Ein Bestandteil der Mythologie ist das Pantheon, also etwa die Gesamtheit der ägypt. Götterwelt. Über die Aktivitäten der einzelnen Götter und ihre Interaktion mit Menschen geben ihre Attribute Auskunft. Bei den ägyptischen Göttern ist es nicht möglich, einem einzelnen Gott eine einzelne fest umrissene Funktion zuzuordnen, wie man es beispielsweise von grichischen Göttern gewohnt ist. Hier begegnet uns nicht nur eine überaus große Anzahl von Gottheiten (es dürften wohl über 1000 sein), es kommt auch vielfach zu Überschneidungen und Verschmelzungen. Diese sind für unsere heutiges Verständnis nicht nur sehr verwirrend sondern oftmals geradezu unlogisch, da ein und dasselbe Phänomen (z.B. die Weltschöpfung) auf verschiedene Weise erklärt werden kann oder die Götter in unterschiedlichen Beziehungen zueinander auftreten können. Mehrere Götter können die gleiche Funktion haben, wie z.B. die Sonnengötter Ra und Amun. Dazu präsentiert sich der Sonnengott je nach Tageszeit in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Am Morgen ist er Chepri in Skarabäusgestalt, am Mittag Ra, menschengestaltig mit Falkenkopf (nicht zu verwechseln mit dem Falkengott Horus!), und am Abend zeigt er sich als Atum in Gestalt eines älteren Mannes als Zeichen der untergehenden (gealterten) Sonne. Ein Versuch einer Zuordnung in bestimmte Kategorien ist nicht möglich, denn beispielsweise Osiris ist sowohl Herr der Unterwelt als auch Fruchtbarkeitsgott. Charakteristisch ist, daß viele Götter die wichtigsten Aspekte der Schöpfung auf sich vereinen. Das Wort Gott (ägypt.: ntr = netjer) kann sowohl die göttliche Kraft schlechthin bezeichnen, die das Wunder der Schöpfung hervorbrachte und die Weltordnung in Gang hält, indem der Schöpfungsprozeß sich im zeitlichen Rhythmus beständig wiederholt, oder auch einen bestimmten "Gott" aus der Menge der einzelnen "Götter" meinen, die eine Konkretisierung des abstrakt Göttlichen sind, ein Versuch der Menschen, durch eine konkrete Formgebung das Göttliche - das Universum, die Erde, das Wunder des Lebens, die Nilschwemme, Königtum etc. - in seiner Vielfalt und individuellen Ausprägung sowie alle immanenten, das Leben der Menschen unmittelbar betreffenden Phänomene - Geburt, Krankheit, Tod, Kampf, Sieg, Freude, Wissenschaft etc. - für das menschliche Denken verstehbar zu machen. Das Wort Gott kann einerseits das allgemein Göttliche meinen, andererseits aber auch einen beliebigen konkreten Gott. Die Ägypter neigten dazu, abstrakte ebenso wie konkrete Phänomene durch einen Gott zu personifizieren. Hierzu gehört z.B. der Gott Schu, der den Luftraum zwischen Himmel und Erde verkörpert, aber auch Hapi, der androgyne Gott des Nils und der Überschwemmung, ebenso wie die Göttin Maat, die als die Personifizierung so abstrakter Begriffe wie Gerechtigkeit, Wahrheit und göttliche Weltordnung gilt. Der überwiegende Teil der Götter kann in verschiedenen Gestalten auftreten. Einige sind menschengestaltig, können aber gleichzeitig als bestimmte Tiere auftreten, andere besitzen einen menschlichen Körper und haben einen Tierkopf, können aber auch ganz die Form eines Tieres annehmen. So zeigt sich Hathor zum einen in Menschengestalt, doch kann sie auch die Gestalt einer Kuh aufweisen oder anstatt menschlicher Ohren Kuhohren haben. Thot kennt man als Mensch mit Ibis-Kopf, doch tritt er auch als Ibis-Vogel oder als Pavian auf. Häufig vereinen sich mehrere Götter zu sog. Götterfamilien, bestehend aus Vater, Mutter und Sohn (z.B. die Triade Amun/Mut/Chons von Theben). Eine andere Verbindung von Göttern miteinander zeigen die Kosmogonien (= mythische Lehre von der Entstehung der Welt), wie z.B. die Götterneunheit von Heliopolis. Besonders beliebt sind auch Doppelgottheiten (Amun-Ra, Ptah-Atum), und es treten sogar Dreifach-Gottheiten auf (z.B. die Triade Ptah-Sokar-Osiris, wenn sie als Totengötter auftreten). Dies ist immer dann der Fall, wenn verschiedene Götter mit gleichem oder in einem wesentlichen Aspekt sich überschneidenden Zuständigkeitsbereich assoziiert werden. Weit verbreitet sind verschiedene Arten von Götterpaaren. So muß man bei näherer Beschäftigung mit dem Gott Amun bald feststellen, daß er im Rahmen der Götterfamilie von Theben zwar eine Gemahlin hat, die Mut heißt und in Theben als Muttergöttin verehrt wird, ihm jedoch eine weitere Gattin zugeordnet wird, die "Amaunet" genannt wird und eine weibliche Parallele zu Amun darstellt. Amaunet hat jedoch die älteren Rechte und wird später mit Mut identifiziert. Das Phänomen der männlich-weiblichen Parallelbildung ist insbesondere bei den Urgöttern in der Kosmogonie von Hermopolis festzustellen. Seit der 18. Dynastie wird u.a. auch Ra ein weibliches Gegenstück, Rat-taui, zugeordnet, und später gesellt sich, erstmalig im Zusammenhang mit dem Bestattungsritual, zu dem Unterweltsgott Sokar die Göttin Sokaret, die in der Ptolemäer-Zeit mit Hathor verschmolz. Auch Anubis (ägypt.: Inpu) wird mit der Canidengöttin (Canide = hundeähnlich) Input eine Gefährtin zur Seite gestellt. Andere Paarbildungen sind z.B. Geschwisterpaare. Hierzu gehören z.B. Isis und Nephtys, aber auch die sich feindlich gegenüberstehenden Götter Horus und Seth, wenn sie als Brüder und nicht, wie es bekannter ist, als Onkel und Neffe auftreten. Neben den männlich/weiblichen Götterpaaren gehören zu dem ägyptischen Pantheon auch einige androgyne Götter, die das Wesen des Weiblichen und des Männlichen und damit das Prinzip des Dualismus auf sich vereinen. Hier ist z.B. der Nilgott Hapi zu nennen, der als Mann mit weiblichen Brüsten und einer Lotos- oder Papyruspflanze auf dem Kopf, die Ober- bzw. Unterägypten symbolisieren, dargestellt wird und die Fruchtbarkeit des Landes in Form der jährlichen Überschwemmung garantiert, aber den Speisetisch auch durch die verschiedenen Nilfische bereichert. Selbst Mut wird in ihrer Funktion als Urmutter manchmal als androgyne Göttin mit erigiertem Phallus abgebildet und der Luftgott Schu wie Hapi mit weiblichen Brüsten. Eine ganz andere Variante des Zusammenschlusses von Göttern zu Gruppen stellen die ba.u , die "Seelen", dar. Sie bezeichnen nach Kees zum einen "die Gesamtheit aller am genannten Orte vorhandenen Gottheiten", wie die "Ba.u von Nechen" (Hierakonpolis, Kom el-Ahmar), die "Ba.u von Buto" (= Pe, Tell el-Fara'in), die "Ba.u von Hermopolis" (el-Aschmunein), die "Ba.u von Heliopolis" (Südost-Spitze des Deltas), zum anderen aber auch die "Seelen des Neumondtages", worunter alle Götter, die zu diesem bestimmten religiösen Kalenderfest gehören, zu verstehen sind. Die Definition des Begriffes "ba.u" ist in der Ägyptologie nicht einheitlich. Nach Kees ist er eine allgemeine Bezeichnung für die bedeutendsten Götter einer Stadt, z.B. der "Neunheit von Heliopolis", Zabkar betrachtet die "ba.u" als Bezeichnung für die nach ihrem Tode vergöttlichten prädynastischen Herrscher der Städte, denen sie zugerechnet werden (was aber eher unwahrscheinlich ist). H. Beinlich dagegen versteht sie als eine Art Göttervolk, das untergeordnete Aufgaben verrichtet, wie dem Verstorbenen eine Himmelsleiter zu bauen oder ihn im Jenseits zu begrüßen. Der Begriff "Lokalgötter" weist auf den auptkultort (aber nicht unbedingt auf den Ursprung!) eines Gottes hin. Forts.
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