Bislang hatten Historiker die Reichseinigung (...) als heroische Tat des Königs Aha verstanden, des Gründers der 1. Dynastie um 3000 v.Chr. Die Ausgrabungen in Abydos haben auch diese Auffassung revidiert. "Die Reichseinigung zug sich über rund 500 Jahre hin", interpretiert Günter Dreyer den aktuellen Forschungsstand, "wobei die kulturelle Assimilation der politischen vorausging."
  Einen dramatischen Beleg für die kulturelle Angleichung entdeckten Wissenschaftler in Buto, am westlichen Rand des Deltas. Dort verschwand innerhalb von zwei Jahrhunderten die nordägyptische Keramik fast völlig und wurde durch südägyptische ersetzt: Finden sich in tieferen Bodenschichten nur rund zwei Prozent südlicher Waren, so sind es bereits sechs Generationen später glatte 99 Prozent.
  Die folgende militärische Eroberung des Deltas verläuft trotz aller vorherigen Annäherung überaus blutig. Das belegt die berühmte Narmer-Palette, eine 63 Zentimeter hohe Sandsteintafel mit nahezu fotorealistischen Reliefs. Eines davon zeigt Pharao Menes bei der Inspektion getöteter Gegner, deren abgeschlagene Köpfe zwischen ihre Füße gelegt sind.
  Lang Zeit hielten Forscher die Narmer-Palette für jenes Dokument, mit dem die Reichseinigung gleichsam symbolisch besiegelt worden sei. Doch auch das lässt sich nach den Entdeckungen von Abydos nicht mehr halten. Günter Dreyer konnte anhand eines im Schutt des Plateaus gefundenen, etwas älteren so genannten Jahrestäfelchens beweisen, dass die Narmer-Palette nur eine Etappe im langwierigen Prozess der Vereinigung schildert.
  Das winzige Plättchen von Abydos zeigt die gleiche Kriegsszene wie die Palette. Grob übersetzt bedeutet sie: "Der Pharao schlägt die Papyrusleute" (also die Delta-Bewohner) - was, so Dreyer, nun nicht mehr als symbolisch überhöhter Akt der Reichsgründung zu gelten habe, sondern als konkretes geschichtliches Ereignis. Das mache das Täfelchen zur "ältesten historischen Inschrift der Menschheit".