Als ägyptisches Wort für "Sprichwort" gilt (Wb III, 289.8):
xn n mdw.t
von xn "Rede, Angelegenheit".
Als weiteres Wort wird angegeben "Sprichwort, Spruch aus einem Buch" (Wb V, 403.14):
Ts
In der Linguistik wird unterschieden zwischen Sprichwort, sprichwörtlicher Redensart, Zitat, Lebensweisheit und dergl. Naturgemäß ist eine solche Unterscheidung für altägyptische Formulierungen "häufig eine reine Ermessensfrage" (Lexikon der Ägyptologie, Bd. V, 1219-1222, Stichwort: "Sprichwort"). Zu etlichen Sentenzen hat sich jedoch eine Meinung gebildet, dass es sich um ein Sprichwort o.ä. handelt. In loser Folge sollen einige Beispiele hier als Übersetzungsübung vorgestellt werden. Aber Achtung: Diese Art von Sätzen ist oft verdichtet und daher grammatikalisch nicht leicht zu analysieren!
Beginnen wir mit einem Beispiel aus einer Stele (Einzelheiten folgen später):
Hinweis: Das letzte Wort ist unvollständig. Da muss man ein bisschen suchen ...
Es sei noch auf die Funktion "verdeckter Text" hingewiesen:
Damit kann man seinen Lösungsansatz posten, ohne dass es ein anderer sofort sehen kann. Der andere kann dann unbeeinflusst versuchen, seine eigene Lösung zu entwickeln.
Der erste Satz geht eigentlich ganz gut von der Hand würde ich sagen. Man könnte ggf. noch eine treffendere Übersetzung für mn.w suchen, wie z. B. "Andenken" oder sowas. Beim zweiten Satz ist smx meiner Meinung nach ein aktives Partizip, das die Funktion eines Nomens hat, also übersetzt "ein Vergessender" oder "Einer, der vergisst". Da fehlt dann aber ein Pronomen 3. Pers. Sing., auf das sich das Vergessen bezieht, aber es könnte auch weggelassen worden sein. Wenn bjA.t stimmt und als "Charakter" zu übersetzen ist, dann könnte dieses Nomen in Verbindung mit dem Adjektiv bjn die von James P. Allen nfr Hr genannte Konstruktion darstellen und damit als "einer, der einen schlechten Charakter hat" übersetzt werden.
mn.w pw n s(i) nfrw=f smx pw bin biA(. t) Ich übersetze es mit "Ein Denkmal für einen Mann ist seine Güte, der Vergessende/der es vergisst hat einen bösen/schlechten Charakter."
pw würde ich wieder als Nominalsatz auffassen und sxm als "der Vergessende/einer der es vergisst". biA(.t) wähle ich, da biA (Vorbild) eigentlich den Becherdeterminativ hat.
Die Schwierigkeit im ersten Teil liegt in einer adäquaten Übersetzung für nfr.w; "gutes Wesen" trifft es meiner Meinung nach sehr gut.
Im zweiten Teil ist in der Tat bjn biA.t die sog. nfr-Hr-Konstruktion: "schön an Gesicht" bzw. substantiviert: "der Schöngesichtige". Man beachte die analoge Konstruktion nfr bjA.t "von gutem Charakter" (Wb II, 255.11). bjA.t "Charakter", der gut oder auch "schlecht" sein kann (Wb I, 441.17 - dort auch die Schreibung ohne Determinativ). Beispiele für fehlendes .t sind z.B. auf DZA 22.821.990 angegeben. Auch bei bjn findet man "vom Charakter: böse, schlimm" (Wb I, 443.6).
Für smx "jemanden vergessen (Namen, Andenken)" (Wb IV, 141.1-3) habt Ihr ein aktives Partizip vorgeschlagen, als Nomen gebraucht. Dass ein Objekt fehlt, ist dabei das Problem. Eine andere Möglichkeit ist ein substantiviertes passives Partizip: "einer, der vergessen wird", so dass der zweite Teil wörtlich etwa lautet: "einer, der vergessen wird, ist er, der Schlecht-Charakterliche".
Die Stelle stammt aus der Stele des Mentuhotep (UC 14333), letzte Zeile. Die Umzeichnung habe ich dem Artikel entnommen: Hans Goedicke, A Neglected Wisdom Text, in: Journal of Egyptian Archaeology, Bd. 48, S. 25-35 (1962), und zwar von S. 26.
Jan Assmann, Ma‘at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München, 1995, hat dem Thema "Die Denkmalhaftigkeit der Tugend" einen ganzen Abschnitt gewidmet (S. 109-113). Ich zitiere seine Übersetzung mit den vorangehenden und nachfolgenden Zeilen (S. 110):
Zitat:
Der gute Charakter eines Mannes ist für ihn mehr (wert) als Tausende von Taten. Wie man denn hört im Munde der Menschen in der Form jenes Spruches, den die „Bürger“ im Munde führen:
„Das Denkmal eines Mannes ist seine Tugend, der mit schlechtem Charakter wird vergessen.“
Wenn geschieht, wie gesagt wird, dann wird mein guter Name fortdauern in meiner Stadt, und mein Denkmal nicht verfallen in Ewigkeit.
Der "Spruch" ist hier als Ts bezeichnet. Ich finde auch das Wort "Tugend" für nfr.w ziemlich treffend!
"Der gestrige Tag existiert für den Faulen nicht." oder "Für den Faulen gibt es kein Gestern."
nn leitet hierbei einen verneinten Existenzsatz ein. Diese Stelle kenne ich zufällig aus J. P. Allens "Middle Egyptian: An Introduction to the Language and Culture of Hieroglyphs" (Second Edition, S. 481). Dort übersetzt er "Für den, der vergisst/den Vergesser gibt es kein Gestern.", wobei ich seine Übersetzung von wzf.w nicht nachvollziehen kann, da im Wb 1, 357.12 kein derartiger Übersetzungsvorschlag verzeichnet ist. Andererseits macht das auf jeden Fall mehr Sinn.
"Für einen, der die Wahrheit nicht hört, gibt es keinen Freund." zX ist meiner Meinung nach ein aktives Partizip.
nn hrw nfr n awn-jb
"Für einen Habgierigen gibt es keinen Feiertag." awn-jb ist vielleicht eine nfr Hr-Konstruktion, wörtlich vielleicht "gierig von Herzen"? awn-jb ist aber auch direkt im WB 1, 172 zu finden.
Die zitierten Sätze stammen aus der mittelägyptischen "Geschichte vom Beredten Bauern", und zwar aus dem hieratischen Papyrus Berlin 3025 (als Quelle der Geschichte mit "B2" bezeichnet), Spalte 109-111. Die beigefügte hieroglyphische Umschrift stammt aus R. B. Parkinson, The Tale of the Eloquent Peasant, Oxford, 1991, S. 47.
Ja, es handelt sich um Sätze der Nichtexistenz von der Form "Nicht gibt es X für Y".
Der erste Satz:
nn sf n wsfw "nicht gibt es ein Gestern für den Trägen"
sf "allein substantivisch: das Gestern" (Wb IV, 113.2) wsfw "der Träge, der Faule" (Wb I, 357.12) - Wie James P. Allen auf "forgetter" (Middle Egyptian, 2nd ed., 2010, S. 459) kommt, ist mir schleierhaft.
Der zweite Satz:
nn xnms n zX mAa.t "nicht gibt es einen Freund für den, der taub ist gegen die Maat"
sXj "taub sein gegen etwas Gesagtes u.ä." - mit direktem Objekt "taub gegen die Wahrheit" (Wb III, 474.4); genauer "taub an Maat".
Der dritte Satz:
nn hrw nfr n awn-jb "nicht gibt es einen Festtag für den Habgierigen"
hrw nfr "froher Tag, Festtag" (Wb II, 499.12) awn-jb "habgierisch, neidisch" (Wb I, 172.12)
Was ist damit gemeint? Jan Assmann hat in seinem Buch Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, 2. Auflage, München, 1995 einen langen Abschnitt diesen drei Sätzen des "Beredten Bauern" gewidmet: S. 58-91; eine Zusammenfassung findet man in: Günter Burkard, Heinz J. Thissen, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte, Bd. I: Altes und Mittleres Reich, 5. Auflage, Berlin, 2015, S. 181-182.
Der "Träge" ist einer, der nicht handelt. Assmann zitiert einen weiteren Satz aus dem "Beredten Bauern" (S. 62):
Zitat:
Ein guter Charakter kehrt zurück an seine Stelle von gestern, denn es ist befohlen: Handle für den, der handelt, um zu veranlassen, daß er tätig bleibt. Das heißt, ihm danken für das, was er getan hat.
Wer träge ist, tut so, als ob für ihn zuvor - "gestern" - nichts getan worden ist, und gibt nicht zurück, was ihm zuteil wurde.
Der zweite Verstoß gegen die Maat ist die "Verstocktheit"; wer sich nicht an die Maat hält, hat "keinen Freund", ist also sozial isoliert.
Schließlich die Raffgier: Sie entfremdet den Menschen von den anderen, er feiert nicht nur kein Fest mit ihnen, sondern er hat auch "kein Grab", wie es in der Lehre des Ptahhotep heißt.
Assmanns Schlussfolgerung (S. 89):
Zitat:
Die drei Verse aus den Klagen des Bauern (...) fassen das zusammen, was in meinen Augen als die Quintessenz des ägyptischen Ma'at-Begriffs zu gelten hat. Ma'at erweist sich darin als etwas völlig anderes als "Weltordnung". Vielmehr geht es um etwas, das man am besten mit dem Begriff "Kultur" zusammenfaßt: um die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens.
Zurück zu den Sprichwörtern: Wieso hat man nun den ersten Satz in die Reihe der Sprichwörter aufgenommen, und die anderen Sätze nicht? Hier war wohl die Ägyptologin Waltraud Guglielmi aus Tübingen maßgebend, die den Eintrag "Sprichwort" für das Lexikon der Ägyptologie, Bd. V, Sp. 1219-1222 verfasst hat. Für sie war die "wirksame sprachliche Einkleidung" ein wesentliches Kriterium, speziell in diesem Fall das Wortspiel zwischen sf und wsfw. Nach den oben angedeuteten Betrachtungen zu den drei Sätzen des "Beredten Bauern" muss man das wohl doch wieder in Frage stellen.
Interessante und sehr detaillierte Analyse! Das zeigt mal wieder, dass jede noch so gute Übersetzung vor dem Hintergrund der Eigenheiten der ägyptischen Hochkultur erklärungsbedürftig bleibt. Das legt mir auch nach Jahren noch immer wieder Steine in den Weg.
Zwei gegensätzliche Substantive : "Leben" und "Tod" (bzw. sterben) und dazwischen das
r, als Bildungselement des Komparativs: "als"
nfr ... r - besser ... als gs - Hälfte, halb m sp-wa - mit einem Mal (Hannig, 180.1) Gelegentlich auch übersetzt mit "zusammen", "auf einmal", "zugleich", "in einem Augenblick" u.ä.
Übersetzung: Besser ist ein halbes Leben als auf einmal zu sterben / der einmalige Tod.