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   Architektur & Kunst (513)
   Steinmehl (7)
  Autor/in  Thema: Steinmehl
Iufaa  maennlich
Moderator



Steinmehl shrine12.jpg - 146 KB
« Datum: 18.02.2007 um 15:18:32 »   

Hallo,

wir haben in den Threads Schleifrillen und Edfu - Fragen zur jüngeren Geschichte über die in den antiken Denkmälern Ägyptens weit verbreiteten Schleifrillen diskutiert.

Bei der Zusammenstellung der Daten für die Schreine aus der 18. Dynastie in Gebel es-Silsilah bin ich immer wieder über eine Bemerkung von Caminos gestolpert: "Die Wanddekoration ist weitgehend durch Abschabungen zur Steinmehlgewinnung zerstört" (siehe Schrein 12 unten).

Mir ist aber unklar, welchem Zweck diese Steinmehlgewinnung gedient hat. Man findet immer Begründungen wie:
Zitat:
Fruchbarkeitsritualen... Frauen schabten etwas von diesen heiligen, alten Steinen ab, um etwas von deren magischer Wirkung abhaben zu können.

Zitat:
"Pilger des Amun-Tempels Sand für heilige Zwecke entnommen".
auch medizinische Verwendungen wurden hier schon erwähnt.

Welche Belege gibt es eigentlich für die Verwendung von Steinmehl, gibt es Rezepturen für die Herstellung von Heilmitteln, finden sich möglicherweise bestimmte Steinsorten bevorzugt in Rezepturen oder ist die Verwendung völlig unabhängig von der Gesteinsart?

Gruss, Iufaa


- Vollbild -
Dirk  maennlich
Member



Re: Steinmehl 
« Antwort #1, Datum: 19.02.2007 um 22:07:35 »   

Hallo Iufaa,

selbst für die europäischen Schleifrillen gibt es kaum schriftliche Belege - und wenn doch, dann kaum solche von wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit. Ich habe diesbezüglich die einschlägigen Handbücher zu Aberglauben und Volksglauben durchforstet, aber über mehr als ein paar vage Hinweise, die hier bereits genannt wurden, bn ich nicht hinaus gekommen. Auffallend sind allerdings zwei Momente:
1. die Schleifrillen etc. sind eigentlich nur auf Kalkstein, Kalksandstein und Sandstein zu finden. Mir sind zB. in D, A, I, H und Ägypten bisher keine Belege für Schleifrillen auf Hartgesteinen wie Granit, Gneis, kristalinen Gesteinen (Marmor, Alabaster) oder etwa Porphyr aufgefallen. Möglicherweise gilt das auch für Quarzsandsteine und ähnliches, die ja normalerweise für Schleifsteine (bei uns für Sicheln und Sensen!) verwendet werden.

2. Im Gegensatz zu europäischen Bauwerken, finden sich an den ägyptischen Tempeln die Schleifrillen in einer derartig dichten Verteilung und Häufigkeit, daß es kaum vorstellbar ist, daß hier Steinmehl lediglich für "Heilige Zwecke" oder für die volkstümliche Humanmedizin gewonnen wurde. Die "Kundschaft" für das Steinmehl muß entweder sehr groß gewesen sein, oder die benötigten Mengen waren beträchtlich.

In dem zitierten Schleifrillen-Threadbin ich auf die ausgeschabten Gesichter in Kom Ombo gestoßen. Leider erwies sich die kolportierte Behauptung, daß hier die ptolemäischen Priester "Heiligen Sand" schürften, als geradezu skuriller Riesen-Flopp (siehe: "Kom Ombo und die Legende vom "Heiligen Sand"). Als Nebenprodukt ergab sich jedoch die Beobachtung, daß in Kom Ombo die Schleifrillen stratigraphisch mit den sogenannten "Steinösen" zusammen zu sehen sind. Diese Steinösen stammen erst aus nachpharaonischer Zeit, als man die Tempelanlage schon lange als Steinbruch devastiert hatte. Schleifrillen und Steinösen folgen den Versandungshorizonten, gehören also in die islamische Epoche. Die Ösen wurden offensichtlich von Hirten, Viehtreibern und Bauern zum Anbinden ihres Viehs eingestemmt. Es sind also die islamischen Ägypter, die hier fleißig Steinmehl produzierten - und zwar in beachtlicher Menge. Es liegt der Schluß nahe, daß wegen der intensiven "Sand-Bewirtschaftung" der Tempelwände, möglicherweise nicht der Mensch direkt (Volksmedizin), sondern das Vieh der Endabnehmer war. Ich denke dabei an Futterzusätze. Vielleicht suchen wir in der falschen Richtung und man sollte die historischen Gepflogenheiten bei der Tierhaltung näher "abklopfen". Leider ist uns da die moderne Entwicklung der letzten 100 Jahre dazwischen gekommen, welche das ländliche Leben total umgekrempelt hat. Was man von der angeblichen Überlieferung durch die Ägypter halten kann, zeigt am besten mein Flopp von Kom Ombo, wo die Legendenbildung schon nach wenigen Jahrzehnten alle historschen Spuren verwischt.

Grüße
Dirk
> Antwort auf Beitrag vom: 18.02.2007 um 15:18:32  Gehe zu Beitrag
Dirk  maennlich
Member



Re: Steinmehl 
« Antwort #2, Datum: 19.02.2007 um 22:22:44 »   

Nachträgliche Frage zur Abbildung: auf der rechten Seite ist oberhalb der Schleifrillen eine Inschrift zu sehen. Kann man die zeitlich näher einordnen und vielleicht mit den Schleifrillen in Zusammenhang bringen? Ich suche noch immer Inschriften, die in einem stratigraphischen Zusammenhang mit den Schleifrillen zu bringen sind. Fest steht bisher nur, daß arabische Inschriften und solche der "Touristen" des 19. Jh. in einigen Fällen über den Scheifrillen liegen. Leider bringt das nicht viel, denn die arabischen Inschriften sind angeblich nicht näher datierbar. Interessant wären natürlich koptische oder griechische Inschriften, die man hier lagemäßig verwerten könnte.

Grüße
Dirk
> Antwort auf Beitrag vom: 18.02.2007 um 15:18:32  Gehe zu Beitrag
Iufaa  maennlich
Moderator - Themenstarter



Re: Steinmehl 
« Antwort #3, Datum: 20.02.2007 um 12:17:25 »   

Hallo Dirk,

es handelt sich um Schrein Nr. 12 in Gebel es-Silsilah, Besitzer ein gewisser Minnakhte.

Für die Westwand mit der Nische erwähnt Caminos keinerlei zeitgenössische Inschriften auf den Statuen oder an der Wand.

Die von Dir bemerkte rote Imschrift dürfte also nach-ägyptisch sein - wenn man das Bild vergrößert, sieht es für mich nach "Arabisch" aus.

Gruss, Iufaa
> Antwort auf Beitrag vom: 19.02.2007 um 22:22:44  Gehe zu Beitrag
Iufaa  maennlich
Moderator - Themenstarter



Re: Steinmehl 
« Antwort #4, Datum: 20.02.2007 um 13:15:11 »   

Hallo Dirk,

ich bin bis jetzt auch auf wenig medizinische Anwendungszwecke von Steinmehl gestossen. Das LÄ kennt den Begriff nicht, bei Westendorff taucht es nicht als Bestandteil einer Rezeptur auf - oder ich hab´s übersehen.

Einen ersten Hinweis habe ich in folgender Publikation gefunden:
Anesthesiology Transforms an Ancient Painful Ritualistic Technique into a Surgical Procedure von Michael C. Lewis, M.D. et al.
Dort wird mit Verweis auf eine andere Stelle (Middle East Jour of Anesthesiology 1989; 10: 99-105) pauschal beschreiben:

Zitat:
In ancient Egypt circumcision was performed as a ritual hallmark of slavery. Stone reliefs show surgeons applying a substance made from mixture of stone powder and vinegar on the wound to produce analgesia.
Das dürfte natürlich den massenhaften Bedarf erklären.

Sonst bisher nix gefunden.

Gruss, Iufaa
> Antwort auf Beitrag vom: 19.02.2007 um 22:07:35  Gehe zu Beitrag
naunakhte  weiblich
Moderatorin



Re: Steinmehl 
« Antwort #5, Datum: 22.02.2007 um 08:27:13 »   

Ich möchte mal, nur der Vollständigkeithalber, zwei Bildern anfügen.
Sie entstanden ebenfalls in Silsila, auf der Westseite. Hier befand sich in der Antike ein Steinbruch - und eben die von Iufaa bereits erwähnten Kapellen.

Die "Schleifrillen" finden wir aber auch ganz normal am Gestein. Unabhängig von dessen antiken, religiösen Gebrauch.

So zeigt ein Bild Schleifrillen am Ufer, am Landeplatz der Transportschiffe und das andere zeigt sie ganz einfach am stehengelassenen Gestein.

Gruß
nauna


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> Antwort auf Beitrag vom: 18.02.2007 um 15:18:32  Gehe zu Beitrag
snormi  weiblich
Member



Re: Steinmehl 
« Antwort #6, Datum: 10.03.2008 um 09:03:02 »   

passend zu diesen, für mich, nicht kultisch erklärbaren Schleifrillen möchte ich nun ägyptologische Literatur zu dem Thema erwähnen.

In einer Magisterarbeit zu Gegentempel (Straube, Charlotte, München 1989, S. 52) fand ich zu den Schleifrillen im Maat-Tempel von Karnak-Nord folgendes:

Zitat:
Auffallend sind die außerordentlich zahlreichen, dicht nebeneinander befindlichen Abreibungen auf der ersten Sandsteinschicht des Barkensanktuars, die sich seitlich der Nische über die ganze Breite der Fassade verteilen und die Teilnahme einer Vielzahl von Gläubigen an den dort vollzogenen Teilriten zu bestätigen scheinen.


Sie verweist auf Traunecker, in BIFAO 72/1972, S. 196 Anm. 3 mit den Worten:

Zitat:
Es könnte sich bei den tiefen Abreibungen, die häufig und fast ausschließlich an kultisch relevanten Reliefs auftreten, tatsächlich um Anzeichen für eine Verehrung der dargestellten Götter durch die Gläubigen handeln.


Wenn man sich die Schleifrillen in Ägypten mal anschaut wird man auch häufig genug Stellen finden an denen man mit der kultischen Relevanz etwas Probleme hat (wie zum Beispiel hier im Steinbruch von Gebel el-Silsila). Damit zeigt die angeführte Literatur wohl eher das Unvermögen auf, das Phänomen tatsächlich zu erklären. Was uns dann zugegebenermaßen in unserer Fragestellung auch nicht weiterbringt.

Gruß
> Antwort auf Beitrag vom: 22.02.2007 um 08:27:13  Gehe zu Beitrag
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