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Ägyptologie Forum >> Pharao & Hofstaat


1) Der Pharao und das Volk
Thu am 16.01.2003 um 18:42:52

Hi,

ich brauch unbedingt Hilfe für meine Facharbeit zum 24.1.03!!!
Wißt ihr wie der Pharao zum Volk stand?
Schottete er sich, ausser bei Prozessionen, zum Regieren vom Volk ab oder gab er sich auch mit den sehr Armen ab?
Reiste er selbst durchs Land um sich zu vergewissern das alles OK ist?


2) Re: Der Pharao und das Volk
Gitta am 17.01.2003 um 21:27:53

Hallo Thu,

die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die ägyptischen Schreiber haben uns dazu nicht viel hinterlassen.

Sicher belegt sind z.B. die sogenannten Horusgeleite der frühen Dynastien. Der König unternahm Fahrten in die einzelnen Landesteile. Hierbei handelte es sich aber wohl in der Hauptsache um verwaltungsbedingte Exkursionen, d.h. es wurden sogenannte Domänen (landwirtschaftliche Produktionsstätten) usw. besucht um je nach Ertragslage die Steuern festzulegen. Ob dabei auch fürsorgliche Begegnungen mit einfachen Leuten stattfanden, ist nicht bekannt. Belegt sind diese Horusgeleite aber nur bis zum Anfang der Regierungszeit des Königs Snofru -  etwa 2575 v.Chr. (Gundlach, "Der Pharao und sein Staat", S. 93).

Ansonsten kann man nur schlussfolgern: der König hatte nach der Ma'at (Göttin und ehernes Gesetz der allgemeinen Ordnung - eine für die Ägypter überaus wichtige Lebensgrundlage) zu handeln. Dazu gehörte auch, das Volk mit allem zu versorgen, was es zum Leben brauchte. Dass dies wohldurchdacht geschah, kann man daran ablesen, dass die Ägypter Bevorratung betrieben. Das heißt, in guten Jahren wurden die Getreidesilos gefüllt, um mit den Überschüssen in schlechten Jahren gegebenenfalls Hungersnöte zu vermeiden. Insofern kann man davon ausgehen, dass der König sich tatsächlich um sein Volk bemühte. Dass er - immerhin lebendes Abbild des Horus auf Erden, also eine Art Halbgott - allerdings "Bäder in der Menge nahm", wage ich zu bezweifeln. Der König zeigte sich m.E. dem Volk hauptsächlich zu Festen, die sehr ausgiebig gefeiert wurden. Das bedeutete auch, dass diese Feste als Feiertage galten, an denen die Arbeit ruhte. Bei solchen Anlässen war der König auch Gastgeber für die einfachen Leute: es gab besondere Schlemmereien und - ganz wichtig - große Mengen (Frei)Bier. Man könnte dies also ohne weiteres als "Sozialleistung" ansehen.

Bekannt ist eine Geschichte von Ramses II. Es ist überliefert, dass er eine Lobrede auf seine Arbeiter in den Steinbrüchen hielt und ihnen alle erdenklichen Vergünstigungen zusagte als Dank für ihre gute Leistung und als Anerkennung für die beschwerliche Arbeit.

Ähnliche Äußerungen tat er auch anläßlich eines gelungenen Brunnenbaus in der Wüste, wenn ich mich nicht irre, war er zu der Zeit aber noch Kronprinz.

Das ist leider alles, was mir zu Deiner Frage einfällt. Es trifft nicht so ganz den Punkt, aber es ist auch ausserordentlich schwierig, denn erstens sind die Belege ziemlich rar und zweitens sprechen wir hier ganz lapidar mal eben über 3000 Jahre. Innerhalb dieses Zeitraumes werden sich die Gepflogenheiten immer wieder geändert haben. Was aber für alle Könige Ägyptens galt, ist die Verpflichtung zu  ma'atgerechtem Handeln.

Gitta

> Antwort auf Beitrag vom: 16.01.2003 um 18:42:52


3) Re: Der Pharao und das Volk
 Iufaa am 17.01.2003 um 21:45:51 - Anhang: L1010018.JPG

Gitta hat - wie immer - das entscheidende Problem angesprochen: "Wir wissen relativ wenig".

Wenn man das, was wir zu wissen glauben, über die ca. 3000 Jahre verteilen, dann bleiben gewaltige Erkenntnislücken. Viel schlimmer noch, es finden sich durchaus scheinbar widersprechende Befunde.

So lassen sich klare Belege z.B. für die Zeit des Neuen Reiches finden, die auf eine streng hierarchische Gesellschaftseinteilung hinweisen. So finden sich Inschriften, die so etwas wie "Plebejer und Patrizier" bezeichnen, bei den a.Ä. "rekhyet"-Vögel und "Pa´et"-Leute genannt. Die Rekhyet-Vögel (Amenhotep III hält sie im Luxor-Tempel bündelweise an den Flügeln) waren der Plebs. Beide die lebten aber nicht durch Pharao, sondern durch die Tatsache, daß sie diesen "anbeteten" (Bell, L.D., "The New Kingdom Divine Temple: The Temple of Luxor." in: Shafer, B.E.:  "Temples of Ancient Egypt.", 1998).

Das folgende Bild zeigt aus dem Luxor-Tempel die wohl eher als Patrizier zu betrachtenden Pa´et-Leute bei der Anbetung des Königs.

Iufaa


> Antwort auf Beitrag vom: 17.01.2003 um 21:27:53


4) Re: Der Pharao und das Volk
 Iufaa am 17.01.2003 um 21:57:26 - Anhang: L1010409.JPG

Auch wenn, wie Gitta schreibt, der eine oder andere Pharao mal das Wort ans "Volk" richtete, im täglichen Leben war wahrscheinlich rangabhängig geregelt, wer z.B. wie weit in den Tempel hinein durfte.

Auf das folgende Graffito hat mich Chr. Loeben von der Humboldt-Uni., Berlin,  aufmerksam gemacht. Es ist im Treppenaufgang des 8. Pylons in Karnak zu finden. Offensichtlich zeigt es die Sicht auf Zeremonien vor den Sitzstatuen des Thutmosis III vor dessen 7. Pylon. Dort durfte nicht jeder hin, aber schon damals erwies sich mit Hilfe eines Bakschisch die Tür zum Aufgang des 8. Pylons als "Schein-Tür" und man konnte vom Dach aus zusehen.
So jedenfalls werden die Graffiti dort oben interpretiert. Nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich, daß darunter auch ein paar Vorarbeiter aus dem ramessidischen Steinbruch waren.

Iufaa

> Antwort auf Beitrag vom: 17.01.2003 um 21:45:51


5) Re: Der Pharao und das Volk
Gitta am 17.01.2003 um 22:19:39

Danke Iufaa  

Ich hatte gehofft, dass zu diesem Thema noch der eine oder andere Beitrag kommt. Die Frage von Thu stand schon so lange einsam im Forum, dass ich mir dachte, ich fange einfach mal an. Dann wird vielleicht der eine oder andere von Euch noch etwas hinzuzufügen oder richtigzustellen haben und auf diese Weise kommt Thu dann zu einer sachverständigen Antwort. Hat geklappt!

Gitta

> Antwort auf Beitrag vom: 17.01.2003 um 21:57:26


6) Re: Der Pharao und das Volk
 Iufaa am 17.01.2003 um 23:03:44 - Anhang: L1010025.JPG

Aber gern, Gitta, habe die Frage offensichtlich bisher überlesen oder mir ist nichts dazu eingefallen.

Das das "Volk" nicht überall hin durfte, ist inzwischen allgemeine "Erkenntnis". Das Bildprogramm der Tempel im Neuen Reich war sicherlich keine Werbeveranstaltung für die Gegenwart, besonders nicht in den zahlreichen Totentempeln. Das heißt, die prächtige Darstellung der Reise nach Punt im Totentempel der Hatschepsut bekam, so ist die derzeitige Sicht der Ägyptologen, außer den Priestern keiner zu sehen.

Aber "wieweit" durfte das Volk den in einen Tempel hinein, was bekam es zu sehen?
Eine für mich verblüffende Darstellung lieferte der oben zitierte L. Bell in Bezug auf den Luxor-Tempel. Nach dieser Interpretation durfte das Volk zwar nicht  - z.B. während des Opet-Festzuges - in den Hof des Ramses II, aber durchaus zu anderen Zeiten (d.h. wenn dort nicht gerade Amuns Barke herumgetragen wurde) dort hin.
Zu diesen Zeiten, so Bell, waren dann auch die Tore des Barkenschrein für Amun im Hof des Ramses wohl geöffnet. Die Hinterwand des Schreines (siehe Foto unten) ist aus rituellen Gründen als Scheintür gestaltet, durch die der König Kontakt mit der Götterwelt aufnehmen konnte.
Aber durch die Scheintür gelangten auch die Bitten des Volkes direkt in das Reich der Götter - eine riesige Telefonbox!

Ich kann den zuvor erwähnten Artikel nur empfehlen.

Grüsse, Iufaa

Iufaa

> Antwort auf Beitrag vom: 17.01.2003 um 22:19:39


7) Re: Der Pharao und das Volk
Gitta am 18.01.2003 um 23:13:58

Hallo Iufaa,

ich erinnere mich, dass Du bei unserem Treffen in Luxor schon über diese erstaunliche Interpretation gesprochen hast. Man müsste nun mal erforschen, ob nicht auch andere Tempel bisher unentdeckte "public areas" hatten.

Ich muss mich übrigens mal eben selbst korrigieren:


Zitat:
Bekannt ist eine Geschichte von Ramses II. Es ist überliefert, dass er eine Lobrede auf seine Arbeiter in den Steinbrüchen hielt


Es waren nicht die Arbeiter in den Steinbrüchen (wie komm ich bloß darauf? Habs irgendwo gelesen - vielleicht in Jacq's Roman  ), sondern in Deir al-Medina. Hier der Text:

"Ich werde für alle eure Bedürfnisse aufkommen, da ihr mit Liebe für mich arbeitet: (...) Getreide, (...) Brot, Fleisch, Kuchen, (...) Sandalen, Kleider, Salben (...). Ich habe viele Leute angestellt, die euch vor Hunger bewahren sollen: Fischer, (...) Gärtner, (...) Töpfer."

Gitta

> Antwort auf Beitrag vom: 17.01.2003 um 23:03:44


8) Der Pharao und das Volk
 manetho am 18.01.2003 um 23:38:40

Ich kann es jetzt nicht belegen (vielleicht kann jemand helfen), aber ich habe den persönlichen Eindruck, als habe es teilweise bei einigen Pharaonen schon so eine Art "öffentlicher Sprechtag" gegeben. Natürlich nicht wie in heutiger Zeit und nur zu bestimmten Anlässen und auch nur surch Vermittlung des Wesirs. Aber man konnte sicher in bestimmten Fällen auch Klage vor dem Pharao führen.Ansonsten war sozusagen der Wesir Auge und Ohr und der hatte wohl regelmäßig bericht zu erstatten. Durch diese Berichterstattungen (wenn sie denn auch wirklich präzise gewesen sein sollen) war zumindest der Pharao so einigermaßen und zumindest über einzelne Dinge im Klaren.
Zudem hatte er solche Strafen wie die Todesstrafe zu bestätigen, hatte also zumindest auch hier Detailwissen.
In einigen Fällen traf er auch selbst und wohl vor Ort Entscheidungen, wie es beispielsweise bei den Gauneuordnungen im MR bekannt ist.

> Antwort auf Beitrag vom: 16.01.2003 um 18:42:52


9) Re: Der Pharao und das Volk
Thu am 19.01.2003 um 13:02:58

Wenn man sich mal auf Amenophis IV. besränkt, fällt mir da gleich das Bildnis ein, wo Echnaton und Nofretete auf einem Balkon stehen und Gold und Schmuck hinunter werfen. Was meint ihr dazu?

> Antwort auf Beitrag vom: 17.01.2003 um 21:27:53


10) Re: Der Pharao und das Volk
 Iufaa am 19.01.2003 um 13:30:42 - Anhang: L1010270.JPG

Hi,

man muß sich nicht auf den 4. Amenhotep beschränken, die Verleihung des "Ehrengoldes" ist bei mehreren Offiziellen belegt - die waren darauf genauso stolz, wie auf ihre Titel. Beides wurde, wenn vorhanden, in autobiographischen Inschriften in Gräber oder auf Denkmälern festgehalten.

Das folgende Foto aus dem Museum in Luxor ist ein Beispiel dafür (Material Sandstein, etwas mehr als 1 m Hoch, 1440 - 1400 v. Chr.) und zeigt einen Offiziellen (mehr ist im Museum nicht angegeben) der stolz sein "Ehrengold" um den Hals trägt.

Aber (!) man findet immer nur Belege von Offiziellen - möglicherweise, weil nur die auch (Grab-)Denkmälern hinterlassen haben. Ob der einfache Bogenschütze oder Fußsoldat auch ausgezeichnet wurde, kann man annehmen, aber ich kenne "aus dem Handgelenk" keine Bespiele dafür. Vielleicht fällt den anderen noch was dazu ein.

Iufaa

> Antwort auf Beitrag vom: 19.01.2003 um 13:02:58


11) Re: Der Pharao und das Volk
 manetho am 19.01.2003 um 13:30:51

dieses sogenannnte "Erscheinungsfenster" gab es nicht nur zu Zeiten Echnatons, es ist auch davor und danach belegt. U.a. wurden dort verdienstvolle Personen ausgezeichnet (z.B. Verleihung des Ehrengoldes). Sicher durfte dort nur ein ausgewählter Personenkreis zugegen sein, aber gewissermaßen war es schon eine Art Audienzsaal im Freien.
Wir dürfen allerdings nicht vergessen, der Pharao war nunmal "kein gewöhnlichwer Mensch". Aber wenn Du beim Bundeskanzler zum Sprechtag möchtest, dürfte das auch nicht so einfach werden

> Antwort auf Beitrag vom: 19.01.2003 um 13:02:58


12) Re: Der Pharao und das Volk
Gitta am 19.01.2003 um 13:32:47


Zitat:
Wenn man sich mal auf Amenophis IV. besränkt, fällt mir da gleich das Bildnis ein, wo Echnaton und Nofretete auf einem Balkon stehen und Gold und Schmuck hinunter werfen. Was meint ihr dazu?


Dabei handelt es sich glaube ich eher um die Ehrung von verdienten hohen Persönlichkeiten. Es ist die Darstellung der Verleihung des Ehrengoldes. Hat aber m.E. mit Volksnähe nicht viel zu tun. Es ist aber richtig, dass der Palast von Pharao über ein sogenanntes Erscheinungsfenster verfügte, wo er sich der versammelten Menge zeigte. Und gerade von Echnaton ist auch bekannt, dass er mit Familie (zumindest mit Gattin) im Streitwagen durch Achetaton fuhr, unter dem Jubel der Einwohner. Aber die Amarnazeit ist auch eher ein Sonderfall in der ägyptischen Geschichte.

Gitta

> Antwort auf Beitrag vom: 19.01.2003 um 13:02:58


13) Re: Der Pharao und das Volk
neTer mer am 19.01.2003 um 13:35:59


Das ist die Verleihung des Ehrengoldes.
Verdiente Beamte wurden vom König mit goldenem Halskragen und Schmuckstücken ausgezeichnet.
Diese Szenen sind beliebte Dekorationen in den Gräbern des Neuen Reichs.

Viele Grüße

neTer mer

> Antwort auf Beitrag vom: 19.01.2003 um 13:02:58


14) Re: Der Pharao und das Volk
 Iufaa am 19.01.2003 um 13:38:45 - Anhang: md_window.jpg

Richtig,
hierzu nur als Beispiel das Erscheinungsfenster (Mitte des Bildes) im 1. Hof des TT von Ramses III., Medinet Habu.
Das Erscheinungsfenster ist (wie auch das in der Darstellung von A. IV.) erhöht (auf der Außenseite, d.h. von der Palastanlage her, führen 2 Rampen seitwärts an der Wand zum Fenster), wobei der untere Fenstersims hier mit den Feinden Ägyptens verziert ist.

Iufaa

> Antwort auf Beitrag vom: 19.01.2003 um 13:32:47


15) Re: Der Pharao und das Volk
Gitta am 19.01.2003 um 14:34:53


Zitat:
Wir dürfen allerdings nicht vergessen, der Pharao war nunmal "kein gewöhnlichwer Mensch". Aber wenn Du beim Bundeskanzler zum Sprechtag möchtest, dürfte das auch nicht so einfach werden


Richtig. Und da ich es in letzter Zeit ja mit mit Rezitationen habe, hier ein - wahrscheinlich wieder viel zu langer - Text, der einen guten Einblick zur Nähe oder Ferne von Pharao zu seinem Volk gibt (aus "Pharao - Sohn der Sonne" von M.-A. Bonheme und A. Forgeau):

So wie zwischen dem König und den Göttern immer ein Wesensunterschied bestehen bleibt, so gibt es aber auch eine Distanz zwischen dem Pharao und allen andern Menschen. Wenn sich der König in der Öffentlichkeit zeigt, sei es im Palast oder während einer Reise, so stellt er die ihm innewohnende göttliche Würde dar. In einer Gegenwart «beschnuppern» die Höflinge den Boden und der Jubel nimmt kein Ende. «Ich habe sehr große Anbetungen gemacht und Lobpreisungen bis zum Ersticken: ich habe gejubelt, weil man mich den Boden berühren ließ, mein Kopf hat den Himmel durchstoßen: ich habe den Bauch der Sterne aufgekratzt (... ). Meine Stadt war im Fest, meine Truppen jubelten (... ), die Greise und die Kinder waren im Jubel»: so heftig war nach einem Bericht des Prinzen von Assuan, Sarenput, seine eigene und die Reaktion seiner Umgebung, als Sesostris I. (ca. 1960-1926) nach Assuan kam. Die Quellen fließen allerdings spärlich, wenn es um die Frage der Etikette am königlichen Hof geht. Einige wenige Privilegierte, etwa Amenophis, Sohn des Hapu, der Baumeister von Amenophis III., erhielten das Vorrecht, bei ihren Begegnungen mit dem König zu sitzen, was darauf hinweist, daß die Mehrzahl der Würdenträger mit dem Herrscher nur in der Stellung der Niederwerfung verkehrte. Schon das Schreiten des Königs verbreitet Wellen heiliger Energie, so daß der Hymnus, der sein Erscheinen begrüßt, vor dieser magischen Ausstrahlung warnt: «Paß auf Erde, der König kommt.» Ganz ähnlich dient das Beweihräuchern der Uräusschlange dazu, ihre schreckliche Kraft zu verringern. Daß der König bis in die Mitte der 18. Dynastie auf allen offiziellen Abbildungen immer nur mit nackten Füßen dargestellt ist, zeigt, welche Bedeutung dem direkten Kontakt zwischen dm Körper des Königs und der Erde beigemessen wurde. Das Amt des Sandalenträgers ist übrigens eines der am frühesten (um 3000) belegten: auf der Reichseinigungspalette erscheint hinter dem Bild König Narmers ene kleine Figur, die seine Sandalen trägt. Von den Insignien der Macht, den Kronen, Szeptern und Keulen, geht eine übernatürliche Kraft aus, weil sich in ihnen der heilige Charakter des Königtums zeigt. Für die Kronen gab es sogar einen speziellen Kult. Rawer, ein Privatmann aus der 5. Dynastie, berichtet in seinem Grab, wie er mit seinem Bein versehentlich an das Szepter des Königs stieß und wie dieser alle negativen Folgen dieser Berührung reit den Worten «sei heil» vertrieb. Für Rawer war diese Begebenheit wichtig genug, daß er sie in seiner Autobiographie im Grab erwähnt.

Alle Dienstleistungen, die den König persönlich betreffen, werden von Familienmitgliedern übernommen, denn die Blutsverwandtschaft sollte vor jeder Entweihung schützen. ln den Anfangszeiten des Königtums wurden auch alle wichtigen Posten in der Verwaltung mit Mitgliedern des Königshauses besetzt. Obwohl mit der Zeit die Beamtenschaft enorm anwuchs und dann auch mehrheitlich Personen aus dem Volk umfaßte, erhielt sich doch die Vorstellung, daß der Pharao einen Teil seines göttlichen Wesens an seine Stellvertreter delegiere; deshalb rühmten sich die eifrigsten unter ihnen, «die Augen und die Ohren» des Herrschers zu sein. Besonders deutlich drückt dies der Anführer einer Expedition ins Wadi Hammamat aus: «Mein Herr, er lebe, sei heil und gesund. der König Nebtauire (Mentuhotep Ill.), begabt mit Leben für immer, hat mich geschickt, wie ein Gott seine Glieder ausschickt».

Es ist leider nicht möglich, aus den ägvptischen Quellen einen Tagesablauf des Königs zu rekonstruieren. Der Bericht Diodors (170) über den Tagesablauf des Pharao kann nicht ohne Einschränkungen für wahr genommen werden, weil er reale Verpflichtungen, wie etwa das tägliche Abhalten von Audienzen, mit Elementen aus dem täglichen Götterkult, den normalerweise die Priester ausführen, vermischt. Auch seine Bemerkungen über die spezielle Diät, die der Herrscher zu beachten habe, nämlich «Kalbfleisch, Ente und ein wenig Wein», haben vermutlich mehr mit der Beachtung bestimmter Speise-Tabus zu tun: daß es solche Tabus gab, läßt sich aus der Weigerung Pianchis (um 730) ablesen, seine Feinde zu empfangen, und zwar mit der Begründung, daß «sie beschnitten sind und Fisch essen». Sehr wahrscheinlich darf man aber den Beobachtungen Diodors Glauben schenken, daß der Tagesablauf des Königs streng geregelt war: «Nicht nur die Zeit für das Abhalten von Audienzen und für die Rechtsprechtmg war festgelegt, sondern auch, wenn er spazieren ging, sich badete oder mit seiner Frau schlief, kurz für alle Tätigkeiten seines Lebens».

Eine Untersuchung der höfischen Titel zeigt die Bedeutung, die den Zeremonien beim Erwachen und Aufstehen des Königs beigemessen wurde. Die Körperpflege des Herrschers und seine rituelle Reinigung im Tempel, bevor er der Gottheit gegenübertritt, erneuern seine heiligen Kräfte, die während der Nacht abgenommen haben. Danach werden ihm feierlich seine Kleider, seine Perücken und die Insignien der Macht vom «Vorsteher des königlichen Leinens», vom «Vorsteher der Friseure des Königs» und vom «Beamten des Diadems» überreicht. Im großen Ganzen ahmen alle diese Zeremonien gegenüber dem König die Kulthandlungen des Königs vor der Götterstatue im Allerheiligsten nach.


Ende Teil 1

> Antwort auf Beitrag vom: 19.01.2003 um 13:30:51


16) Re: Der Pharao und das Volk
Gitta am 19.01.2003 um 14:37:08

Teil 2

Der königliche Palast soll ja auch tatsächlich ein Abbild des Himmels sein, so daß der König wie die Sonne in ihm erscheinen kann. Der Palast von König Djedkare (um 2400) heißt «der Lotus von Djedkare», womit er auf das Bild des jungen Sonnenkindes anspielt, das auf einer Lotusblüte aus dem Ursumpf auftaucht. Diese Art der Namengebung entspricht der Sprache des Rituals im Tempel, wenn von der Götterstatue gesagt wird, sie ruhe in ihrem Horizont, dessen Türen jeden Morgen geöffnet werden: «Der Palast der Stadt gleicht den beiden Horizonten des Himmels, und Ramses, geliebt von Amun, ist in ihm wie ein Gott; Month in den beiden Ländern ist sein Herold, die Sonne der Prinzen ist sein Wesir; Freude für Ägypten, geliebt von Amun, ist sein König». Diese Beschreibung des Palastes von Ramses II. (ca. 1290-1224) in seiner neuen Hauptstadt «Ramses-Stadt» suggeriert, daß der König in seinen vier Kolossalstatuen, von denen jede einen Kultnamen trägt, anwesend ist.

Seit dem Alten Reich gibt es eine kleine Gruppe von etwa zehn Herrschern, die - über den Totenkult hinaus, der jedem verstorbenen König zukam - von ihren Nachkommen, von gewissen Ortschaften oder von bestimmten Berufsgruppen wie Heilige verehrt wurden. Ein solcher Kult ist dann kein königliches Vorrecht, da in gleicher Weise auch einige Privatleute im Gedächtnis der späteren Zeit weiterlebten, etwa die Architekten lmhotep (um 2660) und Amenophis (ca. 1438-1412), Sohn des Hapu, und einige Gaufürsten des Alten Reiches. Sie wurden in verschiedener Form verehrt: man baute kleine Tempel oder Kapellen für sie, stellte Votivstatuen und Stelen für sie auf, beauftragte Priester mit ihrem Kult und vollzog Prozessionen mit ihren Abbildern. Diese Vergöttlichung setzt aber erst nach dem Tod ein und ist die letzte Konsequenz aus dem Glauben an ein Weiterleben des Verstorbenen an der Seite der Götter, wo er selbst in ein göttliches Wesen mit übernatürlichen Kräften verwandelt wird. Spezielle Lebensumstände und Leistungen bewirken, daß einige wenige Menschen sich von der Masse der Verstorbenen abheben und auch nach dem Tod ein besonderes Schicksal haben.

Im Neuen Reich organisiert der König schon zu seinen Lebzeiten die Verehrung seiner eigenen Statuen. Sein Bild steht dann neben dem der Götter im Tempel oder erhält im Tempel der Millionen Jahre einen eigenen Kult. Trotzdem aber beansprucht der Herrscher keine absolute Göttlichkeit für sich. Auf den Reliefs, die den König beim Kult zeigen, ist er in ein irdisches Wesen, das die Kulthandlungen ausführt, und in eine himmlische Erscheinung, die die Zeitlosigkeit der Monarchie verkörpert, aufgespaltet. Diese Verdoppelung entspricht der Trennung der königlichen Titulatur in zwei Kartuschennamen, von denen ebenfalls der eine den Menschen aus Fleisch und Blut und der andere das vergöttlichte Bild des Herrschers meint. Ganz deutlich zeigt sich diese wechselseitige Beziehung auf einem Relief von Hatschepsut in der Kapelle von Karnak, wo die Königin abwechselnd unter den Namen Hatschepsut vor ihrer göttlichen Erscheinung «Maatkare, geliebt von Amun» Weihrauch verbrennt oder als Maatkare die Statue von Hatschepsut beweihräuchert.

Gleichermaßen richtet sich die Anbetung der Privatleute an die Statuen des Herrschers und nicht an seine physische Person. Der Kult für die Kolossalstatuen des Königs am Eingang der Tempel unterscheidet sich immer von den Ritualen, die im Innern des Tempels stattfinden. Weil den Gläubigen der Zutritt in den Tempel verwehrt war, kann der übernatürliche Wesensanteil des Königs, der sich in seiner Statue verkörpert, zugunsten der Menschen bei den Göttern vermitteln. Häufig sieht man auf den Stelen bei den Kolossalstatuen den Besitzer dargestellt, der kniend die Aufmerksamkeit «des großen Gottes, der die Gebete erhört» erbittet und sein Anliegen mit der Zeichnung von vier großen Ohren noch unterstreicht. Hier ist es die Aufgabe des Königs, den Göttern die Bitten zu Überbringen.

Das ist überhaupt der Sinn der Institution der Monarchie in Ägypten: Mit Hilfe seiner doppelten Natur als: Mensch und als Sohn der Götter garantiert der König ein harmonisches Zusammenleben zwischen den Göttern und den Menschen. Deshalb läßt sich die Identität des Pharao nicht auf der Ebene seines Wesens erfassen: wenn wir uns der fast unendlichen Möglichkeiten seiner Eigenschaften bewußt werden. kommen wir ihm viel näher.


> Antwort auf Beitrag vom: 19.01.2003 um 14:34:53


17) Re: Der Pharao und das Volk
Gitta am 19.01.2003 um 14:41:58

Und hier noch ein Text zur Einsetzung von Wesiren, der man ganz gut entnehmen kann, wie die Ägypter es mit Recht und Gerechtigkeit hielten (aus "Die Weisheitsbücher der Ägypter" von Hellmut Brunner)

Der Text ist- abgesehen von geringen Lücken - vollständig erhalten im Grab (Theben Nr. 100) des Wesirs Thutmosis' III. mit Namen Rechmire. Fragmente desselben Textes in zwei anderen Gräbern zeigen, daß es sich nicht um eine einmalige Rede, sondern um einen tradierten Text handelt, der in einer gewissen Periode jedesmal, wenn es galt, einen neuen Wesir in sein Amt einzuführen, vom König gesprochen wurde. Der Wesir war der höchste Beamte des Landes, zuständig für die gesamte Verwaltung, auch, da die moderne Gewaltenteilung unbekannt war, für die Rechtsprechung. Aus anderen Texten wissen wir, daß der neuernannte Wesir in einer Thronsitzung in Anwesenheit aller hohen Beamten feierlich vor den König geführt wurde. Dort wurden die unten übersetzten Worte an ihn gerichtet. Der bewegende Moment in seinem Leben dürfte nicht ohne Eindruck geblieben sein.

Der König spricht nur von Pflichten, nicht ein einziges Mal von Rechten. Gebunden wird dieses verantwortungsvollste aller Ämter zunächst an die Maat, an Gottes Ordnung der Welt. Diese aber bleibt nicht der Einfühlung oder auch nur den Überlegungen des Wesirs überlassen, sondern sie hat sich niedergeschlagen in umfangreichen «Gesetzen», besser, da Ägypten wohl nur ein «case law» kannte, in früheren Entscheidungen, die rechtsetzend waren. Immer wieder wird der Wesir vor eigenmächtigen Entscheidungen gewarnt, solange es Präzedenzfälle oder Gesetze gibt. Er wird also nicht nur an die abstrakte Maat, sondern konkret an die Gesetze und die Tradition gebunden. Ägypten ist ein Rechtsstaat mit erheblicher Rechtssicherheit für den Rechtsuchenden - wenigstens im Ideal; daß die Praxis gelegentlich sehr anders ausgesehen hat, davon zeugen viele Alltagsdokumente. Aber hat nicht auch dies Ideal seine normative Wirkung?

Es scheint, daß der Wesir in seinem Büro sich nur mit Zivilsachen befaßte, nicht mit Straftaten. Auffallend ist die Bedeutung, die der Text der Öffentlichkeit, der allgemeinen Meinung, beimißt. Nicht nur, daß keine Handlung eines hohen Beamten (bei den unteren wird es ähnlich stehen) verborgen bleibt, auch die Verhandlungen sind öffentlich und unterliegen somit der Kontrolle der Öffentlichkeit. Und deren Meinung kommt so große Bedeutung zu, daß sich König wie Wesir um einen guten Ruf bemühen müssen! Dieser tradierte, also anerkannte Text birgt eine große Zahl feiner Beobachtungen der Alltagspsychologie. (hier folgt die Übersetzung des überlieferten Textes)


Auweia, das ist jetzt aber ziemlich viel Lesestoff geworden.

Gitta

> Antwort auf Beitrag vom: 19.01.2003 um 14:37:08