... Zu der „Geburtslegende“ hat bereits 1939 A. Hermann ( Das Kind und seine Hüterin, in: MDIK 8, 1939, S. 176 ) festgestellt: „Nach der Lage unseres Wissens muß es offen bleiben, ob die hellenistisch-jüdischen Kreise in Ägypten, die die Geschichte von der Rettung Mosis mit der Gestalt der Thermutis-Renute [er meint hier Renenutet, eigene Anmerkung] in Verbindung gebracht habe, dazu durch die Kenntnis einer ähnlichen Thermutis-Horus-Legende kamen oder ob dazu nur die allgemein mit diesem Namen verbundene Vorstellung von einer mütterlichen Frau mit Kind, welche im Chaemhet-Relief ja klar zum Ausdruck kommt, den Anlaß gegene hat. Daß schließlich die Moseslegende selbst in ihrer eigenen Entstehung auf eine entsprechende ägyptische Legende zurückgeht, dies anzunehmen ist bei der großen Ähnlichkleit mit den Vorgängern, wie sie etwa Herodot und Plutarch von Horus und Leto berichten, recht verlockend. Der Motivforschung – vielfach recht unmethodisch betrieben – ist allerdings nicht damit gedient, wenn bei struktureller Motivgleichheit um jeden Preis historische Beziehung behauptet wirdm, sofern die rechten Beweise fehlen, ist ja bei Motivübereinstimmung ebenso wie eine Beeinflussung auch isolierte Vergegenwärtigung gemeinmenschlicher Gegebenheiten in Erwägung zu ziehen... Denn wie die Mosesgeschichte in der Horusgeschichte eine Parallele hat, besitzt sie weitere in den Geburtslegenden, die von Sargon von Akkad (Ebeling bei Greßmannm Altorientalische Texte I, 234), von Perseus, Gilgamos, Bacchos, Neleus und Pelias, von Adonis, Kyros, Krischna und anderen mehr erzählt werden, ohne daß die Möglichkeit besteht, mit Erfolg die eine von der anderen herzuleiten.“ Dieses Scheitern der direkten Inbezugsetzung von altägyptischen und koptisch-christlichen Formen bzw. deren Inhalten ist nicht nur für die koptische Literatur, sondern auch für die Architektur charakteristisch: „Soweit wir heute den koptischen Kirchenbau erfassen, ist für seine Raumform das Prinzip der christlichen Basilika, für seine Körperform einerseits die römische Provinzialarchitektur in Ägypten, andererseits die gleichzeitige Kunst in den christlichenn Nachbarländern maßgebend. In der Bauplastik spielt das Altägyptische keine Rolle, außer daß im Ornament Symbole wie das Anch umgedeutet werden. Denn hier hat bereits die römische Kunsttätigkeit, wohl vorzugsweise in den Städten, in ihrer besonderen ägyptischen Ausprägung die alte Tradition verdrängt.“ ( Fr. Wilh. Deichmann, Zum Altägyptischen in der koptischen Baukunst, in: MDIK 8, 1939, S. 34 ). Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommt auch jüngst P. Grossmann in seinem monumentalen Epos über „Christliche Architektur in Ägypten“ ( Leiden, Boston, Köln 2002, S. I ): „Bodenständige bauliche Traditionen oder Anleihen aus der pharaonischen Baukunst, aus denen allein sich die Berechtigung ableiten ließe, der christlichen Baukunst im Niltal eine von den übrigen Provinzen des Römischen Reichs abweichende Bezeichnung zu geben, liegen bis auf einige relativ unauffällige Baugewohnheiten nicht vor. Nach pharaonischen Vorbildern gestaltete Säulen oder auch echte, aus pharaonischen Bauten entnommene Spolien wurden in frühchristlicher Zeit in keiner einzigen ägyptischen Kirche verwendet.“ Als von Aussen kommende Religion hat sich das ägyptische Christentum inhaltlich von der ägyptisch-heidnischen Formen- und Symbolsprache distanziert. Die Tempel und ihre Kulte wurden als dämonisch gefürchtet bzw. bekämpft (vgl. etwa die Zerstörung des Falkengottes von Edfu durch koptische Christen oder die Dämonisierung des Bes: in: R: Schulz, Vom Schutzgott zum Dämon. Gedanken zur Struktur und Deutung der Bes-Legende bei Apa Moses, in: ÄAT 20 Fs. J. Assfalg, Wiesbaden 1990, S. 311ff. ). Bewußte/Gezielte positive Tradierungen fanden daher kaum bzw. gar nicht statt. Dort wo Ähnlichkeiten feststellbar sind, erfolgten diese v.a. über Alexandria und hier über die hellenistische Kultur oder über universale Gedankenmuster, die eben kulturübergreifend ausgebildet wurden und nicht unbedingt auf einen „Urgedanken“ zurückgeführt werden müssen. Auch gilt zu berücksichtigen, dass „at the time orthodoxy was established, from the second half of th fourth century onwards, however, the Egyptian tradition had already become part of Hellenistic – and Christian – culture, had transformed it and had been even more transformed by it.“ ( Bowersock, Hellenism, 27, 43, 55-59 ). In diesem Sinne ist es auch kaum verwunderlich, wenn Tran Tam Tinh ( Sur les pas d’Isis, in: Bulletin de Correspondance Hellénique; Suppl. 38, 2000, S. 497-498 ) in einer gegenüberstellung spätantiker Epitheta der Isis und Maria lactans/maiestas eine auffallender Ähnlichkeit feststellt (Hieraus schliesst er – natürlich – wieder auf eine direkte Abhängigkeit von original ägyptischen Isis-Vorstellungen). Gruss A. (Kulturoptimist ) P.S.: Zum Nachvollziehen der grundlegend unterschiedlichen Herangehensweise an Survivals sei noch die maßgebliche frühe und aktuelle Literatur zur Survivalforschung angegeben: J. Doresse, Des hiéroglyphes à la croix ce que le passé pharaonique a légué au christianisme, Istanbul 1960 . Siehe auch die kritische Rezension von J. Zandee, in: OLZ 57 (1962), S. 21-27 ). [Selbiger J. Zandee ( Death as an Enemy, Leiden 1960 ) hat auch das bis dato wichtigste Werk zur Rezeptionsgeschichte der ägyptischen Höllenvorstellung verfasst, in dem er nachwies, dass fast alle Elemente der Höllenkonzeption, die in koptisch-christlicher Literatur vorkommen auch/vermutlich aus originär jüdisch-christlichen oder iranischen Einflüssen stammen (können)]. vgl. dazu der momentane Hauptakteur in diesem Feld: M. Krause (Heidentum, Gnosis und Manichäismus, ägyptische Survivals, in: M. Krause (Hrsg.), Ägypten in spätantik-christlicher Zeit, Wiesbaden 1998, S. 81-116 ) mit seinem Kriterien-Katalog zur Auswertung von Analogien/Parallelen und Survivals.
> Antwort auf Beitrag vom: 26.12.2003 um 15:20:56
|