Nun kommt ein Zugabenteil:
Haiko hat aus der Arbeit von Christina Reiche zitiert, die die Formel
dj anx D.t r nHH so übersetzt: "der zu Leben veranlasst in
D.t- und
nHH-Ewigkeit". Sie hatte nämlich das Problem, dass sich diese Worte auf den Gott Aton beziehen.
Reiche: "Der Ausdruck
dj anx soll aktivisch verstanden werden (...)" - Fußnote 63, darin "Martin,
dj anx, 294 Anm. 19".
Das ist: K. Martin,
dj anx, in:
Studia aegyptiaca I (Festschrift Wessetzky), Budapest, 1974, S. 287-295. In Fußnote (17) führt er aus:
Zitat:Dem dj ist nicht anzusehen, welche Verbform es darstellt. Ich möchte darin einmal ein passives Partizip sehen (...) der König x ist ein Gegebener (im Deutschen ist dies nachzuahmen, wenn man statt Gegebener Beschenkter einsetzt) in Bezug auf das Leben (...) Das Partizip hat dabei adjektivische Funktion und wird durch [anx] "determiniert" (vgl. nfr Hr). Dass dj auch als aktivisches Partizip verstanden werden kann, braucht wohl nicht erläutert zu werden. (...) So ist es m. E. möglich, in dj anx beides gleichzeitig ausgedrückt zu sehen. |
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So argumentativ vorbereitet, schließt er in Fußnote (19):
Zitat:Dass dj anx beides ausdrückt, mag auch verdeutlichen, dass das alte, sicher nur aktivisch zu verstehende dj anx der Götter (...) folgendermaßen ausgedrückt wird: Gott (bzw. Göttin y) dj=f (bzw. z) anx, um zu betonen, dass hier nur eine aktive Aussage vorliegt. |
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Mit anderen Worten: Eigentlich sagt Martin, dass die aktivische Aussage des
dj anx anders ausgedrückt wird.
Reiche: "(...) und zwar, in Anlehnung an Schenkel [Fußnote 63], als Partizip + Infinitiv: 'der zu leben veranlaßt'."
Fußnote 63 bezieht sich auf Wolfgang Schenkel,
D(y.j) anx "mit Leben beschenkt" als grammatische Konstruktion, in: MDAIK, Bd. 37, S. 427-432 (1981).
Schenkel fasst seine Betrachtungen selbst zusammen:
Zitat:(...) das Wort rDj-anx wird als eine Art Kompositum behandelt. anx ist am ehesten der Infinitiv des Verbs anx "leben", unter Umständen aber auch das Substantiv anx "Leben". Die Verbindung rDj-anx heißt demnach "zu-leben-veranlassen" oder evtl. "Leben-geben". Das zusammengesetzte Verb rDj-anx wird flektiert, indem der verbale Bestandteil rDj flektiert wird, anx - was immer es sei - aber unverändert bleibt. Z. B. heißt dann das "Partizip Perfekt Aktiv" rD(j)-anx "zu-leben-veranlassend; belebend; Leben-gebend o.ä.", das "Partizip Perfekt Passiv" D(y.j)-anx "zu-leben-veranlaßt; belebt; Leben-begabt o.ä.". Letztere Formel ist die Formel D(y.j)-anx, die somit grammatisch ist und in etwa so übersetzt werden darf, wie gewöhnlich angenommen: "mit Leben beschenkt", "given life", "gratifié de la vie". |
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Man sieht hierin also, dass Schenkel Partizip + Infinitiv bevorzugt, sich aber nicht festlegt. Darüber hinaus hat er ein ganz anderes Erklärungsmodell - das Kompositum - entwickelt als Martin. Reiche übernimmt nur das, was sie braucht.
Was Christina Reiche in ihrer Arbeit nicht mehr berücksichtigt hat, ist: Helmut Satzinger,
Gott gibt dem König Leben, in: ZÄS, Bd. 124, S. 142-156 (1997). Nach einer äußerst detaillierten Analyse kommt er schließlich zu einem ganz anderen Ergebnis, nämlich dass ein Pseudopartizip vorliegt:
Zitat:Die beiden erkennbaren Bestandteile rDj und anx sind sichtlich in einer abkürzenden Weise geschrieben: ohne lautliche Komplemente, und rdj.w sogar ohne das anlautende r. Wenn hier also eine graphische Verkürzung vorliegt, dann ist es nur legitim, wenn man annimmt, daß auch etwas Anderes fortgefallen ist, nämlich die Präposition m. Im Alten Reich - der Zeit der Entstehung der <dj anx>-Formel - ist die Auslassung der Präpositionen m und n nichts "Ungewöhnliches". Damit ist die Vermutung erhärtet, daß tatsächlich zu lesen ist: rdj.w (m) anx "indem er mit Leben beschenkt ist". |
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Zurück zu Christina Reiche. In ihrem Kommentar zu dieser Stelle führt sie aus:
Zitat:Die Formel dj anx wird zusammen mit der Schreibung des Götternamens in zwei Kartuschen aus dem königlichen Bereich übernommen. Mit dem Bezug auf den König besteht kein Konsens, ob die Formel aktivisch oder passivisch aufzufassen ist. Im Zusammenhang mit dem Atonnamen muß sie aktivisch verstanden werden, da Aton derjenige ist, der Leben ermöglicht und es niemanden neben ihm gibt, der ihn veranlassen könnte zu leben. |
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Meiner Meinung löst sich das Thema dadurch auf, dass Aton durch die Kartuschen auch als weltlicher König Ägyptens dargestellt wird, dem die entsprechende Phraseologie einfach beigefügt wird.
Und wie sieht Wolfgang Schenkel die Sache inzwischen? Er hat sich Martins Bemerkung angeschlossen, wenn er in der neuesten Auflage seiner
Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen, 2012, S. 160-161 diese Formel analog zu
nfr Hr "schöngesichtig" erklärt:
Zitat:mit passivischem Partizip [statt Adjektiv]: di(.y) anx "mit Leben beschenkt", wörtl.: "einer, von dem gilt: Geschenkt ist das Leben." |
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Warum habe ich das so ausführlich aufgeschrieben? Es hat mich die Arbeitsweise geärgert, in der Literatur so lange herumzusuchen und das herauszupicken, was einem gefällt, egal, ob es aus unterschiedlichen Kontexten stammt oder nicht.
Und es hat mich beeindruckt, dass nach all diesen feinsinnigen Diskussionen letztlich die Wb-Übersetzung bestehen bleibt!
Nichts für ungut!