im Thread Übersetzungsübung: Aus gegebenem Anlaß ... hatten wir einen Ausschnitt aus dem Totenbuchspruch 175 zum Weltende übersetzt, der zu einem Gespräch zwischen Atum und Osiris im Jenseits gehört. Auch der vorangehende - etwas längere - Abschnitt ist sehr interessant und ungewöhnlich. Ich habe ihn in der Abbildung hervorgehoben.
Ich hoffe auf eine ähnlich rege Teilnahme wie zuvor!
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #1, Datum: 01.12.2009 um 22:47:38 »
Hallo, ich habe die Umschrift noch einmal bearbeitet, diesmal der Einfachheit halber direkt hier. Leider ließ sich so nicht alles 100%ig wiedergeben (z.B. in Kolumne 3 [N2] oder Kolumne 7 [Q7]).
1. Kolumne:
2. Kolumne:
3. Kolumne:
(N2 steht hier optisch mangels Darstellungsmöglichkeit für N46 der extended library)
4. Kolumne:
5. Kolumne:
6. Kolumne:
7. Kolumne:
8. Kolumne:
Zur Kolumne 3 bin ich mir nicht sicher, ob da O48 oder O50 stehen muss. Laut Zettelarchiv ist es anscheinend O48 (hier mit zwei schrägen Strichen). Dass ich mir aber nicht sicher bin liegt an Hannig Ägyptisch-Deutsch (S. 691 zu sp / zp, hier v.a. 691.2) bzw. an Wb 3, 437.1-8 (siehe TLA Lemma Nr. 70011 "zp-2", hier mit O50 dargestellt, bzw. an erwähntem Zettel.
Any sagt: Atum, was ist das, was ich durchwandere?
rs.t(i) iwgr.t ni mw=st nn TAw.w=st mDw
erwachend (im) "Land des Schweigens", es (hat) kein Wasser, es (hat) keine Luft (und) Tiefe…
Hier habe ich lange überlegt, wie das im Einklang zu bringen ist. Was ist "rs.t" und wie liest sich "jwgr.t"? Nach langem Hin und Her habe ich mich entschlossen, rs.t als "erwachen" zu lesen, obwohl ich die Schreibweise so nicht belegen kann. Das "t" ist für mich die Kennzeichnung als Partizip Prospektiv. Deshalb habe ich auch das "j" ergänzt = rs.tj. Eine Handlung also, die in der Zukunft spielt.
Das nachfolgende "jwgr.t" könnte ein enklitisches Partikel sein. Beispiele für diese Schreibung liefert die Altägyptische Grammatik von Elmar Edel sehr schön unter §830 ff. jwgr.t = ferner auch. Doch diese Lesung will mir nicht so recht in den Kontext der nachfolgenden Passage passen. Deshalb sehe ich hier das Substantiv "jwgr.t" = Nekropole, Totenreich oder "Land des Schweigens".
Die Stelle, die Dir soviel Probleme bereitet hat, ist m.E. folgendermaßen zu lesen:
SAs=j r smy.t jgr.t "ich wandere durch die Wüste der Nekropole"
smy.t "Wüste, Begräbnisstätte" (Hannig, Ägyptisch-Deutsch, S. 699) - man beachte die verkürzte Schreibung! Siehe auch Wb. III, 444-445. jgr.t "Totenreich, Unterwelt, Nekropole ('Land des Schweigens')" (Hannig, S. 110; sh. auch den Querverweis S. 37) - zur Schreibung: Wb. I, 141 - möglicherweise abgeleitet von gr "schweigen" (Hannig, S. 902)
Ich habe die Übersetzung bei weitem noch nicht fertig, aber an dieser Passage arbeite ich gerade. Aus meiner Sicht ist das O50, Marburger Edition, Seite 747, sp2 = a) zweimal b) [doppelt zu lesen] c) [wie ein Ausrufezeichen].
@Michael Vielen Dank für den Tipp. Hat mir sehr geholfen. Ich überarbeite das jetzt nochmals und werde dann ein Posting starten, wo ich die ganze Übersetzung Zug um Zug eintragen werde…
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #5, Datum: 04.12.2009 um 16:45:05 »
Hallo, Übersetzer!
Ich habe jetzt, vor Weihnachten, keine Zeit um eine vollständige Übersetzung dieses (nicht leichten) Textes auszuarbeiten. Dennoch werde ich versuchen, mich an der Diskussion zu beteiligen.
Zitat:
O48 oder O50
In meinem Hannig-Band Ägyptisch-Deutsch steht bei O48 handschriftlich ergänzt: "auch wie O50: zp". Die Austauschbarkeit der beiden Zeichen wird im Zettelarchiv bestätigt, siehe Zettel zur Schreibung von zp-2.
Im TLA wird für zp-2 neben der Übersetzung "zweimal" eine weitere Verwendung genannt: Betonung beim Adjektiv mit der Übersetzung "sehr":
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #6, Datum: 04.12.2009 um 20:12:31 »
Hallo Seschen,
wieder einmal gut recherchiert!
Dazu passend habe ich aus Alan Gardiner, Egyptian Grammar, §207 Comparative and suberlative herausgesucht:
Zitat:
… The same meaning could be produced by a repetition of the adverb, indicated in the writing by the signs sp sn "two times", "twice"; exx. mAa zp2 (zp sn) = very truly …
Zur Übersetzung liefere ich, wie schon gesagt, später mehr.
Any i itm.w iSst pw SAs=i r smy.t i(w)gr.t Any sagt: Atum, was ist es, (dass) ich wandere durch die Wüste der Nekropole?
Der von Wolfgang Schenkel benannte "pw-Spaltsatz". Das lesen von "smy.t" hätte ich alleine nicht hinbekommen. Wahrscheinlich gibt es dazu ein Pendant aus einem anderen Totenbuch?
ni mw=st nn TAw.w=st die (die Wüste) kein Wasser hat, die keine Luft hat st = (Pronomen 3. Pers. Plural; er, sie, es; hier in neutraler Form gebraucht sie = die)
mDw.ti kkw.t.ti HHi.ti anx.ti im(i)=s m-Htp ib die tief ist, die finster ist, die gesucht ist, indem sie lebend(ig) dem Frieden des Herzens gehört…
Trotz des Hinweises von Seschen und dem von mir beigesteuerten Paragraphen aus Alan Gardiners Grammatik, sehe ich hier sp2 nicht als "Steigerungsform". Die Endung "tj" ist wohl ein Pseudopartizip: (Altägyptische Grammatik, Elmar Edel, §572). Mit ihr soll die dritte Person singular weiblich ausgedrückt werden, also den Bezug zur Wüste aufrechthalten. Das ganze Konstrukt besteht aus Verb + Pseudopartizip-Endung + Markierung. Letzteres scheint mir mehr ein "Aufzählungszeichen" zu sein, um deutlich zu machen, dass nun mehrfach Nennungen folgen. Also dass der eigentliche Satz erst dann fortgeführt wird, wenn die "Markierung" wegfällt.
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #8, Datum: 05.12.2009 um 14:28:41 »
Hallo, Leute,
Zur Zeichendarstellung:
Spalte 1
Für das übliche Dd mdw "Worte zu sprechen" gibt es die Zeichenverbindung D&S43 (siehe Hilfefunktion).
Dd mdw jn "Worte zu sprechen ..."
Spalte 2
Das t im Fragewort jSst fehlt bei Ani, so daß geschrieben werden müßte:
jSs(t) pw "was ist das?"
Das Determinativ N25 "Fremdland" bei smy.t "Wüste" ist bei Ani nicht geschrieben.
Keine Pluralstriche bei
Spalte 3
Bei HHj sind die Striche Z4 zwischen die beiden H gesetzt, wohl aus graphischen Gründen.
Generell gilt: Die Hieroglyphen werden so gesetzt, wie sie im Original vorliegen. Wenn der hieroglyphische Text ergänzt oder korrigiert wird, so ist dies durch spezielle Zeichen wie "[" und "]" o.ä. kenntlich zu machen. In der Umschrift sind diese Korrekturen auch deutlich zu machen.
j "[Interjektion, Vokativ] o!" (Hannig, Ägyptisch-Deutsch, S. 21) Jtm "Atum" (S. 1193) - Für diesen Gott gibt es variierende Umschriften; ich halte mich mal an Hannig. jSst "was?" (S. 106) - jSst pw "was ist es?"
SAs=j r smy.t jgr.t "ich wandere durch die Wüste der Nekropole"
Erläuterung: Posting weiter oben
n(n) mw=s nn TAw=s "nicht gibt es ihr Wasser, nicht gibt es ihre Luft"
Das n bei nn ergänzt; es handelt sich um die sog. Haplographie (Auslassung von gleichen aufeinanderfolgenden Zeichen): Es müßte hier ein viertes n geschrieben werden. Zudem sind die beiden Passagen parallel aufzufassen. =s Suffixpronomen 3. Person Singular feminin (Hannig, S. 647) - dort fehlt allerdings die hier vorliegende Schreibung; siehe aber Wb. IV, 1. Karl Jansen-Winkeln, Spätmittelägyptische Grammatik der Texte der 3. Zwischenzeit, Wiesbaden, 1996, § 216 bemerkt zu diesem Pronomen:
Zitat:
Nebenformen sind
... bzw.
..., eine im Neuägyptischen bzw. Hieratischen übliche
Schreibung, in dieser Zeit häufig in ... Texten auf Särgen und funerären Papyri.
Zum Satztyp äußert sich Gardiner, Egyptian Grammar, § 108 "Non-existence or absence", Abschnitt 3: "Frequently nn '(there is) not' stands alone for 'there does (did) not exist'."
Spalte 2-3
mD.tj sp 2 kkw.tj sp 2 HHj.tj sp 2 "sie ist (ungeheuer) tief, (stock)finster und (sehr) suchend (?)"
mD "tief sein" (Hannig, S. 380) kkw "dunkel, finster sein" (S. 890) - Bei Ani scheint eine Vermischung mit dem Wort kkw.t "Dunkelheit, Finsternis" (a.a.O.) vorzuliegen; anders kann ich das .t nicht erklären. HHj "suchen, fehlen" (S. 557) - Eine gute Interpretation habe ich nicht; vielleicht im Sinne von: "ohne Orientierungszeichen" (so daß man suchen muß)?
.tj ist die Endung für das Pseudopartizip 3. Person Singular feminin (auch 2. Person Singular; das kommt hier aber wohl nicht in Frage). Bezugswort ist smy.t oder jgr.t (beide feminin). Mit dieser Konstruktion wird ein Umstand ausgedrückt (Gardiner, § 314 "Use of the old perfective as a clause of circumstance"):
Zitat:
... the old perfective may be rendered in English in many ways: by a predicatival adjective ('alone') or a participial construction ('you being prosperous', 'it having come'), by a clause of circumstance ('as I stood'), or by an adverb ('safely'). It may even be opportune at times to render it by a main clause.
anx.tj jm=s m Htp-jb "Du sollst / mögest in ihr (= dort) leben im Frieden des Herzens!"
.tj Pseudopartizip, diesmal als Antwort des Atum für die 2. Person Singular! Verwendung des Pseudopartizips bei Grüßen, Ermahnungen usw. (Gardiner, § 313 "Exclamatory use of the 2nd and 3rd persons"). jm von Präposition m bei Verwendung eines Suffixes (Hannig, S. 311). Bezugswort ist wieder smy.t or jgr.t.
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #9, Datum: 05.12.2009 um 16:01:32 »
Hallo Michael,
Zitat:
kkw "dunkel, finster sein" (S. 890) - Bei Ani scheint eine Vermischung mit dem Wort kkw.t "Dunkelheit, Finsternis" (a.a.O.) vorzuliegen; anders kann ich das .t nicht erklären.
Laut Zettelarchiv gibt es eine weibliche Schreibung von kkw DZA 30.616.920. Vielleicht findet sich hier eine Erklärung für das "t".
n(n) mw=s nn TAw=s "nicht gibt es ihr Wasser, nicht gibt es ihre Luft"
=s Suffixpronomen 3. Person Singular feminin = sie. nn Negation prädikativ gebraucht = es gibt nicht bzw. hier: sie gibt nicht … Wasser. Ginge das auch?
n(n) mw=s nn TAw=s "nicht gibt es ihr Wasser, nicht gibt es ihre Luft"
Das ist eine wörtliche Übersetzung, die sich im Deutschen nicht besonders gut anhört. Etwas freier, so wie Du es gemacht hast, als Relativsatz: "die kein Wasser und keine Luft hat" oder "Es gibt kein Wasser und keine Luft" oder ähnlich: Das ist völlig in Ordnung! Ich habe es nur gemacht, um die ägyptische Grammatik zu verdeutlichen.
Zitat:
Laut Zettelarchiv gibt es eine weibliche Schreibung von kkw
Das meinte ich ja mit meiner Bemerkung. Es liegt aber ein Verb vor: kkw "dunkel, finster sein". Hier scheinen sich aber die Experten auch nicht ganz einig zu sein: So heißt das Verb im Wb V, 144 nur: kk. Im TLA wird es als 3ae inf. gesehen: kkj (Lemma-Nr. 165620). Literatur zu diesem Verb ist mir nicht bekannt.
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #11, Datum: 06.12.2009 um 00:14:45 »
Lieber Michael,
Zitat:
HHj "suchen, fehlen" (S. 557) - Eine gute Interpretation habe ich nicht; vielleicht im Sinne von: "ohne Orientierungszeichen" (so daß man suchen muß)?
Im Zettelarchiv (z.B. hier) wird ja dieses bezogen auf die Unterwelt ("Nekropole" scheint mir hier zu kurz gegriffen) mit "die gesucht wird (=nicht zu finden ist?)" interpretiert. Das klingt plausibel. Kann es denn nicht auch so heißen: "die man (vergebens) sucht" im Sinne eines absolut verborgenen Ortes, den man nicht findet bzw. nicht finden kann, außer man ist an der Reihe? Das wäre m.E. eine plausible und verständliche Deutung.
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #12, Datum: 06.12.2009 um 11:56:43 »
Lieber Haiko,
ich weiß nicht ... Atum und Osiris sind doch in der Unterwelt; wieso muß sie dann noch gesucht werden? Wenn die Unterwelt tief und dunkel ist, dann irrt man suchend umher, stelle ich mir vor. Wie auch immer, ich kann das Fragezeichen des Zettelarchivs voll übernehmen! An der Gesamtinterpretation ändert diese Stelle aber wenig.
n iw gr.t nn ir.tw nDmm.t im=s Ausserdem ist es nicht (so), dass in ihr kein sexuelles Vergnügen gemacht wird...
Auch hier ist es recht schwierig, die Lesung für iwgr.t zu bestimmen. Für mich ist das nicht das Substantiv, sondern das enklitische Partikel, das sich an die Verneinung hängt – eine Art "Überleitung". (Siehe auch die Anhänge dazu, die in der Altägyptischen Grammatik von Elmar Edel gefunden habe) Wb. II, 381.15 nDmm.t: sexuelles Vergnügen
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #14, Datum: 07.12.2009 um 10:01:19 »
Lieber Michael, ich hatte es so gemeint, dass es die Lebenden sind, welche den Ort der Unterwelt (noch) nicht kennen bzw. nicht finden können. Denn ich könnte mir auch vorstellen, dass diese Aussage allgemeiner Natur ist, d.h. dass jene Welt nicht gefunden werden kann - außer man ist, wie ich es letztens ausgedrückt hatte, an der Reihe, d.h. gestorben. Aber natürlich könnte es auch so sein, wie Du es sagst. Und an der Gesamtinterpretation ändert es in der Tat nichts.