zum Jahresende möchte ich eine kleine Übersetzungsübung für die Hieroglyphenfreaks vorschlagen, von denen ich hoffe, dass es sie hier noch gibt.
Auf diese Stele bin ich durch einen Link gekommen, den Lolli2u hier kürzlich eingestellt hat. Sie stammt nicht aus der d'Anastasi-Sammlung wie andere Stücke auf dieser Seite, ist aber dennoch interessant.
Zunächst besteht die Aufgabe darin, die Hieroglyphen zu erkennen. Danach steht die Übersetzung an.
Bitte nutzt diese, die hidden-Funktion, wenn Ihr Eure Vorschläge schickt.
Die Aufgabe sollte bis zum Wochenende bearbeitet werden; auf Wunsch lässt sich die Frist auch verlängern, aber allzulange sollte die Übersetzung nicht aufgeschoben werden.
Der Gott ist Min-Hor-Nacht, die abydenische Form von Min. Hauptteil: "Die Bewohner der Duat küssen den Boden, die Ausländer verbeugen sich, die Achu sind in Freude,wenn sie ihn sehen, die, die dort sind, fürchten ihn, und die Zwei Länder huldigen ihm."
Hallo, Chontamenti - und auch an die anderen, die neu in solche Übersetzungsübungen einsteigen wollen,
einige Hinweise:
Auf der Stele sind die Inschriften verteilt. Ganz oben unter dem runden Bogen der Stele - dieser Teil wird auch Lunette genannt - ist auf dem linken Teil eine Inschrift. Direkt darunter sind zwei Zeilen, und unter diesen zwei Spalten. Schließlich steht hinter dem Gott eine kleine Figur mit einer Beischrift.
Daher die erste Frage: Auf welchen Teil bezieht sich Dein Übersetzungsversuch?
Zum zweiten ist es guter Brauch zu erklären, wie man darauf gekommen ist. Hat man ein Wörterbuch benutzt, so gibt man die Vokabel an und die Seite, wo man sie gefunden hat, oder sonst eine Quelle. Wer besonders gut drauf ist, gibt auch eine grammatische Erläuterung zu schwierigen Stellen ab.
Ziel ist es, schließlich genau zu verstehen, was es mit dem Text auf sich hat. Zugegebenermaßen ein "hehres Ziel", denn immer wieder kommt es vor, dass man eine Übersetzung gefunden hat, aber dennoch den Sinn nicht erkennen kann.
Das führt zum dritten, nämlich zur Diskussion hier im Forum. Jeder trägt seine Erkenntnisse, Vorschläge oder Bedenken vor, so dass schließlich eine Art Konsens entsteht. Schön ist es, wenn dann alle einer Meinung ist, aber bei dieser Art von Texten ist das nicht immer gegeben. Das gilt sogar für die professionellen Ägyptologen.
vielleicht ist es einfacher, in Schritten vorzugehen. Ich habe die Inschrift der Lunette vergrößert und auch in Standardhieroglyphen umgesetzt.
Die Inschrift, die in Spalten geschrieben ist, ist von rechts nach links zu lesen. Der große Vogel ist mitzulesen.
Wer zumindest die Zeichen identifizieren will, kann dies anhand der Gardiner-Liste tun. Dort sind auch Lesungen hinterlegt. Problem: Manche Zeichen können verschieden gelesen werden, da muss man sehen, was am besten passt.
[1] Wsjr #ntj-jmn.tjw [2] nTr aA nb AbDw [3] @r [4] sA Ws- [5] -jr mAa-xrw
"[1] Osiris, an der Spitze der Westlichen, [2] der große Gott, Herr von Abydos. [3] Horus, [4] Sohn des Os- [5] -iris, der Gerechtfertigte"
Im Nachfolgenden wird mehrfach auf Wb verwiesen. Was damit gemeint ist, habe ich hier erläutert, mit weiteren Hinweisen.
Spalte 1
Zeichen Q1, D4 (siehe Gardiner-Liste) Wsjr "Osiris" (Wb I, 359.5)
W17, R14, G4 #ntj-jmn.tjw "an der Spitze der Westlichen" (Chontamenti) (Wb I, 86.22 und III, 305.14) jmn.tjw sind "die im Westen ruhenden Toten" (Wb I, 86.21).
Spalte 2
R8, O29 - in der Inschrift ist dieses Zeichen um 90° gedreht (geht hier leider nicht) nTr aA "großer Gott" (Wb II, 361.2)
V30, U23, N26, D58 nb AbDw "Herr von Abydos" (Wb II, 228.2)
Mit diesen beiden Spalten wird der in der Lunette dargestellte Gott als "Osiris" identifiziert, dem noch einige Epitheta (Beiworte) zugefügt werden.
Spalte 3
Der sehr groß dargestellte Vogel G7 Horus-Falke auf Standarte ist auch als Hieroglyphe zu lesen, nämlich als Name des Gottes "Horus" (Wb III, 122), wie sich aus dem folgenden ergibt.
Spalte 4
G39, Q2 sA ws- "Sohn des Os-" sA "Sohn" (Wb III, 408)
Q2 ist als Bestandteil des Namens von "Osiris" ws zu lesen.
Spalte 5
-jr "-iris" gehört noch zum Namen "Osiris"
ist eine Variante der obigen Schreibung in Spalte 1 (Wb I, 359).
Aa11, P8 - in der Inschrift ist dieses Zeichen um 90° gedreht mAa-xrw "gerechtfertigt, Gerechtfertigter", festes Beiwort des Horus (Wb II, 17.13).
Wenn wir den Horusfalken nicht lesen würden, hätten wir "Osiris ..., Sohn des Osiris", was unsinnig wäre.
Nun zum zweiten Teil, die zentrale Inschrift, bestehend aus zwei Zeilen. Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass etwa in der Mitte der zweiten Zeile sich die Leserichtung ändert; hier muss man von links nach rechts lesen, während die erste Zeile und der linke Teil der zweiten Zeile von rechts nach links gelesen wird.
1A| Htp dj nsw Mn(.w)-@r(.w)-nxt sA Wsjr mAa-xrw Ein Opfer, das der König gibt (an/für) Min-Horus den Starken, Sohn des Osiris, selig,
Mn.w-@r.w-nxt – Göttername, LGG 3, 293, Belegstelle [12] Der zweite Falke (G 5) ist ein Götter-Determinativ, wird somit nicht gelesen.
1B| dj=f Ax m p.t wsr 2B| m tA mAa-xrw m Xr.t-nTr D.t er möge geben verklärt sein im Himmel, mächtig sein auf Erden (und) gerechtfertigt/selig sein im Totenreich, ewig.
2A n kA n jmj-rA-pr n Htp-nTr akw mAa-xrw nb-jmAx(.w) für den Ka des Vorstehers des Hauses des Gottesopfers Aku, gerechtfertigt/selig, den Ehrwürdigen (/Herr der Würdigkeit)
jmj-rA-pr n Htp-nTr - Titel; Ward 169 akw – Personenname (m); Ranke, 71.30 nb jmAx – Ehrwürdiger; Wb 1, 81.18
Muss der zweite Falke G5 als @r gelesen werden oder nicht?
Das Lexikon der Götter und Götterbezeichnungen(LGG), Bd. III, S. 285-286 schreibt zum Eintrag @r-sA-Wsjr: "Bezeichnung des Mnw-@r-nxt" und gibt als einzigen Beleg unsere Stele an (Nr. 50). LGG, Bd. VI, S. 76 hat für sA-Wsjr, also ohne @r, aber 6 Belege für Mnw-@r-nxt. Das spricht für Deine Meinung, G5 nur als Determinativ anzusehen.
Der Titel jmj-rA pr n Htp-nTr ist als "Hausvorsteher des Gottesopfers" zu übersetzen (siehe TLA Lemma-Nr. 550003).
Du hast in der Umschrift bei 2A nb-jmAx ein (.w) hinzugefügt: eine Verwechslung mit dem Wort jmAx.w "Ehrwürdiger, Versorgter" (Wb I, 82.3-5). Bei letzterem handelt es sich um eine Nisbe-Bildung mit Endung .w (Elmar Edel, Altägyptische Grammatik, § 343) von jmAx. nb jmAx heißt wörtlich "Besitzer von Würde" (Wb II, 228: "Herr einer Eigenschaft, eines Zustandes u. dergl., (a) allgemein Besitzer u.ä."), wird aber üblicherweise auch nur als "Ehrwürdiger, Versorgter" übersetzt.
Für diejenigen, die das Wort "Nisbe" nicht kennen:
Von Substantiven und Präpositionen können Adjektive der Zugehörigkeit, der Stoffangabe oder der Lage durch eine Endung .j oder .w hergeleitet werden, die man nach einem arabischen Fachausdruck Nisbe-Bildungen nennt, z.B. vom Subtantiv nTr "Gott" kann ein Adjektiv nTr.j "göttlich" gebildet werden.
Hallo, hier der dritte Teil, die beiden Spalten in der Mitte. Ich habe zum leichteren Lesen die Hieros in eine Zeile gesetzt, Lesung von links nach rechts.
Entgegen der Hiero-Vorlage von Michael, sehe ich das kleine Zeichen rechts von Min als O25
.
O25 hat (auch) den Lautwert mnw, dient hier als phonetisches Komplement (wird nicht gelesen) zum Götternamen Mn.w - Min. Vielleicht hat Michael einen anderen Vorschlag.
Das Zeichen hinter der Min-Hieroglyphe kann m.E. nicht O25 Obelisk sein. Die Belege des Wb sind alle spät und nur sporadisch.
Mein Vorschlag: Das Zeichen hinter der Min-Hieroglyphe ist dasselbe wie das hinter der großen Min-Figur auf dem Treppenpodest. Das Zeichen, was ich gewählt habe, trifft es leider auch nicht genau. Wie dem auch sei: Was ist das denn, was hinter Min steht?
Kürzlich gab es in Berlin eine Ausstellung zu den Forschungsergebnissen in Achmim, zu der ein schöner Katalog erschien. Ein Ausstellungsstück war ein "Fragment eines sogenannten Zelt-Heiligtums des Min"; in der Beschreibung heißt es (Rafed El-Sayed et al. (Hrsg.), Achmīm. Ägyptens vergessene Stadt, Berlin, 2021, S. 202-204):
Zitat:
Das Min-Heiligtum (sHn.t, *sehenet) gilt gemeinhin als eine Art primitive Hütte oder Zelt, ohne dass diese Hypothese je überzeugend abgesichert worden wäre. Das Belegmaterial legt vielmehr nahe, dass es sich um ein Felsheiligtum handelt. ... Der rechteckige untere Teil dieses Objektes repräsentiert das Gebirgsplateau der Ostwüste mit einer zum Fruchtland schräg abfallenden Abbruchkante, die übertragen als Treppe bezeichnet und dargestellt wird. Darüber erhebt sich ein konischer Bergstumpf, auf dem sich Überreste eines Zapfens erhalten haben, der die verlorene Bergspitze mit dem Heiligtum fixierte.
Ich hänge den Rekonstruktionsvorschlag an.
Als ich die Stele als Übersetzungsübung hier einstellte, war mir nicht bewusst, dass an diesem Zeichen so viel Überlegung hängen könnte! Aber so ist es immer: Auf dem ersten Blick erwartet man Standardformulierungen, und dann rauft man sich an einer Stelle die Haare. Das macht die Arbeit mit ägyptischen Texten immer wieder spannend!
Vielleicht hat aber jemand noch einen ganz anderen Vorschlag, wie dieses Zeichen zu deuten ist?
Dass das Zeichen hinter der Min-Hieroglyphe dem "Bauteil" hinter der Min-Darstellung, vor der Kapelle, sehr ähnlich ist, war auch mir aufgefallen. Bloß, was es darstellen soll, bleibt wohl vorläufig ein Rätsel.
Zitat:
Deine Übersetzung stimmt voll und ganz mit meiner überein!
Das freut mich ganz besonders!
Der vierte Teil, die Inschrift hinter der Figur links, hier wieder in eine Zeile umgruppiert und von links nach rechts zu lesen:
Stele des Aku aus dem Museo Civico Archaeologico, Bologna, Inv. Nr. EG 1911. Sie wird in die 12.-13. Dyn. datiert und stammt möglicherweise aus Abydos.