Lieber Peter, die von Dir angeführte Regel, dass nichts zwischen den Substantiven eines direkten Genitivs treten kann, findet man in vielen Lehrbüchern, z.B. in James P. Allen, Middle Egyptian, Abschnitte 4.9 (Demonstrativpronomen) und 6.3 (Adjektive). Das Wb V, 256.17-19 zu twt anx hat mehrere Belege, die die Umformung zu einem indirekten Genitiv zeigen, z.B. twt anx n Ra "lebendes Abbild des Re" (DZA 30.980.370). Jedoch gibt es Ausnahmen! Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, § 85 (zum direkten Genitiv): Zitat:
This form is genitive is usual wherever the connexion between the governing and governed noun is particularly close, as in titles, set phrases etc. Hence an epithet belonging to the governing word will normally follow the genitive. (...) Examples where the direct genitive is separated from ist noun are of extreme rarity. |
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In der früheren Sprachstufe, im Altäyptischen, das im Alten Reich gesprochen wurde, gab es solche Beispiele häufiger. Elmar Edel, Altägyptische Grammatik, Bd. I-II, Rom, 1955-1964, § 321: Zitat:
Die Verbindung zwischen Regens und Rektum ist beim direkten Genetiv so eng, dass sie normalerweise weder von einem Adjektiv noch von einem Demonstrativpronomen gesprengt werden kann: [Es folgen Beispiele] Aber auch die Sprengung des Status constructus-Verhältnisses ist einige Male belegt: [weitere Beispiele]. Fälle wie die hier genannten begegnen im MR [Mittleren Reich] kaum mehr [mit Verweis auf Gardiner, § 85]. |
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Auch für die Inschriften der Spätzeit sind solche Ausnahmen belegt, die Karl Jansen Winkeln, Spätmittelägyptische Grammatik, Wiesbaden, 1996, § 397 anführt: Zitat:
Das erste Glied (N1) wird normalerweise (Ausnahmen s.u.) von einem unerweiterten selbständigen Nomen gebildet, das zweite Glied (N2) von einem selbständigen Nomen, das prinzipiell erweiterbar ist (...) Dennoch kann manchmal das erste Glied erweitert werden [Beispiele] Auch eine Partikel (...) oder die Kopula pw können zuweilen in die Verbindung eingeschoben werden. (...) Fraglich ist, ob in all diesen Fällen wirklich jeweils ein n vor dem zweiten Glied irrtümlich ausgelassen worden ist. Ansonsten wird bei Erweiterung des 1. Glieds der indirekte Genetiv verwendet. |
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Eine irrtümliche Weglassung des n bei Tutanchamun kann man getrost ausschließen, denn dieser Name ist auf seinen Grabgegenständen "unendlich" oft gefunden worden, so dass eine fehlerhafte Schreibung unwahrscheinlich ist. Die Übersetzung "lebendes Abbild des Amun" hat gelegentlich zu Diskussionen geführt. Nach der Geburt bis zum Anfang seiner Regierung hieß er ja &wt-anx-Jtn "lebendes Bild des Aton". Das hat den Ägyptologen Battiscombe Gunn zur Überlegung geführt: Zitat:
Thus if "Tut'ankhamun" means "Living Image of Amun," then "Tut'ankhaten" must mean "Living Image of Aten"; of this there can be no question. But to translate "Tut'ankhaten" in this way is to assume that its bearer had the hardihood, even before he became king (for this was his "personal" name), to call himself the "living image" of the one Egyptian god who was studiously and completely shorn of any anthropomorphic associations. Surely such a name would have been utterly repugnant to Atenist ideas, as being not only blasphemous but ridiculous. Although at other times the idea of the King as the living presentment of the solar god is common enough, in the Aten period such a name, especially if borne by a non-royal person, as Tut'ankhaten originally was, seems to be almost unthinkable. There is also a grammatical difficulty. If the idea expressed were "Living Image of Aten," we should expect twt anx nj Jtn, with the indirect genitive after the adjective (...) |
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Du siehst, Gunn hatte denselben Einwand, wie Du ihn auch formuliert hast! Gunn schlägt die Übersetzung "pleasant" für twt vor, "life" für anx und kommt zu dieser Übersetzung "The Life of Aten is Pleasing", also zu einem regulären sDm=f-Satz (Notes on Two Egyptian Kings, in: Journal of Egyptian Archaeology, Bd. 12, S. 250-253 (1926); hier S. 252). Siehe auch: Wb V, 258: "vollkommen, schön" u.ä. für twt, speziell "mit bestimmendem Substantiv" 258.17 "so wohl auch in dem Königsnamen Tutanchamun". Das ist die bekannte nfr-Hr-Konstruktion, so dass der Name mit "Schön an Leben ist Amun" zu übersetzen wäre. Diesen Ansatz hat der deutsche Ägyptologe Gerhard Fecht wieder aufgegriffen (Amarna-Probleme (1-2), in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde, Bd. 85, S. 83-117 (1960)). In diesem Artikel untersucht er u.a. die Vokalisation von ägyptischen Namen der Amarna-Zeit und schreibt (S. 90): Zitat:
Bei &wtanxjtn bzw. -jmn ist nicht einmal die Übersetzung wirklich zu sichern. Einerseits scheint sich die Auffassung als "lebendes Bild des Jāti" als selbstverständlich aufzudrängen. Doch muß auffallen, daß in den Amarnatexten dafür, soweit ich sehe, das Wort tj.t gebraucht erscheint (...), und außerdem: konnte denn ein Kind, das nicht als Thronfolger vorgesehen war, einen solchen Namen tragen, der den so Benannten doch zum König erklärte? Nun gibt man sich wohl im allgemeinen damit zufrieden, den Namen mit WB V, 258, 17 als Verbindung des Adjektivs twt "vollkommen", mit anx "Leben" zu erklären, und das gibt tatsächlich einen ausgezeichneten Sinn: "vollkommen an Leben ist Jāti"; hier stimmt der Sinngehalt (...) und die syntaktische Struktur (...) |
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Zuvor hatte Fecht die vokalisierte Form "Jāti" für Jtn abgeleitet. Dennoch blieb die Übersetzung "Lebendes Abbild des Amun" nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Fachwelt weiter bestehen.
> Antwort auf Beitrag vom: 01.09.2020 um 12:49:03
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