Hallo Udimu, das ist eine Frage, die stark in die Debatte zur mündlichen Tradierung von Schriftstücken hineinführt. Wie heute allgemein akzeptiert wird (gut, von einigen wie N. Grimal nicht) darf man das erste Auftauchen von Textzeugen zu einem Werk nicht mit ihrem „Entstehungszeitpunkt“ verbinden. Ob der gesamte Inhalt, den der Papyrus Westcar überliefert hat, in das AR zurückreicht, oder nur einige Partien, ist mir nicht klar. Aber ich denke von der Funktion des Textes (v.a. die „Geburtslegende“) wäre er wohl am besten in genau die Zeit zu verlegen, in die er sich inhaltlich selbst datiert (ich meine hier speziell die Rudjedet-Geschichte; bei den anderen Stories habe ich mir mal überlegt, ob es sich nicht um mythische Grundmotive und Zitate aus Festabläufen wie "Feindvernichtung" etc. handeln könnte). Auch von den Details, die angesprochen sind und den genannten Titeln, Namen und Orten weist für mich alles auf das AR hin. Für die Spätdatierung in die 12. Dyn. oder II. Zwischenzeit wird ja gern die Sprache des Textes als Argument vorgeschoben. Allerdings ist ja nicht geklärt in wie weit der Text auf mündlicher Tradition beruht, die erst später verschriftlicht wurde, oder ob er zB. nicht eine Neuredaktion alter beschädigter Schriften in der II. Zwischenzeit stattfand (dieses Phänomen ist ja für diese Epoche durchaus nachzuweisen), die zu einer Durchdringung mit frühen Neuägyptizismen führte. Die Interpretation von Hanna Jenni ist ziemlich gewaltsam und wird dem Text meiner Meinung nach nicht gerecht. Sie ist einfach ein Beleg dafür, dass man nicht krampfhaft an dieser Vorstellung festhalten sollte, dass „Literatur“ erst im MR entstehen konnte und dass im Grunde alles, was irgendwie „schön“ zu lesen ist aus dem Thinktank Amenemhets’ bzw. Sesostris I. stammen muss. Insgesamt wirkt mir ihre Interpretation einfach zu modernistisch (mit impliziter Appeasement-Politik usw.). Das ist aber dann wohl eine größere Debatte zur Definition und Form von Literatur. Ich finde, dass speziell der Part mit Sachebu ein schöner Hinweis für die Frühdatierung des Textinhaltes ist. Wie aus dem Papyrus Westcar hervorgeht ist Sachebu das zentrale Handlungszentrum in der Geschichte um die Geburt der Könige der 5. Dynastie. Dies wird gern übergangen, um die Beziehung der 5. Dynastie zu Heliopolis zu untermauern. In Sachebu wird der Horus-Re von Sachebu verehrt, der offenbar eine bedeutende religiöse Gestalt des ägyptischen Königskultes darstellte. Leider ist von ihm außer aus Textquellen kaum etwas genaueres bekannt, da sein Kultort (Sachebu = Zat el-Kom im 2. unteräg. Gau, 40 km nordwestl. v. Memphis) wie fast alle Deltasiedlungen unzureichend erforscht ist. Wie aus NR/spätzeitlichen/ptolemäischen Schriftquellen bekannt ist, muss in Sachebu ein Kultort für den Mythos der „göttlichen Geburt“ des Pharao bestanden haben (wie J. Yoyotte nachweisen kann, ist auch für diesen Kultort eine „Gottesgemahlin“ und ein „göttliches Kind“ im Kult bezeugt). Es ist meiner Meinung kein Zufall, dass die Pyramide des Djedefre in Abu Roasch in ihrer Lage Bezug auf diesen bedeutenden Tempel nimmt (die Pyramide liegt genau auf einer Nord-Süd-Achse zur Siedlung; auch die Nord-Süd Ausrichtung der Cheops-Pyramide auf den alten Re-Kultort Ausîm = Letopolis sollte hierbei berücksichtigt werden vgl. hierzu G. Goyon, Nouvelles observations relatives à l’orientation de la pyramide de Khéops, in: RdE 23, S. 137-153). Die theologische Rolle des Ortes dürfte also schon in der 4. Dynastie so immens gewesen sein, dass man seine Grabanlage und den Königskultort danach konzipierte. Dieses räumliche Umfeld, in der der Plot abläuft, macht meiner Meinung nach nur im AR einen (funktionalen) Sinn. Wäre die Story im MR entstanden, hätte man wohl Räume mit anderem, direkterem Bezug gewählt (Spekulatius!!). Die Bedeutung einer "Geburtslegende" der frühen 5. Dynastie ist für mich auch tatsächlich nur in dieser Phase sinnvoll. Wenn man sich die chaotischen Machtwechsel und problematischen genealogien dieser Phase mit ihren Hinweisen auf administrative und personelle Umwälzungen und die Zerstörungen zB. von Prinzendarstellungen in den kgl. Dekorationsprogrammen usw. anschaut, passt hier eine solche "Legitimationsschrift" (oh je wieder das L-Wort) ganz gut hinein. Im Papyrus Westcar ist auch die enge Verbindung von Memphis und Sachebu (zB. direkte Verbindung über einen Kanal und gemeinsame Priesterschaft, vgl. Sauneron, 1950, S. 65f.) an verschiedenen Stellen herauszulesen (etwa wenn in einer anderen Geschichte der Kultort des Ptah eine Rolle spielt u.ä.). Wenn man den Text gezielt darauf abklappert, stößt man sicherlich auf mehr solche Indizien. Gruß A. (f.k.a. "Sepp") P.S.: Zu Sachebu gibt es einige sehr spannende aber kaum gelesene Literatur, in der Lage, Fundsituation und Bedeutung dieser noch vor 60 Jahren völlig unbekannten Stätte behandelt werden: S. Sauneron, La ville de sAXbw (1), in: Kêmi 11 (1950), S. 63-72. S. Sauneron, La ville de sAXbw (2), in: BIFAO 55 (1955), S. 61-64. S. Sauneron, La ville de sAXbw (3), in: BIFAO 56 (1957), S. 61-64. J. Monnet, Nouveaux documents relatifs a l’Horus-Rê de Sakhebou, in: Kêmi 13 (1954), S. 28-32. J. Yoyottem Encore Sakhebou, in: Kêmi 15 (1959), S. 75-79. H. de Meulenaere, Une nouvelle mention de Sakhebou, in: OMROL, Leiden 1963, S. 5-7. G. Goyon, Est-ce enfin Sakhebou?, in: Hommages à la mémoire de Serge Sauneron (Fs S. Sauneron), Le Caire 1979, S. 43-50
> Antwort auf Beitrag vom: 28.04.2005 um 21:30:00
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