ich hätte da noch eine Frage zu Deiner Übersetzung. Woher kommt das "Oh", z.B. bei "Oh, mein Herz meiner Mutter, ...". Hast Du das eingefügt, weil es besser klingt, oder läßt sich das grammatikalisch ableiten?
bei dem jb=j n mw.t=j "Oh, mein Herz meiner Mutter" handelt es sich ja nicht um einen vollständigen Satz, sondern um eine Anrufung (Gardiner, Egyptian Grammar, § 87 "Vocative"):
Zitat:
The vocative may stand at the beginning or at the end of a sentence; more rarely it stands in the middle ... In ordinary parlance no introductory interjection was used; but in religious and semi-religious texts j is frequent for 'O', the synonym hA being much rarer.
Im Englischen ist es üblich, eine solche Anrufung mit der Interjektion "O" einzuleiten, so hat Gardiner das Beispiel: Hsw Hs tw @ry-S=f "O praised one, may Arsaphes praise thee". Auch im Deutschen ist das genauso. Nun handelt es sich beim Spruch 30B des Totenbuchs sicherlich um einen religiösen oder halbreligiösen Text, aber die von Gardiner erwähnten Interjektionen werden nicht verwendet; er schreibt ja auch, daß diese "häufig" für solche Texte seien, also nicht generell. In der Übersetzung wird der deutsche Sprachgebrauch zugrundegelegt.
Viele Grüße, Michael Tilgner
PS Eine gute Idee, das Ergebnis der Diskussion noch einmal separat zusammenzufassen!
Auf Michaels Bildbeitrag sieht man die beschädigte Stelle deutlich, leider sind kaum Zeichenreste zu erkennen. Ich habe mal eigenmächtig sinnvoll ergänzt und dann übersetzt.
(a) Dd mdw jn n jm.j-w.t Worte zu sprechen vom Imiut (= Epitheton des Anubis)
jm.j-wt - "der in der Balsamierungshalle ist" (Nisbeform): Anubis
(b) jmj Hr=k pA Gib acht du, der
jmj - Imperativ zu rDj - geben, veranlassen (H. 68 bis 69) jmj-Hr - Gib acht! (H. 544-1, c) pA - der (als Anrede bzw. Demonstrativpronomen)
(c) fehlende Zeichen von mir ergänzt wDa mAa(.t) (tx) n ... gerecht richtest: Das Lot der
wDa (Zeichen Aa 21A) - richten, wDa-mA.t - gerecht richten (H. 233-8) tx - das Lot (an Waage als Zünglein) (H. 938), Schreibung siehe DZA 31.142.250 n - der (Bildungselement des indirekten Genitivs)
(d) mxA.t r aHa.w ...Waage kommt zum Stillstand.
mxA.t - Waage, Standwaage (H. 357) r - (hin) zu (Präposition, räumlich, H. 453-1) aHa - stillstehen, zum Stillstand kommen (H. 154-3) aHa.w - Standort, Position, Stillstand (H. 155); Schreibung mit Determinativ Y 1 siehe DZA 21.953.230
Worte zu sprechen von Anubis: Gib acht, du, der gerecht richtet: Das Lot der Waage kommt zum Stillstand!
auch ich habe die fehlenden Stellen ergänzt. Dazu habe ich den Papyrus Hunefer zu Rate gezogen und die Übersetzungspassage von Michael aus dem anderen Thread.
Ich habe das Ganze nochmals überarbeitet und die Veränderungen eingefügt…
Dd mdw in im.i wt imi Hr=k pA wDa mAa.ti tx n mxA r aHa.w
Das Sprechen der Worte durch Imiut: Wende Dich zu der gerechten beiden Wahrheiten! Das Lot der Waage kommt zum Stillstand!
(Rainer Hannig, Marburger Edition, Seite 78: imperativ zu geben). Demnach müsst imi-Hr eigentlich "gib acht" heißen. Aber mit Blick auf das Bild habe ich mich letztlich für "wende Dich zu" entschieden.
Das Zeichen G26 müsste eigentlich G26B sein! Das Ganze entspricht den Zeilen 1, 2, 3, 4 und 5 oberer Teil
Dd mdw in DHw.ti tp-mAa.t n psD.t aA.t n.ti m-bAH wsir sDm.t n mdw.t pn m wn-mAa
Das Sprechen der Worte durch Thoth, (der) eine gerechte Entscheidung fällt für die große Neunheit (der Götter), der welcher vor Osiris ist! Das Hören dieser Worte in Wahrheit:
Diese Passage entpsricht Zeile 5 unten und Zeile 6 bis fast zum Ende:
iw(=i) wDa.n(=i) ip n wsir iw(=f) bA=f aHa m mtr.w rf zp=f mAa Hr-mxA wr
Ich bin es, der über das Herz des Osiris gerichtet hat. Er ist es, dessen bA aufsteht als "sein" Zeugnis, der wahrhaft übrig bleibt, indem (er) ins Gleichgewicht bringt die Große!
Hier habe wir den Rest von Zeile 6 und Zeile 7 bis fast zum Ende:
ni.gm ntw btA=f nb ni.xbA=f Sb.w m rA-pr.w
Sie finden nicht alle seine Sünden, er mindert nicht die Nahrung (Opferbrote) im Tempel.
Und hier der Rest bis Zeile 10:
ni.HD=f ir.yt ni.Sm=f Xr rA=f n kA=w Dr wnn=f tp-tA
Er zerstört nicht (das) Gemachte, er geht nicht mit seinem Mund, etwas (das) sie sagen, seit er existiert auf der Erde.
noch einmal zu der abschließenden Passage von Tb 30B:
nfr.wj nfr sDm=k "Oh, wie schön ist es, wenn dein Hören gut ist!"
Es handelt sich um eine Formulierung, die so oder ähnlich häufiger vorkommt.
Zunächst die Fälle, die Wb IV, 385 unter sDm "hören = hinhören, gehorchen, gehorsam sein" aufführt:
Redensart: nfr sDm n rmT "es ist für die Menschen gut zu hören"
Briefformel: nfr sDm=k "es ist gut, wenn du hörst"
wobei es auch Fälle gibt, in denen diese Formulierung außerhalb der Briefe verwendet wird. Aus den Belegen habe ich ebenfalls Tb 30B ausgewählt, diesmal aus dem Grab des Haremhab.
Eine längere Passage, wie vorteilhaft das Hören für einen Sohn ist, findet sich in der "Lehre des Ptahhotep" (z.B. Hellmut Brunner, Altägyptische Weisheit, Zürich / München, 1988, S. 129f). Hieraus habe ich nur den Satz genommen, der ganz ähnlich der Tb-Formulierung ist (siehe Abbildung, die aus Zbyněk Žába, Les Maximes de PtaHHotep, Prague, 1956, S. 59 stammt; Zeilenzählung nach pPrisse):
[16,9] ... nfr.wj sDm sA n [16,10] jt=f ... "Wie gut ist es doch, wenn ein Sohn auf seinen Vater hört." (nach H. Brunner)
Ganz in dieser Denktradition und in dieser Sprechweise richtet sich Ani an sein Herz und spricht die Erwartung aus, daß es auf seine Worte hören möge.
Zur Vertiefung dieser ganzen Problematik sollte man den interessanten Eintrag "Hören" im LÄ II, 1232-1235 nachlesen.
vielen Dank für die Ausführung und die Belege dazu. Jetzt ist auch mir "Blinden" alles klar geworden. An dieser Passage habe ich echt lange "rumgetüfftelt", weil nix passen wollte…
(a) Dd-mdw jn jmj-w.t "Worte zu sprechen durch den Imiut"
Das habe ich so wie Du; ein n in der Umschrift ist bei Dir zuviel.
(b) jmj Hr=k "Gib du acht!"
Auch hier teile ich Deine Übersetzung.
Mit dem folgenden habe ich meine Probleme. Ich glaube, der Text ist teilweise korrupt. Ein pA in dem Sinne, wie Du es vorgeschlagen hast, wäre schon ungewöhnlich. pA wdA mAa.t "der / dieser gerecht Richtende": Wer wird hier angesprochen? Es ist doch die Waage oder genauer: die Wägung, die richtet!
Daher habe ich nach einer Parallele gesucht und eine gefunden: pAnhai (BM 10472), Tafel 4. Eine Abbildung findet sich in: Evelyn Rossiter, Die ägyptischen Totenbücher, Lizenzausgabe für Buchgemeinschaften, o.O.u.J. [1979], S. 102-103. Leider geht der Buchfalz mitten durch den Text. Ich habe daher einen Ausschnitt aus E. A. Wallis Budge, The Book of the Dead. Facsimiles of the Papyri of Hunefer, Anhai, Kerasher and Netchemet with Supplementary Text from the Papyrus of Nu with Transcripts, Translations, etc., London, 1899 (Tafel 4 des Paprus von Anhai) beigefügt. Hier ist der Text ähnlich:
Dd-mdw jn Jnpw xntj sH-nTr "Worte zu sprechen von Anubis, der der Gotteshalle vorsteht"
Jnpw xntj sH-nTr "Anubis, der der Gotteshalle vorsteht" (Hannig, Ägyptisch-Deutsch, S. 734) - Sieht fast aus wie Hw.t-nTr "Gotteshaus, Tempel", aber das Beiwort gilt für die oben angegebene Übersetzung. Siehe auch die Bemerkung im Zettelarchiv bei den Schreibungen zu sH-nTr: "nicht immer von [Hw.t-nTr] zu scheiden" (DZA 28.703.020).
jmj Hr=k "Gib du acht!"
Soweit sinngemäß identisch wie bei Ani. Dann geht's weiter mit:
wDa pA tx mxA.t "Das / dieses Lot der Waage richtet / entscheidet."
wDa "richten, entscheiden" (Hannig, S. 233)
Der Text wird links fortgesetzt (hier nicht abgebildet) "für den Osiris ..."
pA ist hier entweder schon Artikel für tx "das Lot" oder noch Demonstrativpronomen (Hannig, S. 269-270); dann hieße es: "dieses Lot der Waage" (siehe auch: Gardiner, Egyptian Grammar, § 112 "Meaning of the demonstratives" am Ende).
Damit ließe sich folgender Text für Ani rekonstruieren:
(c) wDa mAa.t [pA] tx n (d) mxA.t r aHaw=s "Das / dieses Lot der Waage entscheidet / richtet gerecht gemäß ihrer Position."
Zur Schreibung: Unter dem Aa21 ist ein Arm D36 erkennbar. Ich meine auch, unter dem Maatzeichen Aa11 noch ein t zu sehen. Die beiden Striche kann ich im Moment nicht einordnen. In der schadhaften Stelle paßt ein x (Aa1) gut rein.
Statt wDa "entscheiden" bei Anhai heißt es hier wDa mAa.t "gerecht entscheiden"; statt eines direkten Genetivs tx mxA.t steht hier ein indirekter tx n mxA.t. Zusätzlich folgt ein r aHaw=s. Die einzige Korrektur, die ich vorgenommen habe, ist die Einordnung des pA.
r "(7) [Betreff] hinsichtlich, in bezug auf, von" (Hannig, S. 453)
Es heißt "ihre Position" und muß sich auf die Waage beziehen, ein feminines Bezugswort. Vielleicht kann man auch übersetzen: "gemäß ihres Stillstandes" (= wenn die Waage zur Ruhe gekommen ist, entscheidet das Lot).
Nicht desto Trotz habe ich die Lesung von Michael aufgegriffen und im Digitalen Zettelarchiv gesucht. Ich habe eine Schreibung für "das Lot" gefunden, die eventuell die beiden Striche erklären könnte. Seht das Bild im Anhang! Ich vermute mal, dass mit dem etwas verunglückten Zeichen "T55" gemeint ist.
Daraus vereinfacht sich der Satz:
Dd mdw in im.i wt imi Hr=k pA wDa mAa tx n mxA r aHa.w
Worte zu sprechen durch (den) Imiut: "Gib acht, Du! Gerecht richtet das Lot der Waage, wenn es stillsteht."
Ich habe eine Schreibung für "das Lot" gefunden, die eventuell die beiden Striche erklären könnte.
Ich habe schon in meinem Beitrag vom 04.10. genau den Zettel eingefügt! Die Schreibung (ganz unten) könnte in die Lücke im Ani-Papyrus passen und erklärt die beiden noch sichtbaren Striche, die Michael nicht einordnen konnte. (Wurden meine, im versteckten Text eingefügten Grafiken übersehen?)
Thomas, in deiner letzten Übersetzung ignorierst du das Zeichen G 14, das hier nicht so richtig reinpassen will. G 14, Lautwert pA, kann Demonstrativpronomen ("dieser"), Relativpronomen ("der, welcher") oder bestimmter Artikel ("der") sein (je nach Sprachstufe). Ich habe mehrere Zettel gefunden, wo pA als Anrede ("du") übersetzt wurde.
Michael, du schreibst, dass sowohl Thomas als auch ich das =s am Ende der Passage r aHaw=s ignorieren.
Ich sehe das Zeichen nicht als s
an, sondern als Y1
.
Die Buchrolle ist als Determinativ für aHa.w belegt (DZA 21.953.230).
Ich vertrete noch immer die Meinung, dass Anubis seine Worte an Thot richtet. Thot richtet die Wahrheit. "Der die Wahrheit richtet" ist ein Epitheton zu Thot.
Zur vergleichbaren Stelle im Papyrus Anhai: Michael, könnte das erste Zeichen in der letzten Spalte nicht ein F 34 jb (Herz) mit Logogrammstrich Z1 sein? So sieht das nämlich E. A. Wallis Budge:
Ich habe mehrere Zettel gefunden, wo pA als Anrede ("du") übersetzt wurde.
Deshalb habe ich das pA nicht mit übersetzt, weil ich das zum "Du" gehörend ansehe. Vielleicht könnte man noch …Gib ach du, der gerecht (aus)richtet das Lot der Waage… übersetzen. In der Grammatik von Edel ist dazu unter §927 ein schönes Beispiel, dass mich auf diesen Weg gebracht hat. Siehe Anhang.
Deinen Zettel habe ich gesehen, nicht aber die Logik der "beiden Striche".
Last but not least halte auch ich das letzte Zeichen nicht für ein "s" sondern für das "Y1".
Budges Lesung können wir wohl ignorieren: Ein jb mxA.t ist ansonsten nicht belegt (die Schreibung ähnelt sehr dem jb-Zeichen; siehe den von Euch beigefügten Zettel aus dem DZA).
Zitat:
Ich vertrete noch immer die Meinung, dass Anubis seine Worte an Thot richtet. Thot richtet die Wahrheit. "Der die Wahrheit richtet" ist ein Epitheton zu Thot.
Das stimmt zwar, aber ich meine, in diesem Kontext den Satz so zu verstehen, wie er auf diesem Zettel aus dem DZA angegeben ist: "es ist das Zünglein, welches die Wahrheit richtet"; auch wenn Thot angesprochen wird.