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   Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen (13)
  Autor/in  Thema: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen
Peter  maennlich
Member



Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Datum: 29.10.2020 um 22:31:28 »   

Hallo

Ich habe eine Frage zu den Übungstexten bei Gardiner, und zwar:

Wenn ich einen Text übersetzt habe, aber auf eine andere Lösung gekommen bin, was soll ich dann tun?

Ich habe dann im Wörterbuch gesucht und Belege für beides Gefunden und der Kontext würde beides legitimieren.
Soll ich dann eins von Beiden nehmen? Das Buch kann mir schlecht helfen.

Viele Grüße
Peter
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #1, Datum: 30.10.2020 um 10:15:08 »   

Hallo, Peter,

Ägyptisch ist ja eine tote Sprache. Es gibt keinen "native speaker", den man fragen könnte, welche Übersetzung denn die richtige ist. Man muss also argumentieren, mit Wortschatz, Phraseologie und Grammatik. Auch in klassischen Texten, die schon tausendmal bearbeitet wurden, wie z.B. im "Schiffbrüchigen" oder im "Sinuhe" gibt es Passagen, die bis zum heutigen Tage nicht geklärt sind, d.h. nicht eindeutig übersetzt werden können. Alan H. Gardiner benutzt in seinem Lehrbuch Egyptian Grammar fast durchgehend Originaltexte, die vielleicht auch die eine oder andere problematische Stelle haben können; ich weiß es aber leider nicht genau.

Was tun, wenn man selbst zu anderen Ergebnissen kommt als die, die man in der Literatur findet? Wenn die letzteren erläutert sind, kann man überlegen, ob man den Argumenten folgen oder sie verstehen kann. Oft findet man auch Übersetzungen ohne weitere Erklärungen; dann ist man so schlau wie zuvor.

Mein Tipp: Mit Gleichgesinnten diese Fragen diskutieren, wozu z.B. dieses Forum eine Möglichkeit bietet.

Viele Grüße,
Michael Tilgner
> Antwort auf Beitrag vom: 29.10.2020 um 22:31:28  Gehe zu Beitrag
Peter  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #2, Datum: 26.11.2020 um 23:12:23 »   

Ja, das ist mir schon bewusst, was aber mein Problem ist ist, dass viele Übersetzungen, die ich lese sich bei Manchem wohl eher darauf stützen, dass die ein oder andere Stelle auch wo anders vorkommt und deshalb hier auch so übersetzt wird.
Gerade im Spätmittelägyptischen habe ich da das Gefühl, das danach gearbeitet wird und wenn es nur etwas von der Norm abweicht direkt von einem Fehler oder sonst was ausgegangen wird.
Nur weil sich etwas immer wieder wiederholt heißt das doch nicht, dass das da genau so ist. Das sind doch keine Naturgesetze oder sowas. Die konnten doch damals garantiert auch schreiben, was sie wollten und so die Formeln personalisieren.

Aber vielleicht habe ich damit nur meine Probleme, weil ich kein Ägyptologe bin.

Ich komm mit dieser Phraseologie nicht klar.
Ich meine klar, bei vielem bin ich ja dabei, wie bei der Htp-d(y)-nswt-Formel oder anderem, aber bei vielem aus dem Spätmittelägyptischen zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie teilweise "offensichtlichste" Dinge trotzdem wegen der Phraseologie anders übersetzt werden.

Ich kenne z.B. eine Htp-d(y)-nswt-Formel, bei der psD.t aA.t jm.(i)w-jp.t-s.(w)t steht. So, erstmal ja von der Grammatik eigentlich klar: "Die große Neunheit und die, die in Karnak sind", aber der andere Übersetzer übersetzt es dann aus heiterem Himmel mit "die große Neunheit, die in Karnak ist", also: psD.t aA.t jm.(i){w}(t)-jp.t-s.(w)t. Dabei macht das erste doch auch Sinn. Eben in diesem Punkt wäre dann wohl die Götterneunheit von Heliopolis gemeint und die Bewohner von Karnak neben dran. Aufgrund der Grammatik würde ich das sogar eher annehmen, als irgendwelche Fehler dem Schreiber zu unterstellen, weil es nicht zu den üblichen Phrasen passt.
Und nein, ich geh nicht davon aus, dass wenn Amun und Month (der da als Herr von Theben bezeichnet wird) davor kommen automatisch die Neunheit auch aus Karnak kommen muss. Klar, die Ägypter waren zu der Zeit sehr auf ihre Städte bezogen, aber das heißt eigentlich nichts bei den Texten, der Schreiber scheint dann wohl einfach die "große Neunheit" gemeint zu haben. Und eben explizit auch die Bewohner von Theben.

Ich hoffe ich habe mein Problem irgendwie deutlich gemacht.
Vielleicht hab ich auch was in meiner Rechnung übersehen, aber das wird man mir ja auch sicherlich sagen können.

Gruß Peter
> Antwort auf Beitrag vom: 30.10.2020 um 10:15:08  Gehe zu Beitrag
Peter  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #3, Datum: 27.11.2020 um 20:33:18 »   

Gerade habe ich von einer Liturgie gelesen, die xbs.w-tA (Die Erde wurde aufgehackt) heißt.
Da das w nicht immer mitgeschrieben wurde kann man hier tatsächlich beim gleichen Textaufbau die gleiche Übersetzung annehmen. Aber dennoch kann beim Text ohne w ja xbs-tA gemeint sein, also "das Aufhacken der Erde".
Auch was danach kommt würde so ähnlich viel Sinn ergeben. (nachdem die beiden Gefährten gekämpft haben.) Man hackt die Erde hier erst nach dem Kampf auf. Aber hier macht der Kontext ja wieder deutlich, warum es eben Ersteres ist. Wenn im Text eben nicht von einer Handlung erzählt wird, die darauf abziehlt die Erde aufzuhacken. Aber hier kann natürlich auch sein, dass die Überschrift im übertragenen Sinn gebraucht wird.

Das wäre für mich eine schlüssigere Erklärung.

Mich würde auch interessieren, wo solche Phrasen niedergeschrieben wurden, also wo ich die nachschlagen könnte.
> Antwort auf Beitrag vom: 26.11.2020 um 23:12:23  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #4, Datum: 27.11.2020 um 21:26:56 »   

Lieber Peter,

zur Frage der Neunheit:

Eine erste Information ist in Wb I, 559. Obwohl der Begriff ein Kollektivum ist, hat sich herausgestellt, dass er zumeist als Singular behandelt wird, aber oft auch als Plural. Das kann schon zu Irritationen führen. Übrigens schwankt die Anzahl der Götter, wenn sie denn aufgezählt werden, von sieben bis zu 23 (!) Mitgliedern. Auch die Götter, die zur Neunheit gehören, variieren. Dann gibt es die "große" und "kleine" Neunheit sowie die "beiden Neunheiten". Das kann man nur verstehen, wenn man die "neun" als Vielzahl oder große Zahl auffasst. Da im Ägyptischen der Plural aus mindestens drei Elementen besteht, so ist neun der "Plural des Plurals"; so wird etwas salopp die "neun" erklärt. Winfried Barta hat eine eigene Untersuchung zu diesem Thema angefertigt: Untersuchungen zum Götterkreis der Neunheit, in: Münchner Ägyptologische Studien, Heft 28, 1973 mit 252 Seiten. Auf den Seiten 65-73 hat er 84 (!!!) verschiedene Götterlisten zusammengestellt, die irgendwann mal als Götter der Neunheit erwähnt wurden.

Die bekannteste Neunheit ist die von Heliopolis. Aber es gibt auch Neunheiten von Theben, Memphis und Abydos sowie Andeutungen von Neunheiten weiterer Orte.

Was nun psD.t aA.t jm.j.t jp.t-s.wt anbetrifft: Gehe ins Zettelarchiv des TLA und starte bei DZA 23.501.620. Dort steht das Stichwort "Theben (Karnak, Med. Habu usw.)". Wenn Du dann weiterklickst (auf der linken Seite) mit Z>, kommen die Belege mit der "Neunheit, die in Karnak ist". Viele sind mit .t geschrieben, manche aber auch nicht. Das .t erklärt sich daraus, dass psD.t feminin ist; daher die angegebene Übersetzung "die in ... sind". Fehlt das .t, könnte man auch Deinen Vorschlag annehmen "und die in ... sind" - und das wäre grammatisch völlig korrekt! Dennoch ist es naheliegender anzunehmen, dass das .t zu ergänzen ist. Dabei ist es nicht einmal unbedingt ein Fehler der Schreiber, denn der Wegfall der Femininendung, besonders ab dem Neuen Reich, wird auch sonst beobachtet. Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar bemerkt in der Fußnote (1a) auf S. 34, dass das .t teilweise schon im Alten Reich entfallen ist ("status absolutus" heißt, wenn das Wort für sich steht, z.B. ohne Pronomialendung). In § 48 schreibt er, dass bei nb "jeder, alle" die Pluralendung meistens, die Femininendung oft weggelassen wird.

Die methodische Ansicht ist also die: Wenn es (1) vollständige Schreibungen mit .t gibt und (2) es als Regel erkannt worden ist, dass die Femininendung .t wegfallen kann - dann: ist diese zu ergänzen, entweder in der Transkription in Klammern oder zumindest in der Übersetzung.

Viele Grüße,
Michael Tilgner
> Antwort auf Beitrag vom: 26.11.2020 um 23:12:23  Gehe zu Beitrag
Peter  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #5, Datum: 27.11.2020 um 21:49:30 »   

Das Problem hier jedoch ist, dass die Schreibung so aussieht:



Und da ist doch klar und deutlich die männliche Pluralendung dabei.
Da wirft man doch die Grammatik über Bord!?

Aber muss man sich nicht fragen, ob es bei den Anderen nicht auch gar nicht dazu gehört? Ich meine, bei den Texten, wo es fehlt sollten wir doch generell nicht einfach was dazuschreiben, wenn es sonst auch passt!?
> Antwort auf Beitrag vom: 27.11.2020 um 21:26:56  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #6, Datum: 28.11.2020 um 23:03:18 »   

Lieber Peter,

wie ich sehe, taucht die Formulierung auch auf der Statue des Nespaqaschuti auf, die ja in die 26. Dyn. datiert wird, also in die Spätzeit. Bekanntlich weisen die mittelägyptischen Inschriften dieser Zeit Besonderheiten auf.

Aber in unserem Beispiel reicht die Standard-Grammatik völlig aus! Wir müssen nichts "über Bord werfen". So heißt es z.B. in Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, § 511, 2:

Zitat:
Old perfectives, participles, etc., referring to feminine plural words take masculine forms ...
Ex. x.t nb.t rdj.w.n n=j pAj=j sn all things which my brother gave to me. Contrast the fem. nb.t with the masc. rel. form rdj.w.n.

Neben der Grammatik müssen wir bei einer Übersetzung auch solche Beobachtungen berücksichtigen.

Zudem gilt nach Gardiner, § 511, 6 auch:

Zitat:
The Egyptians were never remarkable for scholarly accuracy, and examples are not infrequent, especially in much-copied texts, where the fem. ending is wrongly omitted.


Herzliche Grüße,
Michael Tilgner
> Antwort auf Beitrag vom: 27.11.2020 um 21:49:30  Gehe zu Beitrag
Peter  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #7, Datum: 29.11.2020 um 00:26:29 »   

Davon habe ich nichts gewusst, aber danke. Jetzt ist auch klar, warum man mit solchen Phrasen arbeitet.
> Antwort auf Beitrag vom: 28.11.2020 um 23:03:18  Gehe zu Beitrag
Peter  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #8, Datum: 12.12.2020 um 08:32:12 »   

Nun tut sich mir eine neue Frage auf, was mache ich, wenn wirklich mehrere Übersetzungen funktionieren würden und es gibt keine Einträge zu dem Wort?

jw wA(i)=f r Ad
Könnte man doch mit "Er beginnt zu Wüten." Oder "Er entfernt sich vom Wüten." Übersetzen.

Gruß Peter
> Antwort auf Beitrag vom: 28.11.2020 um 23:03:18  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #9, Datum: 12.12.2020 um 11:04:42 »   

Lieber Peter,

solche Fälle gibt es - leider!

Eine erste Möglichkeit ist, den Kontext zu betrachten: Welche Übersetzung passt am besten?

Eine andere, vielleicht die bessere ist, im Zettelarchiv nach vergleichbaren Formulierungen zu schauen. Das ist ja seit einigen Jahren leicht möglich, als immerhin 1,4 Millionen Belege online gestellt wurden.

In diesem Fall finden wir für wAj "in einen Zustand geraten" die spezielle Formulierung "wütend werden" (Wb I, 246.8). Schaut man sich die Belege dazu an, findet man nur wAj r nSnj (ab DZA 22.047.670) mit einem anderen Wort für "wütend sein" (Wb II, 340).

Also sieht man sich nach der anderen Bedeutung für wAj "fern sein" um: Da findet man die Bedeutung (mit der Präposition r) "Böses ist fern von jemandem" (Wb I, 245.7). Vielleicht könnte das passen? In den Belegen dazu folgt aber nach dem r zumeist ein Personalsuffix. In dem zitierten Satz ist aber die "Wut" fern von "ihm".

Auch bei einer solchen Betrachtung kommt man nicht zu einer eindeutigen Lösung. Also sollten wir einen Blick auf den zweiten Teil werfen: Ad. Neben "wütend sein" gibt Wb auch die Bedeutung "lostoben (gegen)" (Wb I, 24.15), das TLA hat auch "angreifen". Eine Übersetzung wie "Er beginnt anzugreifen" könnte einen guten Sinn ergeben - wenn sie zum Kontext passt, also z.B. in einem Bericht über einen Feldzug enthalten ist.

Steht der Satz aber in einem Zusammenhang mit dem Ideal eines Ägypters, dann wäre die Bedeutung "fern sein vom Wüten", also von emotionalen Aufwallungen zu wählen, denn dies wäre ein "maat-gerechtes" Verhalten, wie es auch anderweitig beschrieben wird.

Viele Grüße,
Michael Tilgner
> Antwort auf Beitrag vom: 12.12.2020 um 08:32:12  Gehe zu Beitrag
Peter  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #10, Datum: 12.12.2020 um 15:17:07 »   

Nur wird das Wüten bzw. wütend sein Ad doch auch für positives verwendet. Bei Hannig steht: auf Seite 18, dass das eine positive Eigenschaft des Königs wäre.

Wie kann eigentlich ein und das selbe Wort zwei entgegengesetze Bedeutungen haben? Das muss die Ägypter doch auch selber verwirrt haben.

Gruß Peter
> Antwort auf Beitrag vom: 12.12.2020 um 11:04:42  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #11, Datum: 13.12.2020 um 10:14:23 »   

Lieber Peter,

wahrscheinlich waren die Alten Ägypter keineswegs verwirrt. So gehörte es zum "Königsdogma", dass der immer siegreiche Pharao die feindlichen Länder in Angst und Schrecken versetzte. Dazu gehörte z.B. auch die Szene des "Erschlagens der Feinde", die sich durch alle Zeiten der pharaonischen Geschichte zieht.

Ganz anders das Idealbild eines Ägypters, das in den Lebenslehren und anderweitig geschildert wird: ein Mensch, der sich selbst beherrscht und seine Gefühle unter Kontrolle hat. Dem "Hitzigen" und "Schreienden" wurde der "Kühle" gegenübergestellt.

So konnte es nicht ausbleiben, dass sich jemand über all diese Aspekte ausführlich ausgelassen hat: So gibt es inzwischen eine Studie zu diesem Thema, die ich leider nicht kenne: Ines Köhler, Rage like an Egyptian, Studien zur altägyptischen Kultur (SAK), Beihefte 18 (2016). Auf 442 S. (!) werden "die Möglichkeiten eines kognitiv-semantischen Zugangs zum altägyptischen Wortschatz am Beispiel des Wortfelds [WUT]" untersucht. Wahrscheinlich bleibt am Ende keine Frage mehr offen - oder vielleicht doch?

Viele Grüße,
Michael Tilgner
> Antwort auf Beitrag vom: 12.12.2020 um 15:17:07  Gehe zu Beitrag
Thoth  maennlich
Member



Re: Generelle Frage zu abweichenden Übersetzungen 
« Antwort #12, Datum: 13.12.2020 um 10:46:45 »   

Hi, ich melde mich auch mal dazu!
Lustig ist, dass ich eine Stele kenne, auf der eine ähnliche Schreibung zu finden ist. Nach Nespaqaschuti möchte ich die hier auch bearbeiten. Vielleicht kann man das da nochmal ausführlicher besprechen.

Gruß
> Antwort auf Beitrag vom: 12.12.2020 um 15:17:07  Gehe zu Beitrag
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