ich schließe mich Deiner Auffassung an, daß es sich um die enklitische Partikel grt handelt. Den Satz kann ich leider grammatikalisch nicht vollständig aufschlüsseln - wegen der doppelten Verneinung.
Zunächst zur Partikel grt (Gardiner, Egyptian Grammar, § 255):
Zitat:
grt, early also igrt ... takes the place, in Middle Egyptian, of Old Eg. gr (rarely igr), which hardly survives later except as an adverb meaning 'also', '(not) anymore' ... Hence the proper meaning of grt was doutbless likewise 'also', 'moreover'. In use, however, grt has a much weakened signification; the nearest English equivalent is the 'now' which claims the listener's attention, but frequently it is best left untranslated. ... Iw grt is a common combination ...
Wie sich hieraus ergibt, lassen sich die Erscheinungen der früheren Sprachstufe nicht immer und ohne weiteres auf das Mittelägyptische übertragen. Hinzu kommt, daß das Mittelägyptische in der 19. Dyn. und später gewisse Besonderheiten aufweist, denen Jansen-Winkeln in seiner bereits mehrfach zitierten Spätmittelägyptischen Grammatik nachgegangen ist. Zu grt notiert er in § 374: "Die Bedeutungsnuancen von grt sind - wie auch in klassischer Sprache - schwierig zu fassen."
grt (jgrt) "auch, ferner, aber" (Hannig, Ägyptisch-Deutsch, S. 902)
Mit dieser speziellen Partikel hat sich befaßt: Mahmoud El-Hamrawi, gr.t als Themenwechselpartikel im klassischen Ägyptisch, in: Linguae Aegyptiae, Bd. 7, S. 153-175 (2000). Dieser Artikel liegt mir leider nicht vor.
Eine weitere Besonderheit in diesem Satz ist anzumerken: Die Konstruktion nn sDm=f bezieht sich normalerweise auf Zukünftiges (Gardiner, §§ 104 und 457: "exclusively limited to events happening in the future"). Auch hier kommt der spätere Zeitpunkt der Aufzeichnung dieses Textes zum Zuge:
Zitat:
The distinction between nn and n is rather obscure ... In carelessly written texts the two are apt to be confused, especially after the middle of Dyn. XVIII.
Dies wird durch Jansen-Winkelns Untersuchung (§ 338) bestätigt:
Zitat:
Es ist offensichtlich, daß in dieser Zeit zwischen den Negationen n und nn keinerlei Unterschiede bestehen und beide in denselben Positionen mit denselben Bedeutungen gebraucht werden können.
Der Satz ist daher so zu verstehen und zu übersetzen, wie Du es gemacht hast!
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #16, Datum: 07.12.2009 um 22:24:11 »
Hallo, ich biete nunmehr folgenden Versuch zu den "restlichen" Kolumnen (spätere Korrekturen seitens anderer Teilnehmer werden möglichst kenntlich gemacht):
jm=z rd.n=j Axw m jsw mw TAw(.w) (ab rD.n=j: "Ich habe gegeben (Ach-)Verklärtheit an Stelle von Wasser, Lust und sexueller Befriedigung"
Hna nDmmt Htp jb m jsw t (tA) "zusammen mit (=und) sexueller Befriedigung* (und) Frieden des Herzens an Stelle von Brot"
---------------------------- * Ich bin mir nicht sicher, ob hinsichtlich Kolumne 3 und 4 und im Hinblick auf Thomas' Übersetzung (Antwort #13) hier ein Widerspruch in Text oder Übersetzungen besteht oder nicht. Mir ist noch nicht klar, ob es die sexuelle Vergnügung nun in der Unterwelt gibt oder nicht bzw. ob diese durch etwas ersetzt wird oder diese selbst etwas ersetzt. Siehe auch Antwort # 18 weiter unten. (in Hannig Ägypt.-Deutsch S. 450 wird nDmmt auch mit Lust und Leidenschaft übersetzt, und in Hinblick auf "jrj nDmmt" mit Bedeutung a "s. amüsieren" oder "s. vergnügen" wohl im allgemeinen Sinne evtl. auch allgemein interpretierbar, d.h. nicht unbedingt nur sexuell) -----------------------------------------
Kolumne 5 (Anfang der Kolumne):
Hnqt xrwj=fj sw Jtm m mAA Hr=k nn gr.t "(und) Bier. So sprach er, (nämlich) Atum, welcher sieht dein Gesicht. Aber nicht"
wxd=j gA=k jw nTr nb hAb.n=f "ertrage ich (werde ich ertragen) deine Not. Jeder Gott schickt (schicke)"
Kolumne 6:
nst=f m xntj HH(w) jw nst=k n sA=k Hr "seinen Thron in(nerhalb von) Millionen (Jahren) . Wahrlich, dein Thron ist für deinen Sohn Horus (gehört deinem Sohn Horus)."
xrwj=fj Jtm wnn gr.t hAb=f wr(w) "So sprach Atum. Ferner sandte er aus (entsandte er) die Großen"
Kolumne 7:
jw=f gr.t HqA.t=f nst=k jw=f r jwa nst "Wahrlich, auch übt (übe) er Herrschaft aus über deinen Thron. Und er wird (werde) den Thron erben"
jmj jw nsrsr wD gr.t mAA.n=j snnw.t=f Hr=j "auf der Flammeninsel. Befohlen wird ferner, dass er mich sehe als seinen Zweiten (Gefährten?)*, (und) mein Gesicht"
------------------------- * Liegt hier bei snnw.t nicht aber ein femininum vor? siehe hier oder hier oder hier oder hier oder hier u.a.m. sowie u.a. hier oder hier oder hier oder hier u.a.m. -------------------------
Kolumne 8:
r mAA Hr n nb Jtm jSs.t pw aHaw m anx xrwj=fj jw=... "sehe (erblicke) das Gesicht des Herrn, Atum. Was (wie) ist die (d.h. meine) Zeit zum Leben (Lebenszeit)? (Und) so sprach er:"
=k r HH(w) n HH(w) aHaw n HH(w) "Du mögest sein Millionen von Millionen (Abermillionen Jahre leben), (eine) Lebenszeit von Millionen (Jahren)"
ich denke, man kann das tatsächlich auch so übersetzen:
n(i) iw gr.t nn ir.tw nDmm.t im=s Ausserdem ist es nicht (so), (dass) in ihr keine Lust entstehen wird...
r D(.t) n=i Ax.t m isw.t mw TAw Mir wird gegeben (r + Infinitiv = Future) Herrlichkeit als Ersatz für Wasser, Wind…
Hna nDmm.t Htp(.t) ib m isw.t tA Hnq.t …und Lust. Das Herz (wird) zufrieden sein als Ersatz für Brot (und) Bier!
Hna Vor Substantiven, Infinitiven und Suffixpronomina • Begleitung/cominativ: "zusammen mit" oder "und" (nie instrumental "mittels") • Koordination von Infinitiven • Teil der Verbalrektion (je nach Analyse)
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #18, Datum: 09.12.2009 um 14:04:41 »
Hallo Thomas,
Damit wäre der vermeintliche Widerspruch ja hinfällig weil aufgelöst. Ich finde diese Lösung elegant und schlüssig, obgleich ich noch immer in gewissem Zweifel bin. Das Materielle, Irdische und die menschlichen Bedürfnisse (Wasser, Wind, Lust, Brot, Bier) werden ersetzt duch das Spirituelle, Höhere (Herrlichkeit, Zufriedenheit des Herzens), und die Lust würde dennoch zu kommen grundsätzlich möglich sein, sofern deine Übersetzung zutrifft. Denn nach wie vor sehe ich einen inhaltlichen Widerspruch zwischen den Formulierungen, d.h einerseits "Ausserdem ist es nicht (so), (dass) in ihr keine Lust entstehen wird..." (Ist es wirklich eine doppelte Verneinung, welche das Ganze ins Bejahende umkehrt?) und andererseits schon gleich danach "Mir wird gegeben Herrlichkeit als Ersatz für Wasser, Wind und Lust", ähnlich meiner Formulierung, indem die Lust nun im Gegensatz dazu durch Herrlichkeit/Verklärung ersetzt wird, diese also ausschließt.
xrw.i=fi sw itm m mAA(.wt) Hr=k So sprach er (Marburger Edition, Seite 661), Atum, in Anblick (Marburger Edition, Seite 333) deines Gesichtes.
***P.S. Ich frage mich allerdings, ob xrw.(t)i=fi nicht die Relativform ist, die hier den direkten Bezug zu einem maskulinen Wort steht. Deshalb fehlt die Endung "t" bei "xrw". Die Grundbeutung wäre dann "(einer), der sprechen wird". Also in die Zukunft gerichtet = "So wird sprechen Atum ..." Die Deutung liegt dann auf der Tatsache, dass er es quasi immer wieder tun wird ...
Axw m jsw mw TAw Hna nDmm.t "(Ach-)Verklärtheit an Stelle von Wasser, Lust und sexueller Befriedigung"
Htp jb m jsw t Hnq.t "(und) Frieden des Herzens an Stelle von Brot (und) Bier"
Atum spricht - wie weiter unten angegeben - zu Osiris; daher rdj.n=j "ich habe gegeben ...". Das Hna "zusammen mit, und" schließt die eine Aufzählung ab. Das ist an der parallelen Konstruktion der Satzteile deutlich abzulesen: X m jsw Y.
D37 "Arm mit Brot" steht oft für rdj / dj (Hannig, Ägyptisch-Deutsch, S. 1036-1037). Lesung rdj bzw. dj ist die mittelägyptische Aussprache, während es im Altägyptischen rDj bzw. Dj hieß.
TAw "Luft, Wind" (Hannig, Ägyptisch-Deutsch, S. 947) wird zwar mit Pluralstrichen geschrieben, ist aber als Singular aufzufassen. Hierzu Gardiner, Egyptian Grammar, § 77 "Apparent duals and plurals":
Zitat:
Certain words ending in -w, mostly abstracts, are by a false analogy written like plurals ... Other words sometimes written like plurals such as jrp 'wine', nbw 'old', are treated grammatically as singulars ...
Spalte 5
xrwj=fj sw Jtm "so sprach er, (nämlich) Atum"
xrwj=fj "so sagt(e) er (Ende des Zitats)" xrwj=fj sw "so sprach er" (Hannig, S. 614)
Zu diesem speziellen Verb schreibt Gardiner, § 437:
Zitat:
A verb xr(w) 'cry' connected with xrw 'voice' is evidenced in the Coffins by xr=sn 'say they'. The strange writings [wie hier] are found both here and in later M. E. hieratic; the incomprehensible =fy is followed by a noun, a dependent pronoun, or both, and seems wholly superfluous. Exx. ... xr(y)=fy sw Jtm says he, namely Atum
Hier steht gr.t als enklitisches Partikel. "nn" ist hier die Verneinung und gleichzeitig das Prädikat und "ersetzt" sozusagen das normalerweise dort stehende Verb = es gibt nicht. Da "nn" eine Handlung in der Zukunft andeutet = es wird/soll/muss nicht geben…
iw nTr nb hAb n=f nst=f m xnti HH(.w)
Es ist jeder Gott (ein von) ihm Abgesandter seines Thrones, als Erster der Ewigkeit
(s)wD gr.t mAA n=i sn-nw.t=f Hr.i r mAA Hr n.(i) nb
Ferner vererbt (sich) der Anblick für sein zweites Ich. Mein Gesicht wird erblicken (das) Gesicht des Herrn!
itm iSs.t pw aHaw m anx hrwi=fi
Atum, was ist die Zeit im Leben? … so sprach er
Eigentlich heißt iSs.t pw ja "Was ist es?". Aber im Satzzusammenhang lasse ich das "es" mal weg. Ich muss aber zugeben, dass ich auch enttäuscht bin. Eigentlich vermutete ich, dass hier "Wie steht es nun mit der Lebenszeit, die dort [im Jenseits] verbracht wird?" stehen wird … oder ähnliches …
Betrachte ich also alleine den Papyrus Ani, dann deute ich die Frage: "Wie genau interpretiert sich die Zeitspanne "Leben" …"
iw=k r HH(w) n(.i) HH(w) aHaw n(.i) HH(w)
Du bist es, im Vergleich zu Millionen von Millionen. (Eine) Lebenszeit von Millionen!(r = Bezug/Hinsicht/Vergleich)
Die Antwort auf die Frage ist so einleuchtend wie einfach. Der Tote Ani ist das Leben in "seiner" Zeitspanne von Millionen anderen.
So hat es Erik Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, Zürich / München, 1979, S. 366 übersetzt. Diese Passage steht nach xrwj=fj sw Itm, das die vorangehende direkte Rede abschließt. Danach folgt mit der Verneinung nn ein neuer Satz. Es bleibt also nur der oben angegebene Satz übrig. Wörtlich müßten wir übersetzen: "Dein Angesicht schaut." Nach Gardiner, Egyptian Grammar, § 491 können Fragen, auf die man mit "ja" oder "nein" antworten kann, nicht besonders gekennzeichnet sein; solche Beispiele seien aber selten. Man könnte auch mit Gardiner, § 506, 1 "Ellipse" argumentieren, daß an sich notwendige Satzteile ausgelassen wurden; das kommt besonders bei Fragen vor. Denkbar wäre noch, doch Itm mit herüberzuziehen:
Itm mAA(.w) Hr=k "Atum schaut dein Angesicht."
mAA(.w) als Pseudopartizip, wobei die Endung oft weggelassen wird; das Ganze wäre dann als pseudoverbale Konstruktion aufzufassen. Jedoch hat man ein Problem mit dem Sinn: Warum sollte Atum das Angesicht des Osiris schauen wollen; Atum ist doch der Urgott!
Zur Klärung habe ich die Stelle mit der des Papyrus Cha verglichen; dort heißt es ausführlicher (Spalte 4-5):
mr.wj r=j nb=j tm mAA Hr=k "Wie schmerzhaft ist es gegen mich, mein Herr, dein Angesicht nicht zu schauen!"
mr "(1) schmerzen, krank sein ... (4) seelisch schlimm sein" (Hannig, Ägyptisch-Deutsch, S. 344). Das erste Zeichen ist U23 "Meißel" mit Lesung u.a. mr. Die Schreibung dieses Zeichens könnte vom Hieratischen her erklärt werden. Die Endung .wj wird angehängt, um einen Ausruf darzustellen (Gardiner, § 49):
Zitat:
The ending .wj ... is sometimes added to adjectival predicates in order to give them an exclamatory force. Ex. nfr.wj pr pn how beautiful is this house!
r "(2) [Opposition] gegen (Person, Sache, bes. feindlich)" (Hannig, S. 453) tm ist ein Negationsverb (Hannig, S. 931-932). Es wird u.a. verwendet, um einen Infinitiv zu negieren (Gardiner, § 348):
Zitat:
In order to negate the infinitive, the negative verb tm is itself put into the infinitive and followed by the negatival complement.
Das Negativkomplement ist eine spezielle Verbform, die nach Negationen eingesetzt wird (Gardiner, § 341 "Negatival complement"). Die zugehörige Endung .w wird nur selten ausgeschrieben.
Der Satz lautet also wörtlich: "Wie schmerzhaft ... ist das Nichtschauen deines Angesichtes!"
Bei Ani ist diese Stelle verkürzt auf: mAA Hr=k "Schauen deines Angesichtes", möglicherweise mit fragendem Unterton, was wir aber nicht hören bzw. wissen können. Der eigentliche Sinn, nämlich das "Nichtschauen können von Atums Angesicht", ist verloren gegangen!
Der Ausschnitt aus dem Totenbuch des Cha stammt aus: Ernesto Schiaparelli, Relazione sui lavori della Missione Archeologica Italiana in Egitto (anni 1903-1920), vol. 2: La tomba intatta dell'architetto Cha nella necropoli di Tebe, Torino, 1927, S. 60.
nn grt wxd=j gAw=k "nicht aber will ich dulden deine Not / deinen Mangel"
gAw "Mangel, Not" (Hannig, Ägyptisch-Deutsch, S. 893) ist aufgrund der Determinative als Substantiv aufzufassen. Eine Übersetzung wie "..., daß Du Mangel leidest" ist nur etwas flüssiger im Deutschen.
Zum nn sDm=f hatte ich mich weiter oben geäußert.
Ein t braucht bei wxd=j nicht ergänzt zu werden.
Spalte 5-6
jw nTr nb hbj.n=f ns.t=f m-xnt HH.w "jeder Gott aber, er hat seinen Sitz an der Spitze der Millionen betreten (eingenommen)"
Dieser Satz ist nicht ganz einfach! Nach einigem Knobeln biete ich folgende Lösung an:
Zunächst ein Blick auf die Parallele in pCha:
nTr nb hbj.n=f ns.t=f m wjA n HH.w "jeder Gott, er hat seinen Sitz (Platz) in der Barke der Millionen betreten (eingenommen)"
hbj "eindringen, betreten (Ort, Land, Weg)" (Hannig, S. 490) - dort auch die Schreibvariante mit A. Die naheliegende Lesung hAb "schicken, aussenden" (Hannig, S. 487-488) führt zu Verständnisproblemen: "jeder Gott, er hat seinen Sitz in der Barke der Millionen geschickt": was soll das heißen? "zur Barke" müßte mit der Präposition n, "an die Barke" mit r verwendet werden. Der Sitz im Sonnenschiff wird nicht geschickt, gesendet, er ist bereits dort; man nimmt seinen Platz darauf ein. wjA n HH.w "Barke der Millionen (der seligen Toten)" (Hannig, S. 180) - Bei Cha ist statt des A in wjA fehlerhaft ein m geschrieben!
Beim Satztyp handelt es sich um die "Emphasis by Anticipation" (Gardiner, Egyptian Grammar, § 148, 1). Ein zu betonendes Wort wird an den Satzanfang gestellt - in diesem Fall das Subjekt des Satzes -; im Satz selbst wird es durch ein Pronomen wieder aufgenommen (§ 146).
Nun zu Ani! Statt wjA n HH.w lesen wir die Variante m-xnt HH.w "an der Spitze von Millionen" m-xnt "vorn vor, an der Spitze von" (Hannig, S. 607)
So weit, so gut: Was aber ist mit dem einleitenden jw? Als Erklärung würde ich Gardiner, § 468 "Appendix. Exceptional cases of jw" heranziehen:
Zitat:
Sometimes jw is employed to bring out strong contrast ... It is found also with the sDm=f form.
Diesen Gegensatz habe ich mit dem Wort "aber" ausgedrückt.
Spalte 6
jw ns.t=k n sA=k Hr xrwj=fj Itm "'dein Sitz gehört deinem Sohn Horus', so sprach er, (nämlich) Atum"
wnn grt hAb=f smsw.w "wird er aber die Ältesten aussenden?"
hAb "schicken, aussenden" (Hannig, S. 487) - die Variante bei Cha lautet:
wnn grt hAj n=f smsw "wird der Älteste für ihn herabsteigen?"
hAj "herabsteigen" (Hannig, S. 485), denn hier fehlt das b bei hA! smsw steht im Singular, während bei Ani deutlich die Pluralstriche angegeben sind. Zudem hat Cha noch ein n, so daß sich ein anderer Satz ergibt.
Zur Lesung A19 als smsw siehe meine Bemerkung im Thread Aus gegebenem Anlaß .... Zur Interpretation als Frage siehe mein früheres Posting in diesem Thread.
Spalte 7
jw=f grt HqA=f ns.t=k "er hat ja deinen Thron in Besitz genommen" (wörtlich: "er beherrscht ja deinen Thron")
HqA ns.t "Throninhaber" (Hannig, S. 563) - hier ist aber HqA als Verb "herrschen, beherrschen, in Besitz nehmen" aufzufassen; das ergibt sich aus der Satzkonstruktion jw=f sDm=f (Näheres zum Satztyp bei Gardiner, § 463).
Bei Cha steht jdb.wj "die Beiden Ufer (Ägypten)" (Hannig, S. 117) statt ns.t=k
jw=f r jwa ns.t jm(.t) jw-nsrsr "er wird den Thron erben, der auf der Flammeninsel ist"
jw=f r sDm pseudoverbale Konstruktion, um Zukünftiges auszudrücken (Gardiner, § 332 "The pseudo-verbal construction with r + infinitive"). jwa "erben, beerben" (Hannig, S. 33) jmj "[Adjektiv, Nisbe zu Präposition m] darin (befindlich) sein" - hier ist das .t ergänzt, da es sich auf ein feminines Substantiv bezieht (ns.t); siehe auch bei Cha. jw-nsrsr "Flammeninsel" (Hannig, S. 433)
Variante bei Cha:
jw=f r iwaw ns.t=j jm.t jw-nsrsr "er wird zum Erben meines Throns, der auf der Flammeninsel ist"
jwaw "Erbe" (Hannig, S. 33), durch das Determinativ A1 als Substantiv kenntlich gemacht. Daher ist die Satzkonstruktion eine andere (Gardiner, § 122 "Use of the preposition r to indicate a future condition"):
Zitat:
Closely parallel to the m of predication is what may be termed the r of futurity. Exx. jw=f r smr he shall be (lit. is towards) a Companion.
wD grt mAn=j sn.nw=f "befiehl aber, daß ich seinen Gefährten sehe"
wD "befehlen" (Hannig, S. 229) - man beachte die Umstellung der Zeichen aus graphischen Gründen (Gardiner, § 56 "Graphic transposition"):
Zitat:
Thin vertical signs show a peculiar tendency to precede a bird which they ought properly to follow.
mAn ist eine Nebenform von mAA für das perfektische sDm=f (Gardiner, § 448 unter 2ae gem.); gelegentlich auch für das imperfektische sDm=f (§ 439 unter 2ae gem.: "... which exhibits an unusual change of A into n ..."). Weitere Erläuterung auch zum Infinitiv von mAA bei Allen, Middle-Egyptian, § 14.3.2c:
Zitat:
The infinitive of mAA sometimes also has a final n, usually before a pronomial suffix: mAn=f "to see him." This n appears for the same reason that other Egyptian words sometimes vary between spellings with A and n. It is nothing more than a variant spelling of whatever consonant is actually represented by A: thus, mA=f and mAn=f both probably represent the spoken form ...
sn.nw "der Zweite, Gefährte, Kollege" sn.nw=f "sein Gefährte" (Hannig, S. 714) - Das .t scheint mir zuviel zu sein. Ani lebte in der 19. Dyn., wo überflüssiges .t häufig anzutreffen ist (Karl Jansen-Winkeln, Spätmittelägyptische Grammatik, Wiesbaden, 1996, § 32 "t als 'Determinativ' oder Füllzeichen").
Bei Cha heißt es etwas abweichend:
s.wD grt mAn nTr sn.nw=f "empfiehl aber, daß ein Gott seinen Gefährten sehe"
s.wD "überweisen, zuweisen, anvertrauen" (Hannig, S. 682) - scheint gar nicht zu passen; ein Blick in Wb. IV, 78 zeigt die bei Hannig fehlende Bedeutung im Totenbuch: "einem Gott 'empfehlen'"
Spalte 7-8
Hr=j r mAA Hr n nb tm "mein Gesicht soll schauen das Gesicht des Allherrn"
nb tm "Herr das Alls" (Hannig, S. 932) Wiederum pseudoverbale Konstruktion mit r + Infinitiv (siehe oben; Gardiner, § 332).
Spalte 8
jSst pw aHaw(=j) m anx xrwj=fj "'was ist es, meine Lebenszeit?', so sagte (fragte) er"
jSst "was?" jSst pw "was ist es?" (Hannig, S. 106) aHaw "Lebenszeit" (Hannig, S. 156) aHaw n anx "Lebenszeit, Lebensspanne" - siehe auch das von Hannig aufgeführte Beispiel aHaw=f m anx Hr tp tA "seine Lebenszeit auf Erden" - wörtlich wohl als "meine Dauer als Leben" aufzufassen. Gemäß Parallele im pCha habe ich das Suffix =j ergänzt.
Bei Cha heißt es am Schluß: xrwj=fj Wsjr "so sagte er, (nämlich) Osiris". So ist klar, wer diese Frage an wen stellt.
jw=k r HH.w n HH.w aHaw n HH.w "du wirst sein Millionen von Millionen (Jahren), eine Lebenszeit von Millionen (Jahren)"
HH n HH.w "Million von Millionen" (Hannig, S. 557)
Daran schließt sich die Passage an, die wir im Thread Aus gegebenem Anlaß ... bereits bearbeitet haben.
Re: Übersetzungsübung: Das Jenseitsgespräch (Tb 175)
« Antwort #26, Datum: 20.01.2010 um 22:06:51 »
Hallo, Leute,
nun abschließend noch eine Zusammenfassung!
Tb 175 setzt sich aus drei Abschnitten zusammen:
Atum spricht mit Thot über Maßnahmen gegen die "Aufrührer" - inhaltlich ähnlich wie im "Buch über die Himmelskuh".
Osiris und Atum sprechen über das Jenseits und das Weltende - diesen Teil haben wir übersetzt.
Im dritten Teil geht es um den Sieg von Osiris über Seth.
Man kann sich schon fragen, inwieweit diese drei Abschnitte zusammengehören.
Das Jenseitsgespräch zwischen Osiris und Atum
Nach der Überlieferung des pAni. Nur die Varianten aus pCha sind angegeben, die unklare Textstellen bei Ani erhellen können.
Spalte 1 Worte zu sprechen durch den Osiris Ani:
Spalte 2 [OSIRIS] "O, Atum, was ist / soll das, (daß) ich durch die Wüste der Nekropole wandere? Sie hat kein Wasser, sie hat keine Luft [wörtlich: Nicht gibt es ihr Wasser, nicht gibt es ihre Luft], ..."
Spalte 2-3 [weiter OSIRIS] "... sie ist (ungeheuer) tief, (stock)finster und ohne Orientierung (?)" [Hornung: "ganz unendlich"] [ATUM] "Du sollst in ihr leben im Frieden des Herzens!" [OSIRIS] "Ausserdem ist es nicht (so), daß in ihr kein sexuelles Vergnügen gemacht wird!"
Spalte 4-5 [ATUM] "Ich habe (Ach-)Verklärtheit gegeben an Stelle von Wasser, Lust und sexueller Befriedigung (und) Frieden des Herzens an Stelle von Brot (und) Bier", so sprach er, (nämlich) Atum.
Spalte 5 [OSIRIS] "Dein Angesicht schauen?" Variante pCha: "Wie schmerzhaft ist es für mich, mein Herr, dein Angesicht nicht zu schauen!" [ATUM] "Ich dulde aber nicht, daß du Mangel leidest." (wörtlich: deinen Mangel)
Spalte 5-6 [OSIRIS] "Jeder Gott aber, er hat seinen Sitz an der Spitze der Millionen betreten (eingenommen)!"
Spalte 6 [ATUM] "Dein Sitz gehört deinem Sohn Horus", so sprach er, (nämlich) Atum. [OSIRIS] "Wird er aber die Ältesten aussenden?" Variante pCha: "Wird der Älteste für ihn herabsteigen?"
Spalte 7 [ATUM] "Er hat ja deinen Thron in Besitz genommen ..." (wörtlich: "er beherrscht ja deinen Thron") "... (und) er wird den Thron erben, der auf der Flammeninsel ist." Variante pCha: "... er wird zum Erben meines Throns, der auf der Flammeninsel ist."
[OSIRIS] "Befiehl aber, daß ich seinen Gefährten sehe!" Variante pCha: "Empfiehl aber, daß ein Gott seinen Gefährten sehe!"
Spalte 7-8 [weiter OSIRIS] "Mein Gesicht soll schauen das Gesicht des Allherrn!"
Spalte 8 [weiter OSIRIS] "Was ist es, meine Lebenszeit?", so sagte (fragte) er. Variante pCha: so sagte (fragte) er, (nämlich) Osiris.
[ATUM] "Du wirst sein Millionen von Millionen (Jahren), eine Lebenszeit von Millionen (Jahren)."
Spalte 8-9 [weiter ATUM] "Ich habe veranlaßt, daß er die Ältesten sandte."
Spalte 9 [weiter ATUM] "Ferner werde ich all das, was ich geschaffen habe, zerstören."
Spalte 9-10 [weiter ATUM] "Diese Erde wird (zurück)gehen in den Nun, in die Flut, wie ihr früherer Zustand war."
Spalte 10 [weiter ATUM] "Ich bin es, der übrigbleibt, zusammen mit Osiris, ..." Variante pCha: "Ich bin einer, der übrigbleiben wird, zusammen mit Osiris, ..."
Spalte 10-11 [weiter ATUM] "... (nachdem) ich mich in andere Schlangen verwandelt habe; die Menschen werden sie nicht kennen ..." Variante pCha: "welche die Menschen nicht kennen" [weiter ATUM] "... (und) die Götter werden sie nicht sehen."
Dieser Text ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert:
Das Jenseits wird als düsterer Ort beschrieben; nichts ist mehr übrig von den paradiesischen Gefilden, von denen wir sonst so viel hören.
Die körperlichen Bedürfnisse - Hunger, Durst, sexuelles Verlangen - werden vergeistigt befriedigt ("sublimiert", möchte man mit Freud sagen) durch den Frieden des Herzens, der durch das Schauen der Gottheit erreicht wird. Dies steht völlig im Gegensatz zu den vieltausendfachen Wünschen nach dem Totenopfer - konkret: Brot, Bier usw. -, das dem Verstorbenen gewährt werden soll.
Schließlich wird ausgesprochen, daß das Jenseits zwar sehr lange währt, aber doch nicht ewig ist - trotz der oft wiederholten Formel "ewig und immerdar". Die Welt in ihrer Gesamtheit wird in den weitgehend unstrukturierten Urzustand zurückkehren.
Das sind doch schon ziemlich abstrakte, um nicht zu sagen: fast philosophische Betrachtungen!
Das Jenseitsgespräch zwischen Atum und Osiris, das einen Teil des Tb 175 darstellt, geht nach dem Teil, das wir bearbeitet haben, noch weiter. Ich habe die Abbildungen aus pAni und pCha in eine pdf-Datei gepackt, um sie in höherer Auflösung zur Verfügung zu stellen, als es die üblichen jpg-Anhänge erlauben. Sie enthalten das komplette Jenseitsgespräch in der jeweiligen Fassung.
S. 1: Der Ausschnitt aus pAni = London, BM 10.470 stammt aus: Edmund Dondelinger, Papyrus Ani (BM 10.470), Graz, 1978, Tafel 29.
S. 2: Der Abschnitt aus pCha = Turin, Museo Egizio 8438 stammt aus: Ernesto Schiaparelli, Relazione sui lavori della Missione Archeologica Italiana in Egitto (anni 1903-1920), vol. 2: La tomba intatta dell'architetto Cha nella necropoli di Tebe, Torino, 1927 (Reprint 2007), S. 60.