Eine Freundin war gestern in Völklingen und ist damit einverstanden ihren Kommentar hier veröffentlichen zu lassen, was ich mit leichten Kürzungen tun werde. Die Ausstellung läuft ja noch eine Weile, und es sollte nicht nur mein Eindruck hier stehenbleiben. Selbst meine beiden Mitbesucherinnen, ... aus Bochum ..., die Industriedenkmäler im Ruhrgebiet gewöhnt sind, waren angesichts der bedrückenden Häßlichkeit des Ex-Stahlwerks entsetzt. ... Der Fabrikduft in der stählernen Werkshalle ist alles andere als dezent, er ist penetrant, legt sich sofort auf die Stimmbänder und verursacht Schwindel - nach einer Viertelstunde, in der sich meine Augen auch noch an die Dunkelheit gewöhnen mußten, wurde ich richtig taumelig, was mir noch nie passiert ist. Es waren nur wenige Besucher vor Ort, ein Zustand der auch nach 15.00 Uhr noch anhielt, als freier Eintritt gewährt wurde. Man muß froh darüber sein, denn manche Ecken mit Ausstellungsobjekten sind so klein konzipiert, daß schon vier Personen alles blockieren. Aber: die Ausstellung ist opulent und vor allem sehr vielseitig bestückt, die Exponate hervorragend, man kann keinerlei Qualitätsmängel in der Wahl der Objekte feststellen. Es gibt keine sog. "B-Ware" die mal eben aus den Magazinen zusammengestellt wurde, da muß ich [nauna] doch resolut widersprechen, denn Aegyptiaca sind grundsätzlich niemals zweitrangig. Jedes Stück, auch das optisch bescheidene Werk, hat seinen ihm eigenen Wert ! Das Desaster in Völklingen liegt darin begründet, daß die Ausstellungsmacher das Charakteristische und die Besonderheiten, sowie die Einordnung sämtlicher Einzelstücke in den kulturellen Zusammenhang nicht vermitteln. Es mangelt an didaktischen Konzepten. Wenn es eine "B-Ware" in der Völklinger Pharaonen-Ausstellung gibt, dann trifft man sie ganz klar in der Arbeit der Wissenschaftler und Ausstellungsbeauftragten an. Es ist mir völlig unverständlich, wie sich Fachleute mit einem so banalen und dürftigen Informationskonzept zufriedengeben können und dieses Manko im Ausstellungkatalog nicht ausgleichen. Dazu unten noch mehr. Die häßlichen Tempelmodelle und die belanglosen Ägyptenphotos als "Hors d'oeuvre" ließen wir links liegen, das sind reine "Füllstoffe", die z.T. völlig falsche Legenden aufweisen ..., es ging sofort auf eine gähnend leere riesige Stahl-Plattform mit der Abbildung einer Zeitschiene und ich gab erst einmal eine Grundeinführung in die Landesnatur und Basisinformationen zur Chronologie ... Das fiel meinen zwei Mitbesucherinnen sofort auf: keine Ägyptenkarte, keine gescheite Dynastien-Tafel, keinerlei Information bezüglich der geographischen Besonderheiten des Landes. ... Die Ausstellung weist nur eine Grobordnung auf - sie ist chronologisch arrangiert - ansonsten sucht man vergeblich nach einem roten Faden, ein Themenkonzept innerhalb der chronologischen Schiene existiert nicht. Die Begleittexte sind extrem kurz und inhaltlich flach - meine Begleiterinnen merkten übrigens nach wenigen Minuten (!), daß die Gruppenführungen durch die Ausstellung genau so "abgemagert" gehalten werden wie die Texte an den Wänden. Die Vitrinen sind fast alle an die Wände positioniert, was größte Mühen beim Betrachten der Stücke bereitet: Gipfel des Präsentations-Dilettantismus ist wohl die Aufstellung des Pyramidion des Chonsu aus Deir el-Medine, das brachte nicht nur mich in Rage! Ein Prachtexemplar, mit herrlichen Darstellungen der Erscheinungsformen des Sonnengottes auf den Schauseiten. Hier wäre eine exzellente Gelegenheit gewesen, Besuchern die Grundlagen des Sonnenzyklus zu erklären, dem dominanten Thema der Architektur und Dekoration ägyptischer Gräber des NR. Drei Seiten kann man bewundern, die vierte dekorierte Fläche erfordert zum Betrachten gymnastische Geschmeidigkeit, wir blieben aber ohne Blessuren trotz vorkragender Stahlrohre! Ärgerlich auch die hohen Podeste auf denen mehrere der wunderbaren Särge der 3. Zwischenzeit und Spätzeit standen. Bei einige Stücken kann man nur die Seiten richtig gut sehen. Schade, denn die Turiner Särge sind wirklich prächtig in ihrer Farbigkeit und dem Bildprogramm. Skandalös z.B. der Mangel an Informationen zum Sarg des Bekenchons und seiner Person, über die wir so viele Informationen besitzen. Mit keiner Silbe wird dem Publikum etwas von seiner Tätigkeit in der thebanischen Nekropole verraten, seiner interessanten Familie, der spannenden Transitphase in Theben Ende der 20./Anfang 21. Dynastie, seinem Umfeld. Die Informations-Mängelliste ließe sich endlos für jedes einzelne Exponat fortführen. Welche Besucher profitieren von der Ausstellung und was sollte man bei einem Besuch beachten? 1. Wer eine sehr lange Anreise in das Saarland hat sollte sich den Besuch gut überlegen, man benötigt viel Zeit zum Betrachten der Stücke. Spätestens gegen 12.00 Uhr muß man vor Ort sein. 2. Dringend ausreichend Proviant und Getränke mitnehmen - ein Catering für Besucher in der Ausstellung existiert nicht, was dem ungastlichen Eindruck des Ausstellungsgebäudes übrigens einen ganz eigenen Akzent hinzufügt. 4. Schockresistenz angesichts des Eintrittspreises von satten 15.- Euro ist Bedingung !! Studenten genießen freien Eintritt - Ausweis nicht vergessen, sonst klafft eine breite Lücke im Bestand des Portefeuille. 3. Es ist ein Tag, der auch physische Kraft abverlangt wenn man aus großer Entfernung anreist, egal welches Transportmittel genutzt wird. Aus Marburg bzw. Bochum kommend wurde es für uns drei Personen ein 18-Stunden-Tag, der nur rentabel ist, wenn man sich in der Ausstellung wirklich Zeit lässt. Wir sind aber dennoch fit - "the day after" (grins). Kleiner Tipp aus Erfahrung: in Gesellschaft Gleichgesinnter macht diese "Hardcore-Expedition" viel mehr Spaß, vor allem sollte man die vor sich hinrostende Stahlarchitektur des "Weltkulturerbes Völklinger Hütte" und den Ort selbst, die zusammen eine schwer depressive Grundstimmung ausstrahlen, mit dezidiert britischem Humor nehmen: Das werden WIR den nachkommenden Generationen einmal hinterlassen - welch ein Kontrast zur Hinterlassenschaft der ägyptischen Zivilisation! Man kann trefflich darüber philosophieren - oder lästern, je nach Laune, schmunzel. 4. Wer herrliche Objekte aus Turin bewundern möchte und einen soliden Wissenshintergrund besitzt, wird an der Ausstellung in der Völklinger Hütte ganz sicher Freude haben, so erging es uns. Überfüllung ist nicht zu erwarten, was große Vorteile hat. Wir waren 6 Stunden mehr als beschäftigt, bei gut 250 Exponaten reichte kaum ein voller Nachmittag um alle Ausstellungsstücke gebührend zu würdigen. Interessierte Besucher ohne Fachkenntnisse sind zwar mit schönen Aegyptiaca reichlich versorgt, müssen sich aber damit abfinden, daß ihre Fragen in den Begleittexten auf den Wänden der Ausstellungsräume nur ungenügend bzw. meist gar nicht beantwortet werden. 5. Der Ausstellungskatalog hilft nicht weiter. Er ist das was man in Englisch "a disgrace" nennt. Schöne Photos - aber keine Inventarnummern oder Herkunftsangaben zu den Leihgaben. Man muß lange suchen um aus den letzten 30 Jahren einen vergleichbar schlampig abgefassten Katalog zu finden. Wen haben sich die Autoren als Zielgruppe vorgestellt: offenbar nur ein "Bunte-Bilder-Gucker-Publikum", denn für jeden fachlich versierten und/oder interessierten Besucher ist das Buch entbehrlich, er kann sich auf der Homepage der Turiner Sammlung umfassender informieren. Wie konnten die Autoren dergleichen hinnehmen und in Druck gehen lassen? Völklingen ist die erste Ägyptenausstellung, von der ich mir keinen Ausstellungskatalog mitgenommen habe - aufgrund der geschilderten Mängel - und das nach über 30 Jahren Museums- und Ausstellungsbesuchen! Ohne Bedauern. 6. Ich bin der Auffassung, daß diese Turin-Ausstellung - neben der didaktischen Mängelbehebung - einen angenehmeren Austellungsort dringend verdient hätte. Sie wird - falls ich richtig informiert bin - nach Völklingen nur noch in Belgien und Frankreich zu sehen sein. Wünschen wir ihr ein angenehmeres Ambiente!! Soviel von anderer Stelle.
> Antwort auf Beitrag vom: 13.08.2014 um 10:42:21
|