@ Gitta: Danke für den stichhaltige Conter. Mein Beitrag bezieht sich v.a. darauf, nicht nur oberflächlige Parallelen als Problemlösung zu präsentieren. Sehr gerne wird bei den Amuletten ja von „Volksglaube“ bzw. „Aberglaube“ gesprochen. Alle Theorien, die dies als Basis für Argumentation machen, müssen berücksichtigen, dass es für diese Trennung (Staatsglaube vs. Volksglaube) keine Belege gibt und sie methodisch reine Willkür ist. Allerdings gibt einem die Theorie vom „Volksglauben“ viel argumentative Freiheit, was bei den Amuletten dankbare Abnehmer findet. Hinter den Besamuletten,–bildern oder Zaubermessern einfache Fellachen als abergläubische Nutzer der mythischen Kräfte zu sehen ist zwar bequem aber nicht durch die Funde gestützt (viele der von dir zitierten Zaubermesser gehörten Königen oder Prinzessinnen und Bes begegnet vor allem im kgl Kontext und auch Deir el-Medineh ist kein Beispiel für eine „normale“ altägyptische Bauernsiedlung). Deine Zitate von Fr. Kischkewitz beruhen durchweg auf der Untersuchung zu den Zaubermessern durch Altenmüller, der ihre Bedeutung und Funktion entschlüsseln konnte (Altenmüller H., Die Apotropaia und die Götter Mittelägyptens, Diss. München 1965 sowie Altenmüller H., Ein Zaubermesser des Mittleren Reiches, SAK 13 (1986), 1-27) und entsprechen tatsächlich dem, was ich oben bemerkt habe: Altenmüller hat akribisch und methodisch genau die einzelnen Symbole und Götter der Zaubermesser analysiert und mit einem mythologischen Ursprung in Verbindung gebracht. Das ist absolut o.K. Aber meine Kritik richtete sich nicht dagegen, sondern v.a. gegen weitverbreiteten Interpretationen von Amuletten oder Symbolen, die diesen mythologischen Hintergrund unbeachtet lassen! Wenn also Bes von vielen Autoren – offenbar in Unkenntnis seiner mythischen Rolle – als „Geburtsgott“ oder „Kinder- und Schlafzimmergott“ (so M. Görg in: Schulz/Seidel, Ägypten, Welt der Pharaonen, S. 443 Nr. 38) betitelt, oder als „Musikgott“ (Charvat, ZÄS 107, S. 46 betitelt ihn als „god of sensual pleasure“!!!) bezeichnet wird, so ist dies m.E. falsch! Denn hier wird zB. einfach das Musikinstrument des Gottes zur dominierenden Instanz inder Argumentation gemacht, ohne zu berücksichtigen, dass Musik im Kult dieselbe Funktion haben konnte wie ein Messer, nämlich die Abwehr der (Sonnen-) Feinde. Bes ist also kein Musikgott, nur weil er auf einem Instrument spielt. Die Form „Instrument“ hat also nicht den Inhalt „(erheiterndes bzw. funktionsloses) Musizieren“ sondern „Feinde abwehren“ (Dass Musik eine solche apotropäische Funktion haben kann, ist für moderne Westeuropäer in Zeiten von Britney Spears ja nur bedingt nachvollziehbar). Und das ist doch gleich eine ganz andere Bedeutungsebene, auf der wir uns da bewegen. Neben der Musik ist es auch der Tanz der Bes immer zugesprochen wird. Dass Bes trotz der Bes-Tattoos auf den Beinen von Tänzerinnen kein lustiger Tanzbär ist, erklärt sich daraus, dass auch der Tanz zum Tempelkult und als apotropäisches Mittel galt (Im Sonnenmythos gehörte der Siegesjubel und -tanz über die Sonnenfeinde zum Festprogramm). Die Wiedergabe eines Bes auf einem Handgelenkschutz eines Bogenschützen der Pan-grave-Kultur (Brunton, 1937, S. 128) wäre in seiner Rolle als „Kinder- und Schlafzimmergott“ oder als „Musiker- oder Tänzer“ wohl kaum zu erklären. Seine Rolle als Kämpfer gegen die Sonnenfeinde gibt aber auch diesem martialischen Kontext einen Sinn. Selbst die Messerform der Apotropaia verweist konsequent auf den Sonnenmythos. Re verteidigt sich beim Kampf im „See der Messer“ mit „Krummhölzern“ (Sethe, Pyramidentexte § 908b) und Messern (De Morgan, Kom Ombos II, S. 231 Nr. 293) gegen seine Feinde. Einer bedauernswerten Analysemethodik wird Bes zumeist auch in der Erscheinung sogenannter Bes-Jugs unterzogen. Diese, mit Bes-Köpfen/Szenen dekorierten Gefäße (Besiakon), sollen nach der Meinung der meisten Befürworter der „Kinder- und Schlafzimmer“-Fraktion (zB. Doetsch-Amberger) berauschende Lotus-Getränke enthalten haben (so ja Homer in der Ilias!), die dann von Gläubigen durch Strohhalme konsumiert wurden (moderne Parallelen kennen wir aus Mallorca und Ibiza) um sich völlig bewußtlos zu trinken oder ausgelassen zu musizieren (Grunge?). Woher kommt diese Meinung? Nun, auf vielen dieser Gefäße sind Lotos-Blüten und/oder Lotusdickichte abgebildet sowie tanzende/musiziernede Bes-Figuren. Der Lotus ist aber auch Symbol für Harpokrates bzw. das Sumpfdickicht der mythologische Zufluchtsort des jungen Sonnengottes und die Fundsituation der Gefäße spricht für einen kultischen Hintergrund (zB. im Magazinbereich des Ramesseums). Wir müssen also den Ägyptern kein Drogenproblem unterstellen um die Darstellung zu interpretieren. Die Verbindung zum kultischen Fest und Mythos sollte also immer gesucht werden, um nicht Belege singulär zu interprtieren. Besonders schlimm wird es, wenn selbst in einem „Handbook of Egyptian Mythology ( Geraldine Pinch, Oxford 2002, S. 118-19 ) der erste Satz gleich mit „Bes and Beset were protective dwarf deities closely associated with childbirth and rebirth“ beginnt und dann am Ende nur noch ein Nebensatz über seine Rolle im Sonnen-Mythos verloren wird. Hier hat sich diese leichtfertige Interpretations-Methodik bereits verselbständigt und dazu geführt, dass völlig abseits der Belege und archäologischen/textlichen Daten diskutiert wird. Hier ist Bes bereits zum „Kinder- und Schlafzimmergott“ geworden. Auch Koch (Geschichte der ägyptischen Religion, Köln 1993, S. 551 ) leitet das Kapitel „Bes“ mit den Worten ein: „Von Haus aus ein schützender Dämon für das Schlafzimmer und die damit zusammenhängenden Vorgänge von Geburt und Kinderpflege...“ und als wenn das nicht genug wäre: „Unter dem Beinamen Hit wird er zum göttlichen Vorbild für Musik und Tanz“. Das wars!!! Zu dem mythologischen Hintergrund kein Wort. Das ist oberflächlich und verleitet bei solcher „Standardliteratur“ zu kritiklosem Abschreiben. Dadurch verfestigt sich dieses fundamentlose Gedankengebäude weiter. Ein weiteres und letztes Beispiel zu Bes: Doetsch-Amberger ( in: Festschrift Derchain, 1991, S. 126 ) kommt in ihrer Untersuchung zu „Bes auf der (Lotos)Blüte“ zum Schluss: „Durch seine Verbindung mit dem Lotos, einem Symbol der Fruchtbarkeit, läßt sich erklären, daß man von „Bes auf der Blüte“ auch Fruchtbarkeitssegen erwartete.“ Pech, dass sie selbst eingestehen muss, dass „Bes als Fruchtbarkeitsgott allerdings nicht belegt“ ist. Auch hier werden nach einer einfachen Milchmädchenrechnung alle sichtbaren Einzelsymbole nach dem Schema 1+1+1+1... zusammengezählt und dann wild drauf los interpretiert (Hallo, Hermeutik? Wo bist du geblieben?) Dass der Lotos als Symbol für Harpokrates bzw. dessen Geburt im Binsengefilde und den „Seen der Vernichtung“ steht und somit die ursprüngliche Funktion des Gottes Bes als Beschützer des jungen Horus – also ein solarer Mythos – auch hier zutage tritt wird einfach nicht wahrgenommen, weil die obige Interpretation Frau Doetsch-Amberger so gut in das Konzept der „persönlichen Frömmigkeit“ der ausgehenden Ramessidenzeit passt, in der eh alle Götter irgendie alle Funktionen haben konnten, die sich der Betende erwünschte. Ein letztes Beispiel aus einem anderen Bereich (wir sprechen ja hier eigentlich über alle Formen von Amuletten): Wenn J. de Chanteloup ( VA 2, 1993, S. 19 ) die Hand-Amulette folgendermassen analysiert: (eigene Übersetzung) „Die geöffnete Hand: Dieses Amulett sichert Handlungskraft zu. Es ist das Symbol der Freigiebigkeit und der Großzügigkeit“. Die „Hand der Fatima“ ist darin (sein) Nachfolger“ dann ist das schlichtweg reine Fantasterei, die sich darauf begründet, dass bereits Petrie und Budge ( Budge, Sir E. A. Wallis, Amulets and Talismans, New York, 1961 ) ähnliche Amulett-Formen in verschiedenen Kulturen gegenübergestellt und verglichen haben - mit eben solchen rein auf der Form basierenden Parallelsetzungen. Diese spekulativen Deutungen der Amulette haben aber unser Verständnis der Amulette nachhaltig geprägt (so auch bei diesem Zitat von Chanteloup). Wie hat Ian Hodder gesagt: „To look at objects by themselves is not really archaeology ( Reading the Past, Cambridge 1991, S. 4 ) Gruss A. (Hoffe Du hast mein Geschwafel bis hierhin ausgehalten )P.S.: Sachmet (Herrin von Theben) und Thot sind übrigens die mythischen Anführer der Schutzdämonen des Sonnengottes. Die massenhaften Katzengottheit- und Ibis-/Thot-Amulette liessen sich also auch hier in einem anderen Licht betrachten (Stichwort: Sonnenkater und kämpfender Ibis bzw. „Neujahrsfeierlichkeiten“ statt „Gesundheit“ und „Weisheit“). Und auch Thoeris ist – ähnlich zu Bes – eigentlich eine kämpferische solare Schutzgottheit im Sonnenmythos und kein trächtiges Mischwesen zum Schutz von Schwangeren.
> Antwort auf Beitrag vom: 24.09.2003 um 14:17:09
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