Hallo zusammen! Ehrlich, ich freu mich riesig über die Beiträge. Faszinierend ist, daß sie entweder ganz zustimmend oder eben ganz ablehnend sind. Ich hoffe aber, daß wir nach These und Antithese zu einer Synthese kommen, die dann wieder... nein, das führt zu weit. Vorab muß ich mich entschuldigen: Die von Gitta zitierte Passage aus meinem Eröffnungstext war sehr persönlich und hatte auch nicht mehr viel mit dem eigentlichen Thema des threads zu tun. Ich hoffe, Ihr könnt mir vergeben. Zur Begriffsklärung: Mit Animisten meine ich nicht die pseudo-esoterischen Spinner, die einen im Internet und auf der Straße mit frömmelndem Blick und heilsverkünden Sprüchen annerven, oder einem das "garantiert echte Liebesamulett von Tut-Anch-Amun" verkaufen wollen. Das nicht! Mit Animismus ist in diesem Zusammenhang die piaget'sche Lesart, wie ich sie oben zitiert habe gemeint. Die Ägypter haben in ihrer Kulturgeschichte durch Beobachtung ihrer Umwelt eine bemerkenswerte Mathematik, Astronomie und Medizin, kurz Wissenschaft geschaffen. Aber es gab immer noch Gewalten und Phänomene, die nicht von Menschen beherrscht werden konnten. Das ist in meinen Augen der Moment, in dem "Religion" das Licht der Welt erblickt. Diese übermächtigen Gewalten werden personifiziert und kultisch verehrt, um sie zu zähmen. Jeder Gott hatte einen Ort, an dem er wohnte (Tempel). Die kultische Verehrung hatte sehr konkrete Formen, wie Waschen, Bekleiden, Schminken und Speisen des Gottes. Es wurde nicht unterschieden, ob diese Rituale magischer Natur waren oder real. Diese Unterscheidung wurde nicht empfunden. Wenn etwas in magischer Weise getan wurde, dann war es getan. Aus dem Animismus (auch Fetisch-Kult habe ich schon gehört) haben sich verschiedene elaborierte Theologien entwickelt. (Götter-Neunheiten, z.B., durch die Priester wahrscheinlich versuchten die unterschiedlichen Kulte zu einem harmonische Ganzen zu verbinden) Dennoch behielt die Magie und die mit ihr verbundene Weltsicht auch im Neuen Reich für die Menschen ihre Gültigkeit, sonst hätten sie ja wahrscheinlich auf Amulette, Uschebtis usw. verzichtet. Im Gegensatz dazu bestach der Aton-Kult durch zwei charakteristische Merkmale: Die Omnipotenz dieses Gottes und seine Unerreichbarkeit für jeden außer dem König. Er war transzendent in einem Maße, wie es noch nie vorher angedacht worden war. Seine Existenz lag per definitionem außerhalb der Erfahrbarkeit für die Menschen. (wieder den König ausgenommen) Thomas hat das ja auch schon ausgeführt. Eines ist mir noch aufgefallen, als ich den Sonnengesang Echnatons gelesen habe: Es muß eine trostlose Religion gewesen sein. In der Nacht gab es nichts, das die Menschen beschützen konnte. Zitat:
Gehst Du unter im Westhorizont, so ist die Welt in Finsternis, in der Verfassung des Todes. Die Schläfer sind in ihrer Kammer, verhüllten Hauptes, kein Auge sieht das andere. Raubt man all ihre Habe, die unter ihren Köpfen ist - sie merken es nicht. Jedes Raubtier ist aus seiner Höhle gekommen und jede Schlange beißt. Die Finsternis ist ein Grab, die Erde liegt erstarrt, (denn) ihr Schöpfer ist untergegangen in seinem Horizont. |
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zit. aus Erik Hornung "Altägyptische Dichtung" Dieser Gott läßt die Menschen allein mit ihren Urängsten. Er versagt sich ihrem Bedürfnis nach Schutz vor den unwägbaren Gefahren des Lebens. Und es liegt nicht im Bereich des Menschen möglichen, ihn von seinem vorbestimmten Lauf abzubringen, sei es durch Gebet, Opfer oder eine andere Art der Verehrung. Ich glaube, daß diese Vorstellung die meisten Menschen zutiefst verstört haben muß. Ähnlich wie bei einem Kind dessen Eltern das erste Mal abends allein ausgehen. Ich habe den dreisten Versuch unternommen, die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Kultur in Ägypten mit der Entwicklungsgeschichte eines Menschen zu vergleichen. Und damit möchte ich nicht die geschichtlichen Fakten aus der Amarna-Zeit und der folgenden Restauration wegdiskutieren, wie die wachsende Bedrohung durch die Hethiter und innenpolitische Wirren. Aber wenn Assmann (entschuldige, wenn ich auch damit anfange, Gitta) von einem Trauma spricht, einem Begriff aus der Psychopathologie, ist man doch versucht, einen psychologisch schlüssigen Grund dafür zu finden, oder? Liebe Grüße Ti
> Antwort auf Beitrag vom: 22.04.2004 um 16:16:21
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