Hier ein Artikel aus aMun 3/1999 von Dr. Ingeborg Müller, Ägyptisches Museum Berlin: Der Himmel hat die Sonne verschlungen Mit diesem sprachlichen Bild einer Sonnenfinsternis beginnt ein ägyptischer Priester seine Erzählung über die Entdeckung eines religiösen Textes, niedergeschrieben im l. Jh. v. Chr. auf dem demotischen Berliner Papyrus 13588. Begeben aber hatte sich dieses Ereignis 500 Jahre zuvor beim Tod des Königs Psammetich l., eines Herrschers der 26. Dynastie, der letzten Glanzzeit Ägyptens. "In Daphne (Tell Defenneh, im östlichen Delta), meiner Heimatstadt, habe ich gehört, dass der Himmel die Sonnenscheibe verschlungen hat" - der Erzähler, ein Priester namens Amasis, begibt sich daraufhin zur Balsamierungsstätte, in der der Leichnam des Königs zum Begräbnis vorbereitet wird. "Ich verbrachte dort die 70 Tage, indem ich eine Papyrusrolle abschrieb, eine Schutzschrift vom Atmen, die sich auf der Gottesbinde des verstorbenen Königs Pharao Psammetich befand". Der eigentliche Zweck dieser Erzählung war, diesem "Buch vom Atmen", einer späten Version des Totenbuchs, durch eine wundersame Auffindung ein hohes Alter und damit eine auf langer Bewährung beruhende Autorität zu verleihen. In altägyptischer Überlieferung jedoch steht hier die einzige Erwähnung einer Sonnenfinsternis in historischem Zusammenhang. Der (fiktive) Autor hat dieses Naturereignis nicht selbst erlebt, sondern beruft sich auf Augenzeugen. Dass das kosmische Ereignis wirklich stattgefunden hat, ergibt sich aus astronomischen Berechnungen. Für den 30. September des Jahres 610 v.Chr. lässt sich eine Sonnenfinsternis erschließen, die in Südrussland als totale Sonnenfinsternis erlebbar war, während sie in Ägypten nur in der nördlichen Landeshälfte (dort liegt auch das im Text genannte Daphne) in den Morgenstunden als partielle Finsternis sichtbar war, bei der die Sonne nur zu knapp 50% "vom Himmel verschlungen" war. Vielen mag sie ganz verborgen geblieben sein. Eine totale Verfinsterung der Sonne indes bedeutete dem Ägypter Umsturz der Weltordnung. In einem religiösen Lied werden deshalb die Widersacher der Götter und Menschen mit folgenden Worten beschworen: "O weiche zurück, damit die Sonne sich nicht verfinstere. damit der Himmel den Mond nicht verschlinge." Denn nach altem Glauben wurde die Sonne täglich von der Himmelsgöttin Nut neu geboren, während sie bei ihrem Untergang in die Arme ihrer Mutter hinabsteigt. Wolken, die sich in der Schlange Apophis verkörpern, bedrohen die Sonne, aber auch Verfinsterungen, die nach einem mythologischen Text mit dem Mond in Zusammenhang gebracht werden: Ein Toter begehrt Einlass in die Unterwelt und versichert den Wächtern, er kenne die Verletzungen, die das Auge der Sonne am Neumondstage bei der Sonnenfinsternis erlitten habe, und sei imstande, den Schaden zu heilen. Den genauen Wortlaut des Papyrus habe ich leider nicht. Irgendwo wird er vielleicht publiziert worden sein. Es ist also nur eine SoFi belegt - wie im LÄ steht. Vorausberechnen konnten die Ägypter diese sicherlich nicht. Dann wäre der Text des Papyrus wohl etwas anders abgefasst worden. Gitta
> Antwort auf Beitrag vom: 29.01.2004 um 14:21:00
|