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Ägyptologie Forum >> Literatur & Lernen


1) Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 09.12.2019 um 23:39:31

Hallo zusammen!

Ich bin auf der Suche nach ägyptischen (also antiken) Weisheitssprüchen und bin in diesem Zusammenhang auf das Buch von Muata Ashby namens "Ancient Egyptian Proverbs" gestoßen. Darin habe ich einige schöne Sprüche gefunden. Nur leider fehlen in diesem Buch die Belegstellen komplett. Lediglich am Ende des Buches sind als Quellen Texte der typischen Weisheitsliteratur wie "Die Lehre des Ani", "Die Lehre des Ptahhotep" oder "Die Lehre des Amenemope" genannt, aber eben ohne eindeutige Zuordnung. Konkret geht es um folgede Auszüge aus Ashbys Buch:

S. 47: The visible world is ephemeral, the spirit world is forever; gain strength from this since nothing physical can destroy you.

S. 53: Everything we do is sowing, and all of our experiences are harvests.

S. 53: Every cause has its effect; every effect has its cause; everything happens according to law; chance is a name for law unrecognized; there are many planes of causation, but nothing escapes the law.

S. 80: To be satisfied with little is the greatest wisdom; and they that increase their riches, increase their cares; but a contented mind is a hidden treasure and trouble find it not.

S. 82: Death comes when the purpose of living is fulfilled; death shows what the reason for living was.

S. 83: Courage, will, knowledge and silence are essential qualities for those on the path of perfection.

S. 95: The secrets of the universe cannot be discovered through study and research alone, but the honest search for truth and the development of a incorruptible mind qualifies the seeker for higher instruction.


Bis auf den 3. Spruch, der scheinbar aus dem Kybalion stammt (was auch immer das ist, scheint aber kein richtiger ägyptischer Text zu sein), konnte ich zu den anderen Sprüchen keine Originalstelle finden. Ich habe auch schon das Buch "Die Weisheitsbücher der Ägypter" von Hellmut Brunner durchgeblättert, ohne eine deutsche Entsprechung darin zu finden.  
Ist jemand schon mal auf derartige Sprüche in der ägyptischen Literatur gestoßen bzw. auf Texte mit derartigen Inhalten? Die üblichen Lehren (zumindest aus dem Buch von Brunner, also eben nach Ani, Ptahhotep, ...) enthalten eher so Aussagen wie "Du sollst dies und das nicht tun." oder "Handle so und so.". Würde mich auch über andere schöne Inhalte freuen.
Falls ich diese Stellen nicht finde, werde ich mich wohl selbst an einer Übersetzung versuchen, wobei ich da schon gerne das Original zur Kontrolle hätte.

Vielen Dank schon mal für Hilfe und Anregungen.


2) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 11.12.2019 um 00:05:30 - Anhang: 2 Anhänge

Lieber David,

willkommen in diesem Forum!

Der von Dir zitierte Muata Ashby und seine Frau scheinen ihr Geschäftsmodell auf der Ausbeutung altägyptischer religiöser Vorstellungen für Leute aufgebaut zu haben, die spirituelle Erleuchtung suchen. Anders kann ich deren Riesenangebot von Büchern, Workshops, Reisen und dergl. nicht deuten.

Was Ashbys Verständnis altägyptischer Texte anbetrifft, so äußert er sich in seiner Publikation "Egyptian Book of the Dead. Hieroglyph Translations Using the Trilinear Method, Miami, FL, 2016, S. 11 wie folgt: "the deeper meaning which was originally intended (...) can only be discovered if the translation and interpretation has a spiritual basis." nachdem er zuvor bemängelt hat, dass "the study of Prt m Hru [Book of the Dead] has been mostly confined to scholars and a limited number of interested people, it has suffered from being interpreted by scientists instead of religious scholars and practitioners of the philosophy." - womit er vermutlich sich selbst meint.

Tatsächlich stützt er sich aber im wesentlichen auf die Bearbeitungen und Übersetzungen von E.A. Wallis Budge, die heute als überholt gelten. Dafür sei ein Beispiel erwähnt: Ashby erläutert in seinem "Lecture 1" (auf Youtube) zu seinem oben erwähnten Buch seine Methode an zwei Beispielen (siehe Screenshot). Diese sind von den Hieroglyphen, der Umschrift und der Übersetzung nach 1:1 aus der Einleitung von E.A. Wallis Budge, The Egyptian Book of the Dead, London, 1895, S. lvii und lviii entnommen (ich habe die Originalstellen aus der pdf-Version im Internet Archive hier angehängt). Bei der Umschrift hat Ashby auf Budges Sonderzeichen verzichtet. Wo Budge "Ptolemaic Period" schreibt, hat Ashby die Jahreszahlen eingesetzt: um die Quelle zu verwischen?

Kurz und gut: So originell ist Ashbys Vorgehen nicht, wenn man von seinem Marketing absieht.

Um auf die ursprüngliche Frage nach den Quellen der von Ashbys eigenwillig übersetzten altägyptischen Sprichwörter zurückzukommen, so ist es wahrscheinlich vergebliche Liebesmüh, danach zu suchen, wie Du ja selbst inzwischen festgestellt hast. Sofern Du es wirklich wissen möchtest, wäre es eigentlich am besten, wenn Du ihn direkt selbst befragst. Wahrscheinlich wird er aber nicht antworten, da er ja sonst seine Quellen, nämlich die Budge-Publikationen, preisgeben müsste.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 09.12.2019 um 23:39:31

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3) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 12.12.2019 um 22:01:50

Lieber Michael,

Vielen Dank für die freundliche Begrüßung und die sehr ausführliche und informative Antwort!
Ich hatte selbst schon befürchtet, dass Mr. Ashby das weniger von der wissenschaftlichen als vielmehr von der kommerziellen Seite her angeht und damit seine "Übersetzung" schon sehr subjektiv sind, um in sein Yoga-Geschäft zu passen. Dennoch dachte ich, dass die Weisheiten vielleicht sinngemäß auf ein Original zurückzuführen sind. Der Hinweis auf Budge könnte hilfreich sein, wobei das Totenbuch ein wirklich sehr langer Text ist. Ich habe ein Buch mit einer modernen Übersetzung, hatte aber noch keine Zeit, das komplett zu lesen. Hast du dich mit dem Inhalt des Totenbuchs mal genauer beschäftigt? Eventuell müsste man da wie in deinem Beispiel aufgezeigt Parallelen zu Ashbys Übersetzung finden.
Ansonsten werde ich Mr. Ashby wirklich konkret anschreiben, erwarte aber auch keine Antwort. Wahrscheinlich weiß er selbst nicht mehr so genau, wo es das her hat, wenn das schon nicht im Buch dokumentiert ist. Sollte ich eine Antwort erhalten, werde ich das auf jeden Fall nachtragen!

Grüße,
David

> Antwort auf Beitrag vom: 11.12.2019 um 00:05:30


4) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 13.12.2019 um 16:12:01 - Anhang: 3 Anhänge

Lieber David,

hier folgt ein weiteres Beispiel zur Arbeitsweise Ashbys. Der Screenshot entstammt dem bereits erwähnten Youtube-Film zum Totenbuch. Die Stelle, auf die er sich offensichtlich bezieht, ist ebenfalls der Budge-Publikation zum Papyrus Ani entnommen (S. 19). Es handelt sich um den Anfang von Tafel V, die ich der Vollständigkeit halber beigefügt habe.

Ashby hat einige Hieroglyphen ausgewählt und sogar die Linie über den Hieroglyphen übernommen, mit der Budge angegeben hat, dass diese im Original rot geschrieben wurden (siehe den Originalausschnitt), während er die Angabe "2." für den Beginn der 2. Spalte weggelassen hat. Er schwadroniert - so muss man das wohl nun bezeichnen -:

Zitat:
if all the Level 2 translations are read by themselves (...) one after the other, there will be a continuous and coherent rendering of the text

Dass sich aus dem derart zerstückelten Text eine sinnvolle Lesung ergeben soll, "can only be discovered if the translation and interpretation has a spiritual basis" (siehe die in meinem vorigen Posting zitierte Stelle bei Ashby).

Aus dem Gesagten folgt, dass wer diese seine "spirituelle Grundlage" nicht hat, nur schwerlich seinen Ausführungen folgen kann. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass sich Ashby seine "ägyptischen Sprichwörter" mehr oder minder selbst zurechtgelegt hat.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 12.12.2019 um 22:01:50

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5) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 13.12.2019 um 17:04:27 - Anhang: Textstelle_des_XXX.jpg

Lieber David,

es gibt eine Stelle, die teilweise einem der von Ashby angegebenen Sprichwörtern nahekommt. Sie stammt aus einem thebanischen Grab (Näheres später).



Das gebe ich als Übersetzungsübung. Ich hoffe, der / die eine oder andere beteiligt sich!

Viele Grüße,
MIchael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 13.12.2019 um 16:12:01


6) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Peter am 13.12.2019 um 19:43:40

Ich hoffe ich mache das jetzt richtig und so, wie du es dir gedacht hast.

nh pw n anx tp tA Dt m Xrt-nTr
"Er/Es ist schützend für das Leben auf der Erde und den Körper in der Nekropole."

Gruß Peter.

> Antwort auf Beitrag vom: 13.12.2019 um 17:04:27


7) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 13.12.2019 um 23:42:33

Hallo, Peter,

so ungefähr habe ich mir das gedacht! Aber es wäre gut, ein paar Erklärungen dazu abzugeben, warum Du welche Übersetzung genommen hast. Es gibt doch noch andere Möglichkeiten ...

Vielleicht äußern sich noch weitere Forumsmitglieder oder -liebhaber?

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 13.12.2019 um 19:43:40


8) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 14.12.2019 um 10:00:38

Wie wäre es mit der ähnlichen Transliteration

nhj pw n anx tp tA D.t m Xr.t-nTr

und der Übersetzung

"Etwas vom Leben ist/bleibt auf der Erde ewiglich in der Nekropole."

Ich habe das als pw-Nominalsatz aufgefasst mit nhj n anx als Subjekt und tp tA... als Prädikat.

Gruß,
David

> Antwort auf Beitrag vom: 13.12.2019 um 23:42:33


9) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Peter am 14.12.2019 um 10:31:10

nh pw n anx tp tA Dt m Xrt-nTr
Ich habe es auch als Nominalsatz wahrgenommen und die Bedeutungen nach meinem "Wörterbuch" ausgewählt. nh Schützen (als Adjektiv).
pw Als Anzeige für einen Nominalsatz. (Er/Es ist...)
n als Präposition ("für").
anx als Subjekt (Leben)
tp als Präposition (auf/über).
tA als Subjekt (Erde/Land).
Dt als Subjekt (Körper).
m als Präposition ("in")
Xrt-nTr als Subjektiv (Nekropole).

Daraus wurde also "Es ist schützend für das Leben auf der Erde und den Körper in der Nekropole.". Es ist mir nhy in dieser Form nicht bekannt, aber die Transliteration kann es ja stützen.
"Etwas vom Leben ist/bleibt auf der Erde ewiglich in der Nekropole." könnte ich mir als 2. Möglichkeit auch vorstellen.

> Antwort auf Beitrag vom: 13.12.2019 um 23:42:33


10) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 14.12.2019 um 11:03:29

Vielleicht ist mit anx auch eine Person gemeint, obwohl kein Determinativ dabeisteht. Dann würde "Etwas vom Lebenden ..." etwas mehr Sinn machen.

Bin auf weitere Vorschläge gespannt.

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 10:00:38


11) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 14.12.2019 um 11:16:07

Lieber Peter, lieber David,

in der Tat handelt es sich um nhj am Anfang des Satzes; man beachte die beiden Striche Z4. Bedeutung: "etwas" (Wb II, 280), speziell mit n und folgendem Substantiv: "etwas von ..., ein bisschen ..." (Wb III, 280.6). Daher ist der erste Teil zu lesen: "Ein bisschen an Leben ist es auf Erden ...".

Warum kommt nh "schützen" (Wb III, 281.7-9) nicht in Frage? Man muss das Determinativ G37 "schlechter Vogel" berücksichtigen, das nur bei nhj steht: "ein bisschen" ist eben "etwas Schlechtes"

Der zweite Teil ist der berüchtigte "adverbiale Nominalsatz", ein Satz ohne Verb: das Subjekt ist ein Nomen, das Prädikat ein Adverb oder die adverbiale Konstruktion Präposition + Nomen. Also: "die Ewigkeit (ist) in der Nekropole."

Jan Assmann, Steinzeit und Sternzeit, München, 2011, S. 25 übersetzt diese Stelle etwas freier:

Zitat:
Ein Weniges nur an Leben ist das Diesseits,
die Ewigkeit (aber) ist im Totenreich.

Wenn man will, könnte man das mit Ashbys Sprichwort "The visible world is ephemeral, the spirit world is forever" in Beziehung setzen, obwohl er diese Stelle (aus TT 131) bestimmt nicht kennt, denn sie ist dokumentiert in Eberhard Dziobek, Denkmäler des Vezirs User-Amun, Heidelberg, 1998, Tf. 4 - und nicht bei Budge.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 10:31:10


12) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Peter am 14.12.2019 um 11:34:04

Ok, hast du noch einen Übungssatz?
Gruß Peter

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 11:16:07


13) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 14.12.2019 um 12:04:12 - Anhang: Textstelle_des_YYY.jpg

Hallo,

in eine ähnliche Richtung wie das vorige Beispiel deutet eine Stelle aus einem anderen Grab.



Um zu einer sinnvollen Lesung zu kommen, muss man den zweiten Teil korrigieren:



Vielleicht versucht Ihr Euch an diesem etwas kniffligen Beispiel?

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 11:34:04


14) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Peter am 14.12.2019 um 13:04:59

Ich schlage folgende Transkription vor:
ir aHa.w irrt tp tA sp pw n rs.wt

Ich habe es mit "Was anbetrifft Die Lebenszeit und Taten auf Erden, es ist die Angelegenheit für die Wachen/Erwachten."

Ich habe ir als Hervorhebungspartikel erkannt, der "was anbetrifft..." lautet.

aHa.w habe ich als Zeit/Lebenszeit verstanden, dass mit irrt "verbunden" ist.
Danach folgt wieder (wie im vorherigen Satz) die Präposition tp mit tA was theoretisch wieder "auf Erden" bedeutet. Also wird daraus "Was anbetrifft die Lebenszeit/Zeit und Taten auf Erden,...".

Danach folgt wieder ein "Nominalsatz" mit pw (Er/Es ist...). zp übersetze ich mit "Angelegenheit" oder "Wesen" und n rs.wt mit ""für" die Erwachten/Wachen."
Also wird daraus "...es ist eine/die Angelegenheit der Erwachten/Wachen."


Es bedeutet "Was die Lebenszeit/Zeit und/der Taten auf Erden anbetrifft, es ist eine/die Angelegenheit der Erwachten/Wachen.", was ich für sinnvoll erachte, da für die Toten keine Lebenszeit gilt und sie eigentlich nicht das tun, was sie auf Erden tun.

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 12:04:12


15) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 14.12.2019 um 14:35:22

Also das finde ich schon sehr schwer. Das letzte Wort konnte ich im WB gar nicht eindeutig identifizieren und bin daher froh über deinen Vorschlag Peter.

Basierend auf deiner Transliteration hätte ich noch folgenden Vorschlag:
jr aHaw jrr.t tp tA zp pw n rs.wt

Das Wort nach aHaw sieht für mich wie ein Partizip oder eine Relativform aus. Vom Sinn her würde ich auf ein passives Partizip Plural tippen (wegen "Lebenszeit" als Kollektiv?) und übersetzen:

"Was die Lebenszeit, die auf der Erde verbracht (oder gestaltet?) wird, betrifft, so ist es eine Angelegenheit der Wachen (also Lebenden)."



> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 13:04:59


16) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Peter am 14.12.2019 um 14:40:17

Das könnte auch gut sein, klingt sogar noch wahrscheinlicher.

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 14:35:22


17) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 14.12.2019 um 17:57:14 - Anhang: 2 Anhänge

Hallo, Leute,

ja, das Beispiel ist schon schwer! Aber Ihr habt es gut bewältigt, bis auf den Schluss!

Zunächst: Das Wort nach aHaw "Lebenszeit, Zeit" ist imperfektisches passives Partizip von jrj "machen". jrj aHaw "die Lebenszeit verbringen" (Wb I, 223.1). Dieses Partizip wird hier substantivisch gebraucht. Dazu die Bemerkung von (meiner Lieblingsgrammatik) Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, 1957, § 354, dass das feminine Partizip mit Pluralstrichen oft dazu verwendet wird, um neutrale Begriffe auszudrücken: jrr.t "das, was (immer wieder) getan wird". Das imperfektische Partizip von jrj wird zumeist mit einem r geschrieben, aber es gibt auch Schreibungen mit zwei r (§ 358). Der Satz beginnt also: "Was die Lebenszeit / Zeit betrifft, die auf Erden verbracht wird: ..." (genauer: die Zeit dessen, was auf Erden verbracht wird, ...)

sp ist leider ein Wort mit vielen Bedeutungen! "Angelegenheit" trifft es schon ganz gut. Hier ist der "Zustand einer Sache" gemeint (Wb III, 435.9).

Das letzte Wort rs.wt steht durchaus im Wb: "Traum" (Wb II, 452.1-3), insbesondere die letzte Bedeutung passt hier hervorragend: "bildlich für etwas Nichtiges". Zur Schreibung: U40 ersetzt T13.

Das n ist hier das Genitivwörtchen. Somit heißt der ganze Satz: "Was die Zeit betrifft, die auf Erden verbracht wird: Sie hat den Charakter / Wesen eines Traumes." (oder kürzer: "sie ist (nur) ein Traum.")

Für den Ägypter war das Leben im Diesseits nur ein Durchgangsstadium; das eigentliche Leben findet im Jenseits statt.

Viele Grüße,
MIchael Tilgner

Nachtrag: Die Stelle stammt aus: Robert Hari, La tombe thébaine du père divin Neferhotep (TT 50), Genève, 1985, Tf. IV

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 14:40:17

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18) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Peter am 14.12.2019 um 19:00:46

Interessant, da hat meine erste Probeübersetzung am Ende doch gestimmt.

Im Wörterbuch stand "wach im Schlaf"="Traum".

Also wäre unsere Übersetzung ja theoretisch sogar "richtig", wir hätten aus "Wachen" "Träumenden" machen müssen.

"Was die Lebenszeit anbetrifft, die auf der Erde verbracht wird, es ist eine Angelegenheit der Träumenden"

Oder seh ich das falsch?

Kannst du uns noch einen Übungssatz geben?

Gruß Peter.

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 17:57:14


19) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 14.12.2019 um 20:48:26

Lieber Peter,

rs.wt "die Träumenden" geht, glaube ich, nicht. Das Wb verzeichnet unter rs "Wächter" (Wb II, 451.15-17), abgeleitet von rs "wachen, aufwachen". rsw "das Wachen, die Wachsamkeit" (Wb II, 451). Mit rs.wt ist das "Wachen (im Schlaf) = Traum" bezeichnet. Der "Wachende (im Schlaf)" müsste entweder rs oder die Nisbe *rs.wtj - m.W. nicht belegt - sein.

"Träumen" heißt mAA (m) rs.wt - siehe die DZA-Belege zu "im Schlafe sehen, einen Traum sehen" (Wb II, 8.25-26). Im TLA konnte ich keinen Eintrag unter "Träumer" oder "Träumender" finden.

Abgesehen davon, fehlen Personendeterminativ und/oder Pluralstriche.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 19:00:46


20) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 14.12.2019 um 22:23:29

Wow danke für die ausführliche Analyse Michael! Das ist wirklich sehr lehrreich.
Und über mein Partizip freue ich mich besonders, denn das Verbalsystem mit all seinen Möglichkeiten inklusive den damit verbundenen Substantivierungen macht Lesungen für mich noch immer schwierig. Und auch die Bandbreite von Übersetzungen für ein einzelnes Wort wie jrj macht das nicht gerade leichter.

Ich bin da ganz bei Peter und würde mich auch über mehr Beispiele freuen. Das ist wieder ein Spruch mit schönem, ja geradezu tröstlichem Inhalt. Und du scheinst da ja einen reichen Fundus zu besitzen.

Gruß, David

PS: Mr. Ashby hat noch nicht geantwortet...

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 20:48:26


21) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 15.12.2019 um 16:08:53

Noch eine kurze Frage zu der Originalquelle von der 2. Aufgabe:
Kannst du die ursprüngliche Schreibung erklären? Oder handelt es sich um Schreibfehler? Da wurde ja pn statt pw verwendet (beides an sich eigentlich Demonstrativpron. M. Sing.) und nt statt n (soweit ich weiß wurde das Genitivwörtchen zu Beginn wenn überhaupt nach Numerus und Genus vom vorangehenden Wort angepasst).

> Antwort auf Beitrag vom: 14.12.2019 um 12:04:12


22) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 16.12.2019 um 17:46:43 - Anhang: Djehutimes_Neferhotep_Vergleich.jpg

Lieber David,

die Korrektur soll auf Gardiner zurückgehen: Alan H. Gardiner, A Song from a Theban Tomb, in: Proceedings of the Society of Biblical Archaeology, Bd. 35, S. 165-170 (1913). Leider habe ich im Moment keinen Zugriff auf diesen Artikel.

Wie Du schon angemerkt hat, könnte n.t Genitivpartikel sein. Allerdings ist das Bezugswort sp "Mal, Angelegenheit, Wesen usw." maskulin.

Man könnte das überflüssige .t auch zu rs.wt "Traum" ziehen. Schreibungen mit einem doppelten .t sind z.B. bei sA.t "Tochter" belegt (Wb III, 411). Für rs.wt scheint es ähnliche Belege aber nicht zu geben.

Wenn wir also sp pn n rs.wt "diese Angelegenheit / dieses Wesen eines Traumes" lesen, so fehlt ein Prädikat. Das war wahrscheinlich der Grund, warum Gardiner pn durch pw ersetzt hat, das ja auch die Funktion einer Kopula hat: "(ist) er/sie (Sg.)/es; (sind) sie (Pl.)".

Es gibt nun eine Parallele zu Neferhoteps Harfnerlied, über die in László Kákosy, Zoltán Imre Fábián, Harper's Song in the Tomb of Djehutimes (TT 32), in: Studien zur altägyptischen Kultur, Bd. 22, S. 211-225 (1995) berichtet wird. Leider ist gerade die uns interessierende Stelle zerstört (siehe Anhang: "D" für Djehutimes; "N" für Neferhotep, S. 225). Die Autoren haben das Harfnerlied von Djehutimes durch Neferhoteps Fassung ergänzt und lesen: sp [pn rswt] (S. 216) und übersetzen: "it is (just) a matter of [a drea]m" (S. 219). Sie haben also n.t komplett ignoriert. Dem steht die Beobachtung Gardiners entgegen, dass der direkte Genitiv zum indirekten wechselt, wenn ein Adjektiv oder ein anderes Wort dazwischen tritt (Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, 1957, § 86).

In aller Bescheidenheit halte ich doch Gardiners Vorschlag für die bessere Lösung.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 15.12.2019 um 16:08:53


23) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 Michael Tilgner am 17.12.2019 um 23:35:39 - Anhang: 2 Anhänge

Lieber David,

inzwischen habe ich die Fußnote (7) bei Gardiner, a.a.O., S. 168 kopiert. Die zweite Bemerkung bezieht sich auf eine Stelle, die zwei Spalten zuvor erwähnt wird:

pA tA n{.t} nHH
"dieses Land der Ewigkeit"

wo auch das falsche Genitivwörtchen verwendet wird.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 16.12.2019 um 17:46:43

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24) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 18.12.2019 um 00:15:53

Lieber Michael,

Vielen Dank für die ausführlichen Belege! Es ist erstaunlich, wie schnell du die entsprechenden Quellen immer ausfindig machen kannst.
Manchmal sind die Fehler wirklich offensichtlich, wie Gardiner schreibt, und es macht auch Spaß, Fehler als solche zu erkennen, da dies ja von tieferem Verständnis zeugt. Aber gerade dieser Konsonant t scheint sehr anfällig dafür zu sein, zu fehlen, wo er hin muss oder fehl am Platz zu sein...
Ich meine mich daran zu erinnern, irgendwo gelesen zu haben, dass das Endungs-t zwar in der Schrift beibehalten wurde, aber in der Aussprache irgendwann entfiel, was als Erklärung für diesen fahrigen Gebrauch angeführt wurde.

> Antwort auf Beitrag vom: 17.12.2019 um 23:35:39


25) Re: Suche originale Textstellen zu weisen Sprüchen
 David am 02.01.2020 um 11:11:29

Um noch einmal auf den Anfang dieses Threads zurückzukommen: Für die dort aufgeführten Weisheiten gibt es laut der Diskussion wohl keine wörtlichen, sondern allerhöchstens sinngemäße Entsprechungen, wie ein von Michael angeführtes Beispiel zeigt.
Dennoch würde ich gerne mal einen Versuch der Rückübersetzung ins Ägyptische starten. Ich weiß, dass es gelinde gesagt verpönt ist, irgendetwas ohne Beleg ins Ägyptische zu übertragen, aber vielleicht kann mir der ein oder andere Tipps dazu geben, wie man den jeweiligen Satz nach dem aktuellen Stand der Forschung übersetzen würde.

Ich starte mal mit folgendem Beispiel:
"Everything we do is sowing, and all of our experiences are harvests."

Ich würde beide Teilsätze als pw-Sätze aufbauen. Im ersten Satz würde ich "alles, was wir tun" mithilfe einer imperfektiven Relativform mit Attribut nb ausdrücken, das "Säen" mithilfe eines Infinitivs. Mit ist nur nicht klar, ob ich für die Relativformen wegen dem weiblichen Infinitiv auch weibliche Endungen brauche.
Der zweite Satz ist dann denke ich einfacher, wobei pw direkt nach dem ersten Nomen stehen muss, also noch vor dem Attribut nb.

Insgesamt wäre dies mein Übersetzungsvorschlag:

irr=n pw nb sTt rx.w=n pw nb.(w) Smw.w



Das Determinativ für "säen" aus Hannigs Wörterbuch konnte ich nicht schreiben, da ich es in Gardiners Liste nicht gefunden habe. Im Übrigen habe ich alle Übersetzungsvorschläge Hannigs Wörterbuch Deutsch-Ägyptisch entnommen.

Gruß,
David

> Antwort auf Beitrag vom: 17.12.2019 um 23:35:39