaft_2013. Tikkanen begrüsste den von Woudhuizen erstellten Übersetzungsvorschlag ausdrücklich, warnte aber vor der zu erwartenden offenen Ablehnung, da es unter den Etruskologen offenbar nur einen ungenügenden Austausch gibt, sodass die nötigen Konventionen bei der Interpretation der etruskischen Inschriften noch nicht getroffen waren. Ungeachtet dessen lässt sich aus Woudhuizens überarbeiteter, 2019 erschienener Fassung S. 345 folgendes entnehmen: Woudhuizen hatte bereits 2008 ermittelt, dass sich auf dem Leinenstück Columne VII, Zeile 20 die Angabe "from the place ... Volsinii" findet. Dies interpretierte er dahingehend, dass der Liber linteus dereinst (ca. 200-150 BC) in einem Heiligtum in Volsinii, nahe dem See Bolsena, genauer clavus annalis im Tempel der Nortia bei Volsinii (Velzna) abgefasst worden sein wird. Obwohl uns kein Name vorliegt, könnte man die dereinst in Alexandrien beigesetzte Etruskerin also als Dame von Volsinii (Velzna) bezeichnen. https://www.talanta.nl/wp-content/uploads/2022/01/Woudhuizen-2019-Etruscan_as_a_Colonial_Luwian_Language.pdf. Jakob Krall, welcher noch alle 10 Stücke des Leinenbuches kopierte, vermutete, dass es sich bei diesem Leinenbuch um einen funerär-liturgischen Text handelt. Der Mumie war ansonsten ein kleiner Zettel beigefügt auf dem geschrieben stand: Mumia iz Mizira, Mumie aus Ägypten.

Was wissen wir im übrigen über den beigefügten Papyrus ? Soweit ich Krall, Seite 27 verstanden habe, waren in dem beigefügten Inventar - neben den Mumienbinden -  auch "beschriebene Stücke von Papyrusgras" genannt worden, doch konnte er dieselben zu seiner Zeit nicht feststellen, da ihm selbst keine Papyrusfragmente vorlagen. Mit dem etruskischen Liber linteus zagrabiensis dahingegen liegt uns sicherlich eines der merkwürdigsten Schriftdenkmäler vor, welches jemals von Ägyptologen untersucht worden ist.    

Gruß Lolli                  

> Antwort auf Beitrag vom: 24.01.2025 um 05:37:24


3) Re: Der Liber linteus zagrabiensis
 Michael Tilgner am 25.01.2025 um 10:38:18

Hallo, Lolli,

bevor Du weiter ausholst, möchte ich darauf hinweisen, dass die Erforschung der Etrusker und ihrer Sprache nicht zum Gegenstandsbereich dieses Forums gehört.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 25.01.2025 um 01:34:49