... in Wirklichkeit zeigen die verschiedenen Schöpfungsberichte bemerkenswert viel Verbindendes, denn sie weisen dieselben Kernthemen auf und verlaufen in immer ähnlichen Strukturen. Anscheinend legten sich die regionalen Kultzentren allgemeingültige mythologische Grundlagen jeweils passend zurecht, indem sie die Rollen einzelner Akteure, Schöpfungsphasen oder -aspekte hervorhoben und ihre eigenen Ortsgottheiten an die Stelle derer setzten, die anderweitig vorkamen. Auf diese Weise legten Ägyptens diverse Priesterschaften eher Alternativ- als konkurrierende Versionen vor, was das Risiko eines Gerangels zwischen den Glaubensrichtungen senkte. Obwohl es also keinen allgemeinen Schöpfungsmythos gab, existierte doch immerhin ein übergeordnetes Konzept – eine gemeinsame Basis – dafür, wie es tatsächlich zur Schöpfung gekommen war: Tief in Nun (dem unendlichen dunklen Ozean) erwachte ein Gott oder kam auf den Gedanken, zu erschaffen. Durch seine Macht teilten sich er oder seine Erscheinungsformen in die vielen Aspekte der geschaffenen Welt auf, wodurch sie die ersten Götter schufen und außerdem den ersten Erdhügel, der aus den Fluten auftauchte. Später ging die Sonne – in manchen Berichten das unabhängige Auge des Schöpfergottes, in anderen soeben aus einem Ei geschlüpft – zum ersten Mal auf und brachte Licht dorthin, wo einst Dunkelheit geherrscht hatte. ... |