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   Ägyptische "Survivals" im Christentum (42)
  Autor/in  Thema: Ägyptische "Survivals" im Christentum
Tawabet  weiblich
Member - Themenstarter



Re: Ägyptische  
« Antwort #15, Datum: 21.12.2003 um 22:14:19 »   

Lieber Gast A.,

ich bin bisher davon ausgegangen, daß die christlich abendländische Kultur durchaus von der ägyptischen beeinflußt ist. Wenn dem nicht so ist, dann kläre mich bitte auf. Wie verhalten sich deines Wissens nach beide Religionen zueinander. Gibt es nur äußere Ähnlichkeiten oder auch innere? Glaubst du, daß wir jemals eine Chance haben, ein Verständnis für eine längst vergangene Kultur entwickeln zu können?

Tawabet
> Antwort auf Beitrag vom: 21.12.2003 um 19:31:39  Gehe zu Beitrag
Gast_A.  maennlich
Member



Re: Ägyptische  
« Antwort #16, Datum: 22.12.2003 um 01:43:45 »   

Hallo Tawabet

Einen Rundumschlag kann ich nicht liefern... Dennoch will ich wenigstens einige Details anschneiden:

Die frühchristliche/-koptische Religionspraxis war ja geprägt vom Mönchswesen (eingeleitet durch den legendären Antonius von Koma = Heiliger Antonius, 251 - 356 n.Chr.), das nach den ersten Christenverfolgungen des Kaisers Decius (249-251 v.Chr.) einsetzt. Während das altägyptische Konzept einer politischen Theologie von einer negativen Anthropologie (Gerechtigkeit und Weltordnung kann nicht durch das Indiviuum realisiert werden, sondern nur durch die Herrschaft eines Königs/Pharaos) getragen wurde in der die Vorstellung der Maat bzw. einer sozialen Tugend die gesamte Gesellschaft umfasste, hatte sich der koptische Mönch, ob Anachoret oder Koinobit, aus dem Sozialverband gelöst. „Die Tugenden des Mönchs orientieren sich nicht an der Gesellschaft  (die klösterliche Gemeinschaft ist keine „Gesellschaft“). Sie stabilisieren keine irdischen, soziale Ordnung, sondern das Verhältnis des einzelnen zu Gott.“ (A. Eberle, Ethos im koptischen Mönchtum, Wiesbaden 2002, S. 143)

Die Tugenden des Mönches treiben ihn bis zur Selbsterniedrigung und Selbstverleugnung. Auch dies ist dem ägyptischen Religionsbild völlig fremd. Daneben unterscheidet die Orientierung auf das Diesseits im Maat-Tun den pharaonischen Ägypter klar von koptischen Mönch, dessen Ziel das Heil im Leben nach dem Tode ist. „Für ihn ist immer Gott – und nur Gott – der oberste Richter über sein Handeln“.

Frau Eberle kommt in ihrer detailierten Vergleichstudie zum Gedanken des Ethos in der altägyptischen und der koptischen Gesellschaft zum Schluss: „Bei dieser Untersuchung hat sich gezeigt, dass zwar gewisse Grundhaltungen, die sich zB. in Sprichwörtern manifestieren, erhalten geblieben sind, eine direkte Übernahme christlichen Gedankengutes aus altägyptischen Lebensweisheiten jedoch nicht gefunden werden kann.“ (op.cit. S. 146). Man beachte dabei, dass die Weisheitstexte (v.a. die späten) eine der Hauptquellen für unser rekonstruiertes Bild des altägyptischen Menschen/Menschenbildes darstellen! Weiter schreibt A. Eberle:
„Viele dieser hier behandelten Gedanken, die von den Mönchen als erstrebenswerte Tugenden betrachtet wurden, um vor Gott Wohlgefallen zu finden, sind nicht allein auf dem Fundament der ägyptischen Weisheit gewachsen, sondern  auch anderen Kulturen sehr wohl vertraut. So findet sich das Lob des Schweigens, der Bescheidenheit und weiterer Analogien auch in der chinesischen Weisheit... Es ist also weniger an eine genealogische, durch die Zeit tradierende, denn an eine analoge Entwicklung ähnlichen Gedankengutes in verschiedenen Gesellschaftssystemen zu denken. Eine parallele Entwicklung von gewissen Archetypen des Verhaltens die von der menschlichen Gesellschaft für deren Funktionsfähigkeit benötigt werden, ist demnach eher zu postulieren als eine kontinuierliche Tradierung.“
Ganz nach meinem Geschmack schließt A. Eberle mit der Sentenz

„Man tut gut daran, inhaltliche Ähnlichkeiten zu konstatieren, ohne gegenseitige Abhängigkeiten zu konstruieren.“

Dies also zunächst zu den (nicht nachweisbaren) Beziehungen zwischen ägyptischen Weisheitstexten und koptischen Apophtegmata, Klosterregeln, Mönchsspiegeln und Lehrworten. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass dieser negative Befund auch Auswirkungen auf die Interpretation von Symbolen und Ikonen hat, da die Inhalte dieser Bedeutungsträger ja eben aus dem Weltbild der Menschen gespeist werden. Wenn die Kopten also in ihren Gedanken/Wertesystemen nicht in der ägyptischen Kultur verwurzelt waren, so wäre es erstaunlich wenn sie Ikonen und Symbole aus dieser Kultur übernommen hätten (was ja realistisch ist) und dann auch noch mit denselben Bedeutungen belegt hätten (!).

Ein sehr lukratives Vergleichsfeld wäre auch der Streit zwischen Gnostikern, Monarchianisten, Origenisten, Arianern, Presbytern und wie sie allen heissen, sowie die mit ihnen verbundenen Konzilien. Hierbei wird recht klar wie rasch theologische Konzepte verworfen bzw. kreiert werden konnten und wie wenig angebracht es angesichts der zahllosen parallelen Strömungen überhaupt erscheint, verallgemeinernd von „Christentum“ zu sprechen. Wesentlich engere Verbindungen zum heidnischen Gedankengut und zu deren religiösen Symbolen weisen zB. die Manichäer (Mani ca. 216-276/7 n.Chr.) und Gnostiker  auf, die sich selbst als christliche Gemeinschaft verstanden, deren Texte jedoch als Apokryphen nicht dem Kanon der römischen Kirche angehören.

Gruss A.

P.S.: Wenn Gedanken/Konzepte tradiert wurden, dann doch sicher in der frühesten Phase der christlichen Kirche in Ägypten (also der christlich-alexandrinischen/koptischen Kirche). Das spätere Christentum hat sich doch ausgesprochen weit von den frühchristlichen Grundzügen entfernt. Dass wir solche Tradierungen bzw. Übernahmen in dieser frühen Phase nicht finden zeigt m.E. recht deutlich, dass wir später (ausserhalb Ägyptens) belegte scheinbare Survivals eben als homologe Entwicklungen werten müssen.

> Antwort auf Beitrag vom: 21.12.2003 um 22:14:19  Gehe zu Beitrag
Tawabet  weiblich
Member - Themenstarter



Re: Ägyptische  
« Antwort #17, Datum: 22.12.2003 um 08:56:05 »   

Hallo Gast. A,

also alles nur Zufall?

Tawabet
> Antwort auf Beitrag vom: 22.12.2003 um 01:43:45  Gehe zu Beitrag
Gast_A.  maennlich
Member



Re: Ägyptische  
« Antwort #18, Datum: 26.12.2003 um 15:20:56 »   

Hallo Tawabet,

Nein, nicht Zufall! Aber religiöse Symbole/Konzeptionen lassen sich nicht, wie in der Textkritik mittels Verkettung A-B-C-D-E usw. auf einen Urtext/Archetypen rückführen, der es schliesslich ermöglicht, den ursprünglichen Sinngehalt eines Textes zu rekonstruieren. Die Meinung, dies sei dennoch möglich, basiert v.a. auf dem Gedanken eines evolutionistischen Religionstheorie, die es erlaubt kulturelle/geschichtliche Entwicklungen und religiöse Tendenzen aufeinander aufbauen zu lassen.
Natürlich lassen sich konkrete religiöse Gestalten wie die Hlg. Maria auf einen symbolischen Aussagewert für „Mutter“ und „Jungfrau“ reduzieren (vgl. etwa G. Baudler, Zum Symbolkomplex Mariologie, in: Symbolisch-erzählende Theologie, München-Wien-Zürich 1982, S. 243-58) und darüber mit Symbolen ähnlichen Inhalts/ ähnlicher Form in anderen Kulturen vergleichen (Baudler sieht Maria etwa im Rahmen der Konzeption der „Goßen Muttergottheit“, was ebenso undifferenziert/unaussagekräftig wie richtig ist). Solche Analogien sind jedoch keine Beweise für direkte Übernahmen religiöser Symbole bzw. deren Austausch zwischen völlig unterschiedlichen Kulturen, sondern belegen eben nur ein allgemeines, dem menschlichen Denken zugrunde liegendes Grundmuster (Malinowski nannte es „Kulturbedürfnis“), deren Realisation eben in eben solchen Grundmustern erfolgte und daher zu äußerlichen/inneren Ähnlichkeiten/Parallelen führte.
Die Verabsolutierung einer Kultur, einer Religion, eines Stils zu einer quasi unvergleichbaren Größe ist natürlich nicht Ziel der Kultur- und Geschichtswissenschaften. Dennoch ist auch in einerm kulturelativistischem Ansatz zu berücksichtigen, dass wir nicht in eine kunstwissenschaftliche Universalienkunde verfallen dürfen, in der alles gleich/gleichartig ist (Die Ablehung eines differnzierenden und die vehemente Befürwortung eines universalen Ansatzes zB. durch H.W. v. Kittlitz, Strukturale Ikonologie, Berlin 1994 beruht v.a. auf dessen Interesse die Ethnologie – als universal ausgerichtetes Fach – als einzige Authorität auf diesem Gebiet darzustellen. Dabei ist es auch der Ethnologie zumeist nur möglich, Phänomene zu konstatieren, ohne sie kulturübergreifend deuten/aufeinander beziehen zu können).


Zitat:
Glaubst du, daß wir jemals eine Chance haben, ein Verständnis für eine längst vergangene Kultur entwickeln zu können?


Das habe ich auch nicht bestritten, nur ist es m.E. nicht möglich den Tradierungsweg von Zeichen/Symbolen wirklich nachzuvollziehen, da dieser ja i.d.R. nicht stringent von A nach B verläuft (wie es Historiker/Archäologen eben gern hätten).


Wie bereits S. Morenz ( Fortwirken altägyptischer Elemente in christlicher Zeit, in: Koptischer Kunst. Christentum am Nil, Essen 1963, S. 54-59 ) feststellte ist „vieles was dem Ägyptologen prima vista ägyptisch erscheint,... auch jüdisch, griechisch und einfach biblisch...“. Zu erinnern sei, dass Morenz selbst lange brauchte um zu dieser Einsicht zu gelangen, war er doch selbst zuvor noch ein strikter Verfechter direkter Ableitungen (zB. S. Morenz, Die Geschichte von Joseph dem Zimmermann, TU 56 Berlin 1951, IX : „Das Achtergewicht liegt auf den beträchlichen survivals der ägyptischen Religion, wobei deutlich wird, welche Bereiche daraus sich lebenskräftig, ja unentbehrlich erwiesen.“ Seine dortigen Schlüsse nennt er in: Ägyptische Religion, Stuttgart 1960, S. 270 Anm. 3 „Übertreibungen“). Diese Kritik wird nach wie vor wenig beherzigt (vgl. jüngst: M. Bernal, Black Athena. The Afroasiatic Roots of Classical Civilization Vol. I, London 1987 und H. Behlmer, Ancient Egyptian Survivals in Coptic Literatur, in: . Loprieno [Hrsg.], Ancient Egyptian Literatur, Leiden-Köln 1996, S. 567-590 )
Eben diese, von Morenz kritisierte, eingeschränkte Herangehensweise an religiöse Symbole bei Ägyptologen und Koptologen (und natürlich den Hobbyägyptologen), wendet zB. L. Langener ( Isis lactans – Maria lactans. Untersuchungen zur koptischen Ikonographie, Altenberge 1996 ) in ihrer seitengewaltigen Untersuchung zur Tradierung des ägyptischen Motivs der stillenden Gottesmutter in koptisch-christlicher Ikonographie an.
Ich möchte ihr Opus nur als Quellensammlung empfehlen. In der Analyse ist Langener oberflächlich und unterliegt denselben verallgemeinernden Schlussfolgerungen wie es oben bereits kritisiert wurde. Es ist aber trotz der unstrukturierten Gedankengänge ausgesprochen vielfältig in der Quellenzusammenstellung und allein deshalb schon nützlich.
...
« Letzte Änderung: 27.12.2003 um 00:19:47 von Gast_A. »
> Antwort auf Beitrag vom: 22.12.2003 um 08:56:05  Gehe zu Beitrag
Gast_A.  maennlich
Member



Re: Ägyptische  
« Antwort #19, Datum: 26.12.2003 um 15:28:55 »   

...
Zu der „Geburtslegende“ hat bereits 1939 A. Hermann ( Das Kind und seine Hüterin, in: MDIK 8, 1939, S. 176 ) festgestellt:
„Nach der Lage unseres Wissens muß es offen bleiben, ob die hellenistisch-jüdischen Kreise in Ägypten, die die Geschichte von der Rettung Mosis mit der Gestalt der Thermutis-Renute [er meint hier Renenutet, eigene Anmerkung] in Verbindung gebracht habe, dazu durch die Kenntnis einer ähnlichen Thermutis-Horus-Legende kamen oder ob dazu nur die allgemein mit diesem Namen verbundene Vorstellung von einer mütterlichen Frau mit Kind, welche im Chaemhet-Relief ja klar zum Ausdruck kommt, den Anlaß gegene hat.
Daß schließlich die  Moseslegende selbst in ihrer eigenen Entstehung auf eine entsprechende ägyptische Legende zurückgeht, dies anzunehmen ist bei der großen Ähnlichkleit mit den Vorgängern, wie sie etwa Herodot und Plutarch von Horus und Leto berichten, recht verlockend. Der Motivforschung – vielfach recht unmethodisch betrieben – ist allerdings nicht damit gedient, wenn bei struktureller Motivgleichheit um jeden Preis historische Beziehung behauptet wirdm, sofern die rechten Beweise fehlen, ist ja bei Motivübereinstimmung ebenso wie eine Beeinflussung auch isolierte Vergegenwärtigung gemeinmenschlicher Gegebenheiten in Erwägung zu ziehen... Denn wie die Mosesgeschichte in der Horusgeschichte eine Parallele hat, besitzt sie weitere in den Geburtslegenden, die von Sargon von Akkad (Ebeling bei Greßmannm Altorientalische Texte I, 234), von Perseus, Gilgamos, Bacchos, Neleus und Pelias, von Adonis, Kyros, Krischna und anderen mehr erzählt werden, ohne daß die Möglichkeit besteht, mit Erfolg die eine von der anderen herzuleiten.“

Dieses Scheitern der direkten Inbezugsetzung von altägyptischen und koptisch-christlichen Formen bzw. deren Inhalten ist nicht nur für die koptische Literatur, sondern auch für die Architektur charakteristisch:
„Soweit wir heute den koptischen Kirchenbau erfassen, ist für seine Raumform das Prinzip der christlichen Basilika, für seine Körperform einerseits die römische Provinzialarchitektur in Ägypten, andererseits die gleichzeitige Kunst in den christlichenn Nachbarländern maßgebend. In der Bauplastik spielt das Altägyptische keine Rolle, außer daß im Ornament Symbole wie das Anch umgedeutet werden. Denn hier hat bereits die römische Kunsttätigkeit, wohl vorzugsweise in den Städten, in ihrer besonderen ägyptischen Ausprägung die alte Tradition verdrängt.“ ( Fr. Wilh. Deichmann, Zum Altägyptischen in der koptischen Baukunst, in: MDIK 8, 1939, S. 34 ).
Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommt auch jüngst P. Grossmann in seinem monumentalen Epos über „Christliche Architektur in Ägypten“ ( Leiden, Boston, Köln 2002, S. I ): „Bodenständige bauliche Traditionen oder Anleihen aus der pharaonischen Baukunst, aus denen allein sich die Berechtigung ableiten ließe, der christlichen Baukunst im Niltal eine von den übrigen Provinzen des Römischen Reichs abweichende Bezeichnung zu geben, liegen bis auf einige relativ unauffällige Baugewohnheiten nicht vor. Nach pharaonischen Vorbildern gestaltete Säulen oder auch echte, aus pharaonischen Bauten entnommene Spolien wurden in frühchristlicher Zeit in keiner einzigen ägyptischen Kirche verwendet.“

Als von Aussen kommende Religion hat sich das ägyptische Christentum inhaltlich von der ägyptisch-heidnischen Formen- und Symbolsprache distanziert. Die Tempel und ihre Kulte wurden als dämonisch gefürchtet bzw. bekämpft (vgl. etwa die Zerstörung des Falkengottes von Edfu durch koptische Christen oder die Dämonisierung des Bes: in: R: Schulz, Vom Schutzgott zum Dämon. Gedanken zur Struktur und Deutung der Bes-Legende bei Apa Moses, in: ÄAT 20 Fs. J. Assfalg, Wiesbaden 1990, S. 311ff. ). Bewußte/Gezielte positive Tradierungen fanden daher kaum bzw. gar nicht statt. Dort wo Ähnlichkeiten feststellbar sind, erfolgten diese v.a. über Alexandria und hier über die hellenistische Kultur oder über universale Gedankenmuster, die eben kulturübergreifend ausgebildet wurden und nicht unbedingt auf einen „Urgedanken“ zurückgeführt werden müssen. Auch gilt zu berücksichtigen, dass „at the time orthodoxy was established, from the second half of th fourth century onwards, however, the Egyptian tradition had already become part of Hellenistic – and Christian – culture, had transformed it and had been even more transformed by it.“ ( Bowersock, Hellenism, 27, 43, 55-59 ). In diesem Sinne ist es auch kaum verwunderlich, wenn Tran Tam Tinh ( Sur les pas d’Isis, in: Bulletin de Correspondance Hellénique; Suppl. 38, 2000, S. 497-498 ) in einer gegenüberstellung spätantiker Epitheta der Isis und Maria lactans/maiestas eine auffallender Ähnlichkeit feststellt (Hieraus schliesst er – natürlich – wieder auf eine direkte Abhängigkeit von original ägyptischen Isis-Vorstellungen).


Gruss A. (Kulturoptimist  )


P.S.: Zum Nachvollziehen der grundlegend unterschiedlichen Herangehensweise an Survivals sei noch die maßgebliche frühe und aktuelle Literatur zur Survivalforschung angegeben:
J. Doresse, Des hiéroglyphes à la croix ce que le passé pharaonique a légué au christianisme, Istanbul 1960 . Siehe auch die kritische Rezension von J. Zandee, in: OLZ 57 (1962), S. 21-27 ).
[Selbiger J. Zandee ( Death as an Enemy, Leiden 1960 ) hat auch das bis dato wichtigste Werk zur Rezeptionsgeschichte der ägyptischen Höllenvorstellung verfasst, in dem er nachwies, dass fast alle Elemente der Höllenkonzeption, die in koptisch-christlicher Literatur vorkommen auch/vermutlich aus originär jüdisch-christlichen oder iranischen Einflüssen stammen (können)].
vgl. dazu der momentane Hauptakteur in diesem Feld:
M. Krause (Heidentum, Gnosis und Manichäismus, ägyptische Survivals, in: M. Krause (Hrsg.), Ägypten in spätantik-christlicher Zeit, Wiesbaden 1998, S. 81-116 ) mit seinem Kriterien-Katalog zur Auswertung von Analogien/Parallelen und Survivals.
« Letzte Änderung: 26.12.2003 um 16:06:35 von Gast_A. »
> Antwort auf Beitrag vom: 26.12.2003 um 15:20:56  Gehe zu Beitrag
Tawabet  weiblich
Member - Themenstarter



Re: Ägyptische  
« Antwort #20, Datum: 29.12.2003 um 15:50:12 »   

Hallo Gast A.!


Zitat:
Nein, nicht Zufall! Aber religiöse Symbole/Konzeptionen lassen sich nicht, wie in der Textkritik mittels Verkettung A-B-C-D-E usw. auf einen Urtext/Archetypen rückführen, der es schliesslich ermöglicht, den ursprünglichen Sinngehalt eines Textes zu rekonstruieren. Die Meinung, dies sei dennoch möglich, basiert v.a. auf dem Gedanken eines evolutionistischen Religionstheorie, die es erlaubt kulturelle/geschichtliche Entwicklungen und religiöse Tendenzen aufeinander aufbauen zu lassen.


Sicher, es ist kein Gesetz. Es handelt sich um einen theoretischen Ansatz. Ein Modell.  Kultur (und Religion ist ein Teil von ihr) ist ein dynamischer Prozeß. Interessant ist, wie Ideen im Laufe der Zeit entszehen und sich entwickeln. Einige sterben, einige überleben, einige wandeln sich.  


Zitat:
Natürlich lassen sich konkrete religiöse Gestalten wie die Hlg. Maria auf einen symbolischen Aussagewert für „Mutter“ und „Jungfrau“ reduzieren (vgl. etwa G. Baudler, Zum Symbolkomplex Mariologie, in: Symbolisch-erzählende Theologie, München-Wien-Zürich 1982, S. 243-58) und darüber mit Symbolen ähnlichen Inhalts/ ähnlicher Form in anderen Kulturen vergleichen (Baudler sieht Maria etwa im Rahmen der Konzeption der „Goßen Muttergottheit“, was ebenso undifferenziert/unaussagekräftig wie richtig ist). Solche Analogien sind jedoch keine Beweise für direkte Übernahmen religiöser Symbole bzw. deren Austausch zwischen völlig unterschiedlichen Kulturen, sondern belegen eben nur ein allgemeines, dem menschlichen Denken zugrunde liegendes Grundmuster (Malinowski nannte es „Kulturbedürfnis“), deren Realisation eben in eben solchen Grundmustern erfolgte und daher zu äußerlichen/inneren Ähnlichkeiten/Parallelen führte.
C.G. Jung nennt so was "Archetypen"...
Zitat:
Die Verabsolutierung einer Kultur, einer Religion, eines Stils zu einer quasi unvergleichbaren Größe ist natürlich nicht Ziel der Kultur- und Geschichtswissenschaften.


Das will ich hoffen


Zitat:
Dennoch ist auch in einerm kulturelativistischem Ansatz zu berücksichtigen, dass wir nicht in eine kunstwissenschaftliche Universalienkunde verfallen dürfen, in der alles gleich/gleichartig ist (Die Ablehung eines differnzierenden und die vehemente Befürwortung eines universalen Ansatzes zB. durch H.W. v. Kittlitz, Strukturale Ikonologie, Berlin 1994 beruht v.a. auf dessen Interesse die Ethnologie – als universal ausgerichtetes Fach – als einzige Authorität auf diesem Gebiet darzustellen. Dabei ist es auch der Ethnologie zumeist nur möglich, Phänomene zu konstatieren, ohne sie kulturübergreifend deuten/aufeinander beziehen zu können).


Nein. bei "survivals" geht es aber auch nicht um Gleiches oder Gleichartiges, sondern um Ideengeschichte.


Zitat:
Als von Aussen kommende Religion hat sich das ägyptische Christentum inhaltlich von der ägyptisch-heidnischen Formen- und Symbolsprache distanziert. Die Tempel und ihre Kulte wurden als dämonisch gefürchtet bzw. bekämpft (vgl. etwa die Zerstörung des Falkengottes von Edfu durch koptische Christen oder die Dämonisierung des Bes: in: R: Schulz, Vom Schutzgott zum Dämon. Gedanken zur Struktur und Deutung der Bes-Legende bei Apa Moses, in: ÄAT 20 Fs. J. Assfalg, Wiesbaden 1990, S. 311ff. ). Bewußte/Gezielte positive Tradierungen fanden daher kaum bzw. gar nicht statt. Dort wo Ähnlichkeiten feststellbar sind, erfolgten diese v.a. über Alexandria und hier über die hellenistische Kultur oder über universale Gedankenmuster, die eben kulturübergreifend ausgebildet wurden und nicht unbedingt auf einen „Urgedanken“ zurückgeführt werden müssen. Auch gilt zu berücksichtigen, dass „at the time orthodoxy was established, from the second half of th fourth century onwards, however, the Egyptian tradition had already become part of Hellenistic – and Christian – culture, had transformed it and had been even more transformed by it.“ ( Bowersock, Hellenism, 27, 43, 55-59 ). In diesem Sinne ist es auch kaum verwunderlich, wenn Tran Tam Tinh ( Sur les pas d’Isis, in: Bulletin de Correspondance Hellénique; Suppl. 38, 2000, S. 497-498 ) in einer gegenüberstellung spätantiker Epitheta der Isis und Maria lactans/maiestas eine auffallender Ähnlichkeit feststellt (Hieraus schliesst er – natürlich – wieder auf eine direkte Abhängigkeit von original ägyptischen Isis-Vorstellungen).


Aber natürlich war die hellenistische Kultur ein melting pot. Und in den hat die ägyptische Kultur viel eingebracht. Es scheint also doch Verbindungen zu geben. Wie gesagt, es geht nicht um Inhaltsgleichheit oder um direkte Abhängigkeiten. Es geht um Einflüsse, Entwicklungen, Ideengeschichte. Und da halte ich die Frage, wer was eingebracht hat, für durchaus interessant und berechtigt.Und ganz so distanziert von allem Vorchristlichen haben sich die Kopten nicht. Vgl. z.B. den koptischen Kalender, der die altägyptischen Monatsnamen beibehalten hat. Oder das Henkelkreuz. Inwiefern "Übernahmen" bewußt oder unbewußt erfolgt sind, kann man m.E. nicht feststellen.

Manches mag bewußt vernichtet worden sein, z.B. die von dir angeführten Reliefs. Anderes mag bewußt umgedeutet worden sein (vielleicht das Anch?) oder unbewußt und bedeutungsentlehrt beibehalten worden sein (z.B. unsere Namen für die Wochentage; die sind natürlich nicht ägyptischen, aber heidnischen Ursprungs, ein "survival").  

Noch mal: Unter Survival verstehe ich nicht, daß ein Phänomen in einer Kultur identisch mit dem in einer anderen ist. Es ist ein "Überbleibsel", oft sinnentlehrt oder umgedeutet. In einem ideengeschichtlichen Zusammenhang  gebracht wird es (manchmal) erklärbar. Ob es Zusammenhänge mit vorangehenden Kulturen gibt oder nicht, muß im Einzelfall untersucht werden. Vieles mag bloße Analogie sein und keine tieferen Wurzeln haben. Einiges andere kann man jedoch mit der Vergangenheit verbinden.

Tawabet

PS.: Ich bin im Weihnachtsurlaub und habe z.Zt. meine Bib. nicht bei mir
« Letzte Änderung: 29.12.2003 um 15:53:34 von Tawabet »
> Antwort auf Beitrag vom: 26.12.2003 um 15:28:55  Gehe zu Beitrag
Gast_A.  maennlich
Member



Re: Ägyptische  
« Antwort #21, Datum: 30.12.2003 um 13:41:21 »   

Hallo Tawabet!

Eine Ideengeschichte befasst sich grundsätzlich mit Wesen und FUNKTION  von „Ideen“ (Auch in der philosophischen u. politikwissenschaftlichen Ideengeschichte geht es ja u.a. auch um die Funktion bzw. konkrete Entstehungszusammenhänge von Systemen/Ideologien). Du kannst dich also nicht darauf berufen, Ideengeschichte ermächtige zu rein theoretischen Überlegungen zur apriorisch immergültigen Wahrheiten in Ideen, ohne auf deren Inhalt einzugehen (Dann bleibst du in einer Theoriegeschichte  verhaftet, deren Theorien zwar Allgemeingültigkeit beanspruchen bzw. zur Verllgemeinerung tendieren aber nicht bewiesen werden können). Auch dass Gleichheit aus der Ideengeschichte auszuschliessen sei, ist schlichtweg falsch. Die Ideengeschichte basiert auf eben dieser Vorstellung, wobei sie diese im Grunde erst konstruiert!
Nach Lovejoy (The Great Chain of Being. A Study of the history of an Idea, Cambridge Mass. 1982) ist eine Ideengeschichte auf dem Konzept der basalen Elementarideen ( unit-ideas ) aufgebaut. Definition dieser   uni-ideas ist, dass sie bedeutungsmäßig invariable Grundbausteine sind, die den historisch variablen, vielgestaltigen ideengeschichtlichen Komplexen zugrundeliegen. Ziel der Ideengeschichte ist es konkret über Zergliederung des Materials Erkenntnisse über die inhaltlichen Grundbestandteile der intellektuellen Menschheitsgeschichte zu gewinnen. Es geht bei der Ideengeschichte eben nicht nur um äußerliche Form, sondern um (intellektuelle) Substanz – auch wenn das bei vielen Beiträgen zur Ideengeschichte selbst nicht offensichtlich wird.
Wenn Du also behauptest eine Ideengeschichte sei nicht darauf ausgerichtet auch Inhalte bzw. Inhaltsgleichheit auszuformulieren (über die Rekonstruktion der unit-ideas ), so hast Du wohl eine eigene Definition von Ideengeschichte.

Die Kernpunkte der Ideengeschichte ließe sich so formulieren:
Genese, Kontinuität und Totalisierung.

Ersteres setzt nach M. Foucault (L’archéologie du savoir, Paris 1969) einen Ursprung voraus, die beiden letzteren werden dann als homogen in der Annahme allgegenwärtiger Elemente betrachtet. Nach Foucault sind diese drei Kernpunkte die dominierenden Voraussetzungen in der Wahl der Gegenstände und dem Stil der Analyse der Ideengeschichtler. Sie suchen sich also ihre Objekte nach der Prämisse der Ähnlichkeit aus, um daraus kontinuative Gleichheit zu konstruieren. Unterschiede werden übergangen bzw. nicht wahrgenommen, da sie nur in einer differenzierenden Herangehensweise erkennbar werden.

Wenn heute Ideengeschichte in der Politikwissenschaft oder Philosophie groß geschrieben wird, so v.a. aus dem dort stark theoretisierenden Ansatz. Hierfür ist m.E. eine Ideengeschichte auch durchaus geeignet, da in der politischen Ideengeschichte v.a. neuzeitliche Phänomene/Ideologien thematisiert werden – zB. Arbeiterbewegung -> Sozialismus, Bürgerliche Bewegung -> Liberalismus – die eben empirisch untersucht werden können. Gegen eine methodologische Akzeptanz der Ideengeschichte (die selbst nie eine echte Methodik entwickelt hat bzw. wegen ihres Schwerpunkts auch nicht entwickeln konnte) wendet sich m.E. berechtigt M. Foucault. Sein Konzept des „Archäologischen Wissens“ und der historischen Diskursanalyse ist es, Wissen um die Wissenschaftsgeschichte, der historischen Disziplinen und deren Abhängigkeit von totalitären Perspektivierungen aufzudecken und deren ideengeschichtlich orientierte Geschichtsschreibung  in Frage zu stellen.
Worum es Foucault also konkret geht, ist die Frage nach der Formierung von Wissen  und wie wir nachträglich unser Geschichtsbild und damit auch unsere Ideengeschichte konstruieren. Der Vorwurf Foucaults an die Ideengeschichte ist der, dass diese nichts ausser ihren eigenen Hauptthemen rekonstruieren kann. Um einen einmal verorteten Gegenstand der Untersuchung wird eine „Geschichte“ konstruiert, die immer perspektivisch befangen bleibt. Die Methode der Ideengeschichte ist es, die historischen Gegenstände, bzw. deren Beschreibungen unterschwellig auf Harmonie oder weitläufige Meinungen zu reduzieren.
Dies ist es auch, was ich – ohne direkten Bezug zur Ideengeschichte – mit obigen Beiträgen kritisiert habe (wobei eine solche Reduzierung ja von dir selbst vorgenommen wurde):

Zitat:
z.B. die "göttliche Geburt": die Geburtslegende ist, wie im vorangehenden Thread öfters erwähnt, eine Tradition, die zur Königsideologie gehört. Sie ist an mehreren Stellen überliefert. Inwiefern sie exzeptionell für einzelne Könige oder traditionell für alle Könige übernommen wurde, will ich hier nicht diskutieren. Die Belege stammen m.W. aus dem NR. Sie sind also mit einiger Sicherheit nicht direkt mit der Weihnachstlegende zu verbinden. Jedoch gibt es einen Link über die Geburtslegenden der späten Tempel: wie bekannt sein dürfte, ist den Tempeln der griech.-röm. Zeit ein Mammisi angegleidert, in dem die göttliche Geburt des Götterkindes gefeiert wurde. Über diesen Überlieferungsstrang müßte m.W. der ägyptische Einfluß auf die Weihnachtsgeschichte gekommen sein. (Das Ende der ägyptischen Religion und die Anfänge des Christentums laufen sehr wohl paralell


Die Begriffe „Tradition“, „Einfluss“  und „Zeitgeist“  müssten aber prinzipiell in der Geschichtsschreibung in Frage gestellt werden.
...
> Antwort auf Beitrag vom: 29.12.2003 um 15:50:12  Gehe zu Beitrag
Gast_A.  maennlich
Member



Re: Ägyptische  
« Antwort #22, Datum: 30.12.2003 um 13:45:02 »   

...
Man muss nicht so weit gehen mit den Epistemologen oder Strukturalisten ausschliesslich Brüche und Transformationen in Traditionen zu rekonstruieren, doch ist ein differenzierendes Geschichtsbild nicht umsonst das, was heute zunehmend Vorzug findet. Die Ideengeschichte als „wissenschaftliche“ Methode muss selbst mit der Kombination ahistorischer Elementarideen und Historizität allein verbürgender ominöser „Kräfte“ auf eine Mystifikation der Geschichtlichkeit zurückgreifen, obwohl sie eben dies der „traditionellen“, synthetisierenden Wissenschaft vorwirft. (L.O. Mink, Change and Causality in the History of Ideas, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 4, Basel 1971, Sp. 135ff.).

Ein exzellentes Beispiel für Ideengeschichte sind zB. die „Biographien“ ägyptischer Prominenz. Hier werden Archetypen  kopiert bzw. als Schablone willkürlich auf ägyptische Daten übertragen. Zugrundegelegt wird etwa die Idee  der „einsamen Königin“ in einer männerdominierten Gesellschaft (Hatschepsut) oder der sportlich, jugendliche König als Held (Thutmosis III./Ramses II.). Andere Extrema sind zB. der „diktatorische Schwachsinnige“ (Echnaton) und die „machtbesessene, männermordende femme fatale“ (Kleopatra).
Bemerkenswert ist an dieser Ideengeschichte der „Persönlichkeit“ v.a. die Argumentation aus eigenen Erfahrungshorizonten heraus. Wenn Helck (Untersuchungen zur Thinitenzeit, Wiesbaden 1987) zB. die Idee der „rebellierenden Jugend“ bzw. des „rituellen Königsmordes“ als Grundmotiv auf das Sedfest überträgt, so muss man berücksichtigen welche eigene Erfahrung Helck hier mit einbringt und welcher Generation er angehört.

Auch die Ignoranz der Ideengeschichte gegenüber bestimmten Themen verhindert m.E. eine echte wissenschaftliche Erkenntnis. So wurde zB. bis in die 60er Jahre das Individuum kaum in der Forschung wahrgenommen. Eine Geschichte der „Arbeiterklasse“ gab es im Grunde nicht. Dagegen boomt heute die Erforschung des Individuums als Grundbaustein unserer modernen Gesellschaft. Auch die Gender-Studies sind im Grunde nur Produkte solcher trendorientierten Ideengeschichten. Der Grund: Die Anhäufung und Strukturierung von Wissen erfolgt nie zweckfrei! Wissen ist stark abhängig von demjenigen, der mit dessen Strukturierung zu tun hatte! Gleichzeitig ist die Strukturierung von Wissen selektiv. Zum einen „Sehen wir nur was wir kennen“, zum anderen werden bestimmte Themen bewußt/unbewußt aus der historischen Wahrnehmung ausgeklammert. Hier ist die Ideengeschichte besonders fragwürdig um „Wahrheiten“ zu liefern. Denn: „Wer sucht, der findet und konstruiert gleichzeitig Übergänge, die in weiterer Serialität eine Totalitarisierung bzw. ein Paradigma aus dem Nichts schöpfen.“
In diesem Zusammenhang stellt der klassische unilineare Kulturevolutionismus  mit seiner allgemeingültigen „Stadiensequenz des kulturellen und sittlichen Fortschritts“ (M.K.H. Eggert, Prähistorische Archäologie. Konzepte und Methoden, Tübingen-Basel 2001, S. 311) sowie der Universalismus  eine gefährliche Ausweitung der Ideengeschichte/-konzeption dar. Er beansprucht in seinen philosophischen, theologischen, anthropologischen, kulturellen, ethischen und politischen Theorien keine Exklusivität, sondern deren Gültigkeit für alle Menschen.
Mit zunehmender Ausdifferenzierung  der historischen Wissenschaften (besonders der Archäologie) ist auch der „historischen Ideengeschichte“, die ja im 18. Jh. einer der ersten Grundlagen zur Beschäftigung mit der Vergangenheit lieferte, schrittweise die methodologische Grundlage und die Kriterien für die historische Bewertung der jeweiligen Ideen entzogen worden. Nicht umsonst geht der moderne Trend weg von der Ideengeschichte mit seiner Realisierung in einer „Universalgeschichte“, hin zu deduktiven und synthetisierenden Ansätzen, die Partikulares nicht mehr durch Abstraktion zugänglich machen wollen.

Als Merksatz hat ein Archäologe – ich glaube es war Ian Hodder - einmal die Maxime der Historiographie ausgerufen: „Make a difference!“  Ganz meine Meinung!

Gruss A.
> Antwort auf Beitrag vom: 30.12.2003 um 13:41:21  Gehe zu Beitrag
Gitta  
Gast

  
Re: Ägyptische  
« Antwort #23, Datum: 30.12.2003 um 14:53:09 »     

Hallo A.,

darf ich kurz rekapitulieren, um sicherzugehen, dass ich einigermaßen verstanden habe, was Du zum Ausdruck bringen willst?

Die Ergebnisse der Arbeit von Archäologen und Ägyptologen (und Wissenschaftlern ähnlicher Disziplinen) sind nur dann akzeptabel, wenn dafür gesorgt ist, dass keine persönlichen Sichtweisen und Erfahrungen bewusst oder unbewusst einfließen. Alle Rückschlüsse, Zusammenhänge und Kombinationen, die der "moderne" Kopf aufgrund von ansonsten sorgfältig erzielten Forschungsergebnissen produziert, sind in Frage zu stellen. Ich stelle mir unter diesen Umständen die Verifikation der Ergebnisse unendlich schwer vor, weil sie immer von Menschen vorgenommen werden muss. Wie kann das praktisch funktionieren?

Und was machen wir armen Würstchen, die wir uns versuchen ernsthaft und ohne Spinnereien mit der ägyptischen Geschichte auseinanderzusetzen? Wir füttern uns mit allgemein anerkannt fachlicher Literatur und allem Input, der für einen Nicht-Wissenschaftler, meist fern von jedem Universitätsbetrieb, zugänglich ist, verwenden erhebliche Zeit und Geld darauf und müssen jetzt feststellen, dass es sich fast immer um Ideen, Vermutungen, Rückschlüsse handelt, die vielleicht fragwürdig sind.

Ziemlich deprimierende Aussichten

Gitta
> Antwort auf Beitrag vom: 30.12.2003 um 13:45:02  Gehe zu Beitrag
Tawabet  weiblich
Member - Themenstarter



Re: Ägyptische  
« Antwort #24, Datum: 30.12.2003 um 15:11:30 »   

Gast A.,


Wenn ich dich so recht verstehe...
Das letzte Argument, die Geisteswissenschaften endlich alle dichtzumachen   Wie lang gibts eigentlich die LMU noch?

Tawabet
(die sehr wohl glaubt, daß es Tradition, Überlieferung, Kultureinflüsse und Enwicklungen u.ä. gibt)

> Antwort auf Beitrag vom: 30.12.2003 um 14:53:09  Gehe zu Beitrag
Gast_A.  maennlich
Member



Re: Ägyptische  
« Antwort #25, Datum: 30.12.2003 um 19:35:58 »   

Hallo Tawabet...


Zitat:
Das letzte Argument, die Geisteswissenschaften endlich alle dichtzumachen


Na, wenn man in Leipzig nur die „Ideengeschiche“ kennt, wäre das vielleicht besser... Worum es eben geht, ist das gezielte Einsetzen von Methodik um effektivere Analysemodelle auf archäologisches Datenmaterial übertragen zu können. Wie ich hier bereits einmal geschrieben habe, gehört zum ersten Schritt der Untersuchung die Selbstrechtfertigung, ob meine Fragen an das Objekt überhaupt gestellt werden können.
Wenn Du - nur weil ich die Ideengeschichte als „Methode“ für wenig brauchbar  halte (etwas anderes habe ich oben nicht geschrieben! Es ging konkret und ausschliesslich um Ideengeschichte und ihren Umgang mit Daten) - den Untergang des geisteswissenschaftlichen Abendlandes verkündest, dann würde ich gern wissen, warum? Siehst Du den einzigen Zweck deiner Wissenschaft darin, schöngeistig herumzuphilosophieren? Ja? Macht Spass! Stimmt! Und strengt vor allem wenig an! Aber ehrlich gesagt: Damit landet die Ägyptologie schneller im Abseits als Du es dir vorstellen kannst.
Wie wichtig systemtheoretische Ansätze und neue Methoden - Methodenbewußtsein überhaupt - sind, belegt doch schon der Mangel einer einheitlichen Fachsprache in der Ägyptologie. Die meisten schreiben (weils so schöngeistig ist?) irgendwie, ohne Begriffe zu definieren (vgl. „Persönliche Frömmigkeit“), ohne Bedeutungsfelder abzustecken. Von einer Metasprache haben die meisten Ägyptologen - auch die auf Lehrstühlen - leider nie etwas gehört. So können ewige Diskussionen entstehen, bei denen sich letztendlich rausstellt, dass 1) der Autor eigentlich etwas ganz anderes sagen wollte oder 2) die Debatte völlig aneinander vorbeilief.
Das Problembewußtsein muss doch bereits bei der Methodik und der Wahl der eigenen Perspektive beginnen. Nicht erst, wie Du es offenbar willst, beim Objekt! Es geht schliesslich darum, besser zu werden. Also konkret: bessere Prämissen zu entwerfen. Zu lernen welche Fragen ich an Objekte stellen kann/darf und welche nicht etc.
Ausschliesslich der „gesunde Menschenverstand“ gehört leider Gottes nicht unbedingt zu den Methoden, mit denen man in der Wissenschaft/Objektanalyse weit kommt.

Gruss A.
> Antwort auf Beitrag vom: 30.12.2003 um 15:11:30  Gehe zu Beitrag
Tawabet  weiblich
Member - Themenstarter



Re: Ägyptische  
« Antwort #26, Datum: 30.12.2003 um 21:45:22 »   

Gast A.,


Zitat:
Die Begriffe „Tradition“, „Einfluss“  und „Zeitgeist“  müssten aber prinzipiell in der Geschichtsschreibung in Frage gestellt werden.


Was willst Du eigentlich analysieren? Das Objekt bestimmt die Frage ... und die Antwort ist 42.


Zitat:
Das Problembewußtsein muss doch bereits bei der Methodik und der Wahl der eigenen Perspektive beginnen. Nicht erst, wie Du es offenbar willst, beim Objekt! Es geht schliesslich darum, besser zu werden. Also konkret: bessere Prämissen zu entwerfen. Zu lernen welche Fragen ich an Objekte stellen kann/darf und welche nicht etc.


Fragen  können/dürfen immer gestellt werden. Ob man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (z.B. Befunde, Schriftquellen, Artefakte etc) eine Antwort finden kann, steht auf einem anderen Blatt.

Tawabet
« Letzte Änderung: 30.12.2003 um 21:47:21 von Tawabet »
> Antwort auf Beitrag vom: 30.12.2003 um 19:35:58  Gehe zu Beitrag
JMK  
Gast

  
Re: Ägyptische  
« Antwort #27, Datum: 31.12.2003 um 10:13:41 »     

@Tawabet,


Zitat:
Fragen  können/dürfen immer gestellt werden. Ob man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (z.B. Befunde, Schriftquellen, Artefakte etc) eine Antwort finden kann, steht auf einem anderen Blatt.


Ich muß leider A. im vorangegangenen Posting Recht geben. Er hat die Situation (und das Problem) der deutschsprachigen Ägyptologie gut auf den Punkt gebracht. Auch bei uns "rumort" es und die Argumente sind fast wörtlich die gleichen!

Der Zustand der Leistungsfähigkeit in unserem Fach ist eben der, als ob man mit einem Preßlufthammer eine Gemme schneiden wollte...

Wir haben schlicht nicht die richtigen Methoden entwickelt, um moderne & an andere Disziplinen anschlußfähige Antworten zu liefern. Immerhin sieht man jetzt vereinzelt Dozenten auch mal mit einem Buch von Luhmann in der Hand - das ist ja schonmal ein Anfang.

Crossinger
> Antwort auf Beitrag vom: 30.12.2003 um 21:45:22  Gehe zu Beitrag
Tawabet  weiblich
Member - Themenstarter



Re: Ägyptische  
« Antwort #28, Datum: 31.12.2003 um 11:35:00 »   

@Crossinger,

gibt es Fragen in der Ägyptologie, die man nicht stellen darf?

Tawabet

(die die Notwendigkeit von Methoden und Theorien nicht bezweifelt und noch nie bezweifelt hat, auch wenn A. das glaubt.)
> Antwort auf Beitrag vom: 31.12.2003 um 10:13:41  Gehe zu Beitrag
JMK  
Gast

  
Re: Ägyptische  
« Antwort #29, Datum: 02.01.2004 um 10:16:37 »     

Erst einmal allen ein gutes Neues Jahr!

Und jetzt wieder an die Arbeit:

@Tawabet:


Zitat:
gibt es Fragen in der Ägyptologie, die man nicht stellen darf?


"Dürfen" schon. Doch sollte die Ägyptologie als Forschungsdisziplin endlich über ihre Schatten der Pionierzeit gesprungen sein. Das (Nicht-)Stellen dummer Fragen unterscheidet professionelle Wissenschaft vom "freien Schweben" über dem Material. Es gibt Fragen, die bereits ad acta gelegt sind und für eine Neubetrachtung auch nicht mehr herangezogen werden müssen. Mir kommt es allerdings so vor, daß Ägyptologen immer noch gerne für eine "Neubetrachtung" irgendwelcher Themen die komplette Ur-Suppe neu aufrühren.

Crossinger
> Antwort auf Beitrag vom: 31.12.2003 um 11:35:00  Gehe zu Beitrag
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