gestern stolperte ich über eine beschreibung der narmer palette, und darüber, dass auf der einen seite der falke auf sechs lotosblüten sitzt.
soweit sogut. nun wurde aber draufhingewiesen, dass eine lotosblüte ja auch tausend heißt, dass diese stelle (mit dem davorliegenden gefangenen) also als 6000 gefangene zu interpretieren sei.
das verstörte mich ein bisschen, schließlich hab ich mir bilder der hübschen palette schon wer weiß wie oft angesehn, aber bin nie darauf gekommen, die blüten als zahl zu interpretieren.
nun sind ja lotosblüten ein sehr häufiges motiv, und ich habe zweifel, dass sie stets zahlen sind. deswegen hier die frage, kann mir jemand mit einer heuristik weiterhelfen, wann ich an die zahlbedeutung denken sollte, und wann eher nicht?
die frage lässt sich natürlich schnell verallgemeinern. im collier/manley gibt es schon sehr am anfang (S. 13, viel weiter bin ich noch nicht) ein beispiel, wo ein teil des bildes gleichzeitig determinativ des textes ist. auch darauf wäre ich natürlich nie gekommen.
gibt es regeln, nach denen man so etwas identifiziert, oder ist das halt die erfahrung, die man erst nach jahren der übung erwirbt?
danke und grüße,
nacht
Gitta Gast
Re: wann schrift, wann bild?
« Antwort #1, Datum: 29.09.2003 um 22:54:19 »
Hallo Nacht,
Zitat:
gibt es regeln, nach denen man so etwas identifiziert?
Ich fürchte nein. Bei ägyptischen Texten kann man vieles nur verstehen, wenn man es im Zusammenhang betrachtet. Das Zeichen für Tausend
steht sicher nie allein, sondern immer im Zusammenhang mit irgendwelchen Dingen, deren Anzahl benannt werden soll. In Opferformeln z.B. ist sehr oft von "tausend Broten", "tausend Bier" usw. die Rede.
Manchmal sind Worte in einem Text nicht ausgeschrieben, sondern werden nur mit ihrem Determinativ ausgedrückt, oder - wie Dein Beispiel aus Collin/Manley - die Darstellung eines Mannes, die man eigentlich nur für seine Abbildung hält, ist gleichzeitig das Determinativ zu seinem Namen. In dem Fall wird die Abbildung in den Text mit einbezogen.
Es ist wie Du vermutest: man braucht einige Übung.
Soweit das, was ich dazu sagen kann. Falls ich schief liege, werden unsere Schrift-Experten das sicher gern korrigieren.
Gitta
nacht Gast - Themenstarter
Re: wann schrift, wann bild?
« Antwort #2, Datum: 30.09.2003 um 09:10:41 »
danke gitta!
noch ein konkreteres beispiel: im louvre gibts ein schönes bild, wo eine freundlich dreinschauende dame, ich weiß leider nicht wer, zwei krüge in der hand hält. je hand ein krug. vermutlich, um sie den göttern zu opfern.
nun hat sie außerdem, und ich dachte immer, dies wäre nur zur behübschung, in jeder hand eine lotosblume. den stiel unter dem krug entlang, so dass blüte und das ende des stiels nach unten herabhängen.
ein sehr schönes bild. und nun fange ich an zu überlegen, ob es bedeutet, sie habe zweitausend krüge geopfert.
eine frage, die sich dabei ergibt ist, ob eindeutige lesarten zu erwarten sind. haben die schreiber damals mit den mehrdeutigkeiten ihrer schrift gespielt, oder haben sie versucht, sich klar auszudrücken (und nur wir interpretieren mehrdeutig)? wie man dies heute entscheiden kann, ist mir nicht recht klar.
liebe grüße, nacht
Gitta Gast
Re: wann schrift, wann bild?
« Antwort #3, Datum: 30.09.2003 um 15:13:32 »
Hallo Nacht,
das Bild kenne ich nicht explizit. Aber in dem Fall ist die Lotusblume sicherlich kein Zahlzeichen, sondern wirklich ein Lotus, der ja auch zu den Opfergaben zählen kann. Wahrscheinlich hat die Blume auch die Form einer solchen (mit Blütenblättern). Der Lotus als Zahl hat eigentlich immer die Form wie s.o. Die Narmer-Palette kann man nicht als Grundlage verwenden, da die dort dargestellten Zeichen ja zu den ältesten gehören und noch nicht ausgereift sind.
Gitta
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