Ägyptologie Forum Hallo Gast, hier einloggen oder registrieren.
28.03.2024 um 14:24:57


HomeÜbersichtHilfeSuchenLoginRegistrierenKalenderLexikonChat



  Ägyptologie Forum
   Alltag & Freizeit (231)
   Behinderte (32)
  Autor/in  Thema: Behinderte
Sadjehuti  
Gast

  
Behinderte 
« Datum: 28.06.2003 um 20:06:26 »     

Wie sah eigentlich die Stellung der geistig Behinderten im Alten Ägypten aus?

Soweit ich weiß konnten körperlich Behinderte ja auch zu Ruhm und Ehre gelangen. z.B. der kleinwüchsige Seneb aus der 6.Dynastie!

Aber wie sah das mit geistig Behinderten aus?


Marcel
Taharqa  maennlich
Member



Re: Behinderte 
« Antwort #1, Datum: 28.06.2003 um 21:29:11 »   

Hans-Werner Fischer-Elfert, "Lache nicht über einen Blinden und verspotte nicht einen Zwerg!",
Über den Umgang mit Behinderten im Alten Ägypten, in: Max Liedtke (Hrsg.), Behinderung als pädagogische und politische Herausforderung, Bad Heilbrunn 1996

In Ägypten war der Respekt vor Behinderten zentral verankert. Das 25. Kapitel der Weisheitslehre des Amenemope verbietet ausdrücklich, den vom Schicksal Gezeichneten das Leben zu erschweren, sie zu verprügeln oder zu verspotten. Von konkreter Hilfeleistung ist jedoch nicht die Rede. Überliefert ist, daß man Menschen mit leichten Behinderungen zumindestens gestattete, sich in gängigen Berufen ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, wohingegen Schwer- und Schwerstbehinderte, sofern sie nicht in den Familien bleiben konnten, als Bettler leben mußten . Ganz anders war die Rolle der Kleinwüchsigen. Sie waren in der vornehmen Gesellschaft derart beliebt, daß sie in hohe Positionen aufsteigen konnten, so etwa Seneb, dessen Grab sich nahe der Cheops-Pyramide befindet. Er war Leiter der königlichen Leinen- und Kleiderzwerge, Vorsteher der Weberei, hatte eine eigene Sänfte und war sogar mit einer Dame aus dem königlichen Geschlecht verehelicht. Zwischen der Kunst der Leinenweberei und der Kleinwüchsigkeit bestand in der ägyptischen Mythologie von alters her ein tiefer Zusammenhang. Ebenso gab es Kleinwüchsige, deren Aufgabe in der tagtäglichen Erheiterung ihrer Dienstgeber bestand, die also die Funktion des Hofnarren erfüllten. Aus der Art und Weise ihrer Bestattung läßt sich deutlich ablesen, daß sie einen relativ hohen Rang innehatten. Nicht selten auch arbeiteten Kleinwüchsige in der Schmuckproduktion oder als Tierwärter. Die Nachfrage nach ihnen war derart groß, daß nach Senebs Tod der Gouverneur von Oberägypten eigens eine Expedition ins Land der Pygmäen ausrüsten ließ. Mit dem altägyptischen Sittengesetz ließ sich eine derartige Praxis jedoch nicht mehr vereinen.


Zitat:
wohingegen Schwer- und Schwerstbehinderte, sofern sie nicht in den Familien bleiben konnten, als Bettler leben mußten


Das dürfte Deine Frage eigentlich beantworten.

> Antwort auf Beitrag vom: 28.06.2003 um 20:06:26  Gehe zu Beitrag
Gitta  
Gast

  
Re: Behinderte 
« Antwort #2, Datum: 28.06.2003 um 23:31:04 »     

Hallo Taharqa,

den Amenemope hatte ich auch gefunden - das war auch schon die ganze Ausbeute. Als ich den Text

Verlache nicht einen Blinden und verhöhne nicht einen Zwerg.
Erschwere nicht das Geschick eines Lahmen.
Verspotte nicht einen Mann der in der Hand Gottes ist,
und sei nicht aufgebracht gegen ihn, wenn er einen Fehler macht


zuerst las, dachte ich "Schau an, sehr sozial die Ägypter". Dann fiel mir auf, dass man das auch genau anders herum interpretieren kann: für diese Ermahnungen muss es gute Gründe gegeben haben. Und so scheint es ja wohl auch gewesen zu sein.

Gitta
« Letzte Änderung: 28.06.2003 um 23:31:44 von Gitta »
> Antwort auf Beitrag vom: 28.06.2003 um 21:29:11  Gehe zu Beitrag
Iufaa  maennlich
Moderator



Re: Behinderte 
« Antwort #3, Datum: 29.06.2003 um 09:55:09 »   

Hi Gitta,

ich denke, hier war es vor ein paar wenigen 100 Jahren auch nicht anders. Selbst gesunde, aber unwillkommene, Kinder wurden und werden hin und wieder einfach "ausgesetzt".
Unsere humane Einstellung ist sehr neuzeitlich, noch jünger sind die "humanitären" Katastrophen.

Iufaa
> Antwort auf Beitrag vom: 28.06.2003 um 23:31:04  Gehe zu Beitrag
Gitta  
Gast

  
Re: Behinderte 
« Antwort #4, Datum: 29.06.2003 um 14:21:01 »     

Hi Iufaa,

in jüngster Vergangenheit gab es sogar noch Schlimmeres (Stichwort Euthanasie). Das aber nur am Rande.

Bei diesem Thema ist mir mal wieder aufgefallen, dass wir Ägypten-Fans und Ägyptomanen immer noch größtenteils unter dem Einfluss von Darstellungen stehen, die m.E. allesamt in ihrer sauberen Schönheit und ihrem Liebreiz ein verfälschtes Bild abgeben über das antike Ägypten. Als ich mit meiner Tochter vor einigen Jahren in Ägypten war (ihr erstes und bisher auch einziges Mal), war sie natürlich voller Begeisterung angesichts der monumentalen Bauwerke und der schönen farbigen Wandmalereien und Reliefs. Für sie ist die ägyptischen Kultur seitdem eine "reine und schöne". Aber das war sie sicher ganz und gar nicht. Ich denke nur mal an das Müllproblem, das ja aus Amarna und Deir el-Medina ganz gut bekannt ist. Dazu stelle man sich dann die schönen in tadelloses Leinen gekleideten Damen der Grabmalereien vor. Oder auch kriegerische Auseinandersetzungen: die kennen wir nur aus geschönten Tempelreliefs und Grabbiografien. Wie es in einem Feldlager ausgesehen hat, kommt einem dabei kaum mal in den Sinn.

Ich finde, man müsste sich viel mehr mit allen möglichen Texten beschäftigen - nicht nur mit Bildern. Ich würde mir ein Buch wünschen, in dem alle bisher bekannten ägyptischen Texte übersetzt zusammengefasst sind, nach Sachgebieten: Recht und Justiz, Verwaltung, Weisheitslehren, private und auch diplomatische Korrespondenz, Tempelrituale, Medizin  usw. usw. Zu all diesen Gebieten gibt es Papyri, Grabinschriften u.ä. Diese sind auch publiziert, man muss sie sich aber zusammensuchen aus ich weiß nicht wievielen Fachbüchern, Dissertationen und Aufsätzen*. Würde man sich mit diesen Überlieferungen in kompakter Form auseinandersetzen können, bekäme man ein ganz anderes Bild des antiken Ägypten. Kein verklärtes, sondern ein reales.

Ich habe gerade mal ein wenig in dem Katalog zur Ausstellung "Stimmen vom Nil" gelesen. Darin findet man zu einigen Themen überlieferte Texte, die einem schon auf diesen paar Seiten eine Ahnung geben - und im Prinzip auch die Bestätigung des unterschwelligen Wissens, dass es in Ägypten auch Anderes gab als die paradiesischen Darstellungen vermitteln.

*Oder irre ich mich? Gibt es sowas vielleicht schon und ich weiß es nur nicht?

Gitta

PS: Mal wieder hat mich eine ganz einfache Frage sehr zum Nachdenken angeregt  
« Letzte Änderung: 29.06.2003 um 14:27:24 von Gitta »
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 09:55:09  Gehe zu Beitrag
Iufaa  maennlich
Moderator



Re: Behinderte 
« Antwort #5, Datum: 29.06.2003 um 14:51:04 »   

Jo,

in der Geschichte wird hauptsächlich "Herrschaftswissen" überliefert, da interessiert nicht, wie der Fellache lebt, der Kaufmann seine Reisen plant, oder ob die Mitanni-Prinzessin in Pharaos-Harim Heimweh hat (Hauptsache, sie kommt mit vielen Geschenken an - worüber ja auch berichtet wurde - und ist recht hübsch; wenn weniger hübsch, dann müssen halt die Geschenke größer sein   ).
In Ägypten kriegen die Gäste halt den eindrucksvollen Teil zu sehen, so wie an der Loire, da tourst Du auch nur durch die Schlösser. Das Alltagsleben ist halt weniger spektakulär - auch in seinen Hinterlassenschaften.

Und wenn wir uns "zurückträumen", wer sieht sich da schon als Fellache.

Iufaa
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 14:21:01  Gehe zu Beitrag
chufu  weiblich
Moderatorin



Re: Behinderte fuesse.jpg - 69 KB
« Antwort #6, Datum: 29.06.2003 um 15:01:51 »   

Hallo Gitta und Iufaa!
Als wir im Mai in Medinet Habu waren, staunte ich nicht schlecht, als ich auf den Wandreliefs hunderte von abgeschnittenen Körperteilen sah. Auch die abgetrennten "besten Stücke" ließen mir einen Schauer über den Rücken jagen. Mal ganz abgesehen von Taharqa  .
Das steht schon ein wenig im krassen Gegensatz zu der weitverbreiteten Meinung, das die Ägypter als Sinnbild für Humanität stehen. Vor allem letztere Verstümmelung führte mit Sicherheit zum Tod. Ich glaube nicht, das diese Reliefs nur Phantasiegebilde oder Ausdruck künstlerischer Kreativität waren.
Liebe Grüße, chufu.


- Vollbild -
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 14:51:04  Gehe zu Beitrag
Gitta  
Gast

  
Re: Behinderte 
« Antwort #7, Datum: 29.06.2003 um 15:06:40 »     


Zitat:
Und wenn wir uns "zurückträumen", wer sieht sich da schon als Fellache.


Stimmt. Aber das ist doch ein bisschen unbefriedigend, oder? Was nützt es mir, wenn ich mich mit einer Kultur beschäftigen möchte, aber nur einseitig informiert werde? Es sei denn, ich wühle mich Wochen und Monate durch Bibliotheken und schreibe mir alles raus, was nicht "mainstream" ist. Vielleicht erbarmt sich ja ein Ägyptologe oder Philologe (oder mehrere oder ein Studentenseminar) und schreibt mal ein umfassendes Werk mit ägyptischen Texten. Das wäre eine feine Sache

Gitta
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 14:51:04  Gehe zu Beitrag
Gitta  
Gast

  
Re: Behinderte 
« Antwort #8, Datum: 29.06.2003 um 15:08:40 »     


Zitat:
Ich glaube nicht, das diese Reliefs nur Phantasiegebilde oder Ausdruck künstlerischer Kreativität waren.


Nö, so haben die Ägypter nach gewonnener Schlacht ihre getöteten Feinde durchgezählt. Den gefallenen wurde entweder eine Hand oder der Penis abgeschnitten.

Gitta
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 15:01:51  Gehe zu Beitrag
Taharqa  maennlich
Member



Re: Behinderte 
« Antwort #9, Datum: 29.06.2003 um 15:16:42 »   


Zitat:
Den gefallenen wurde entweder eine Hand oder der Penis abgeschnitten.

Autsch!!
Durch die Verstümmelungen haben sie sich allerdings selbst ein Riesenheer von Behinderten geschaffen. Denn ohne Hand dürfte ein "Job" als Minenarbeiter oder im Steinbruch ja auch entfallen. Vielleicht haben sie danach auch kurzen Prozeß gemacht und alle Gefangenen exekutiert. Bei der Geschichte mit dem Penis kam das ja einer Hinrichtung gleich.
Taharqa

> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 15:08:40  Gehe zu Beitrag
Iufaa  maennlich
Moderator



Re: Behinderte 
« Antwort #10, Datum: 29.06.2003 um 15:19:13 »   

Entweder?

Das glaube ich nicht, ich vermute hier eher die Erfinder der Buchhaltung am Werke, erst mal Hand ab und Zählen, dann andere Hand ab und Gegenzählen - wenn nicht stimmt, dann ....

Grundsätzlich kann man aber drakonische Strafen am lebenden Objekt nicht ausschließen, die Menschheit hat sich da immer sehr erfinderisch gezeigt. Allerdings sind wir da im Tierreich auch nicht allein, der Herr der Tiere bringt auch erst mal alle Kinder seine Vorgängers um, wenn er ein Rudel Damen übernimmt.

Iufaa
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 15:08:40  Gehe zu Beitrag
Gitta  
Gast

  
Re: Behinderte 
« Antwort #11, Datum: 29.06.2003 um 15:19:48 »     

Die waren doch schon tot, als man sie ihrer edlen Teile beraubte. Das diente nur noch der Kriegsbuchführung.

Wirkliche Verstümmelungen (am Lebenden) gab es im Strafvollzug. Da wurden Ohren und Nasen abgeschnitten.

Gitta
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 15:16:42  Gehe zu Beitrag
Gitta  
Gast

  
Re: Behinderte 
« Antwort #12, Datum: 29.06.2003 um 15:22:13 »     


Zitat:
Das glaube ich nicht, ich vermute hier eher die Erfinder der Buchhaltung am Werke, erst mal Hand ab und Zählen, dann andere Hand ab und Gegenzählen - wenn nicht stimmt, dann ....


...waren vielleicht Einarmige dabei  

Gitta
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 15:19:13  Gehe zu Beitrag
Sadjehuti  
Gast - Themenstarter

  
Re: Behinderte 
« Antwort #13, Datum: 29.06.2003 um 15:41:26 »     

Hi Gitta, Iufaa, Taharqa, chufu,
  1. glaube ich nicht, dass die Ägypter unsozialer waren, als wir es heute sind!
  2. muss ich Gitta Recht geben, was die Ermahnungen betrifft
  3. glaube ich nicht, dass damals unwillkommene Kinder einfach ausgesetzt wurden!
  4. ist es ja auch klar, dass sich die meisten mit der besseren Gesellschaft beschäftigen. Wie soll man Entwicklung einer Kultur beschäftigen, wenn man nach dem Leben eines einfachen Bauern frägt
  5. glaube ich nicht, das irgendjemand ein absolut richtiges und allumfassendes Bild von der ägyptischen Kultur haben kann
  6. glaube ich auch nicht, dass die Ägypter einfach aus Lust und Laune dem Nachbar die abschnitten und sie zum Pharao brachten. Das man dies im Krieg machte, ist ja schon belegt. Und außerdem wurden in den Weltkriegen, Leichenteile von Soldaten als Trophäe angesehen und sogar verkauft! Das ist ja mindestens so schlimm!


Marcel

P.S.:Was ist eigentlich "Euthanasie"??
« Letzte Änderung: 29.06.2003 um 15:42:19 von Sadjehuti »
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 15:22:13  Gehe zu Beitrag
Iufaa  maennlich
Moderator



Re: Behinderte 
« Antwort #14, Datum: 29.06.2003 um 15:55:41 »   

Hi,



Zitat:
1. glaube ich nicht, dass die Ägypter unsozialer waren, als wir es heute sind!

-> Glauben hilft da nicht viel und was "unsozial" ist, wird bestimmt durch die herrschende gesellschaftliche Meinung;


Zitat:
3. glaube ich nicht, dass damals unwillkommene Kinder einfach ausgesetzt wurden!

-> auch hier hilft Glauben nicht viel, wir wissen es einfach nicht, es sei denn, die Moses-Geschichte stimmt - ansonsten war und ist das ein "Lösungsversuch" für "Problemkinder", darum gibt es ja heute Babyklappen;


Zitat:
4. ist es ja auch klar, dass sich die meisten mit der besseren Gesellschaft beschäftigen. Wie soll man Entwicklung einer Kultur beschäftigen, wenn man nach dem Leben eines einfachen Bauern frägt

-> nein, so einfach ist es nicht, man kann sich auch nur mit dem beschäftigen, was überliefert ist, über das Leben des Bauern gibt es halt nicht viel, also hat man schon Probleme, wenn man sich damit beschäftigen will;


Zitat:
6. glaube ich auch nicht, dass die Ägypter einfach aus Lust und Laune dem Nachbar die abschnitten und sie zum Pharao brachten. Das man dies im Krieg machte, ist ja schon belegt. Und außerdem wurden in den Weltkriegen, Leichenteile von Soldaten als Trophäe angesehen und sogar verkauft! Das ist ja mindestens so schlimm!

-> derartiges ist aus allen Kulturen überliefert, es mit den beiden Weltkriegen und der Entwicklung des Kriegsrechtes wurde der Versuch gemacht, die Situation zu verbessern - klappt aber leider nicht immer

Euthanasie ist die Tötung "minderwertigen Lebens (d.h. z.B.  von geistig Behinderten" in der Nazizeit.

Iufaa

« Letzte Änderung: 29.06.2003 um 15:56:02 von Iufaa »
> Antwort auf Beitrag vom: 29.06.2003 um 15:41:26  Gehe zu Beitrag
Seiten: 1 2 3 »           

Gehe zu:


Impressum | Datenschutz
Powered by YaBB