Beitrag: 1;2;3 oder 1-3 oder 1;2-7;8
 

Anhänge ausblenden | QR-Code einblenden

https://www.aegyptologie.com/forum/cgi-bin/YaBB/YaBB.pl?board=guan&action=display&num=1486471916

Ägyptologie Forum >> Schrift & Sprache


1) Übersetzungsübung: Eine merkwürdige Inschrift
 Michael Tilgner am 07.02.2017 um 13:51:56 - Anhang: Eine_merkwuerdige_Inschrift.pdf

Hallo,

auf einem Papyrus aus dem Neuen Reich findet sich eine merkwürdige Inschrift. Wer des Hieratischen nicht ganz mächtig ist, kann sich auch die hieroglyphische Version vornehmen.

Was soll das Ganze? Kann sich jemand darauf einen Reim machen?

Hinweise:
  • Die geschweiften Klammern sind vom Bearbeiter hinzugefügt.
  • Rechte Spalte, Nr. 1: Das Wort ist hier ganz wörtlich zu nehmen, nicht im übertragenen Sinn, wie man es im Wörterbuch findet.
  • Linke Spalte, Nr. 4: Gemeint sind die Ähren dieser Getreideart.
  • Linke Spalte, Nr. 5: Mit dieser Bezeichnung sind wohl die Getreidekörner gemeint.

Viele Grüße,
Michael Tilgner


2) Re: Übersetzungsübung: Eine merkwürdige Inschrift
 Haiko Hoffmann am 07.02.2017 um 17:48:15

Fürs erste:

Versteckten Text anzeigen...

Das ist die Aufgabe Nr. 79 aus einem berühmten mathematischen Papyrus, das heute im Britischen Museum aufgestellt ist. ... Es sieht so aus, als wenn da an einer Stelle etwas fehlt, d.h. eine Zahl stimmt wahrscheinlich nicht. Jedenfalls kommt man auf ein anderes Ergebnis als angegeben. Der Unterschied beträgt immerhin einen Wert von  100. ...


> Antwort auf Beitrag vom: 07.02.2017 um 13:51:56


3) Re: Übersetzungsübung: Eine merkwürdige Inschrift
 Haiko Hoffmann am 08.02.2017 um 09:58:38

Hier mein Versuch:

Versteckten Text anzeigen...
Es handelt sich um das mathematische Rhind-Papyrus (ca. 1650 v. Chr.), wohl zu Lehrzwecken (ein Mathe-Lehrbuch sozusagen), befindlich im British Museum London, Museumsnummer EA10058, Aufgabe Nr. 79, in hieratischer Schrift

rechts:
wa.t jmj.t pr
1         2801
2         5602
3         11204
dmD    19607

ein einziger Hausrat (einzig im Haus Befindliches, Haus-Inhalt)
1           2801
2           5602
3           11204
Summe  19607

links:
pr.w        7
mj.w       49
pn.w       343
bd.t         2301*
HqA.t**     16807
dmD        19607

Häuser                    7
Katzen (Kater)         49
Mäuse                    343
(Emmer-)Weizen     2301*
Scheffel (Heqat)**   16807
Summe                 19607

* Gemeint sind hier Ähren.
Bei einer Summe von 19607 muss es aber eigentlich 2401 sein. Der Schreiber hat hier wahrscheinlich einmal V1 für einen Hunderter vergessen. Die hieratische Schreibung zeigt deutlich eine 300 und keine 400, so dass es keine Verschreibung in der Transkription in Hieroglyphen war, die den Fehler verursacht, sondern das Papyrus selbst.
vgl. auch Kurt Sethe, Von Zahlen und Zahlworten bei den alten Ägyptern und was für andere Völker und Sprachen daraus zu lernern ist: ein Beitrag zur Geschichte von Rechenkunst und Sprache, Verlag Karl J. Trübner, Straßburg 19161, Tafeln zwischen S. 48 und 49 - s.a. Möllers Hieratische Paläographie (Bd 1, S. 59/Tafel 614ff.) http://www.egyptology.ru/lang/Moeller/Moeller-I-23-76.pdf

** Das bezieht sich auf Körner pro Ähre; vgl. Wb III 174, Hannig 564; s.a. DZA 27.409.1702, DZA 27.409.6903, DZA 27.409.9404

Es könnte aber viell. auch sein, dass dort jt zu lesen ist, d.h. Gerste bzw. allg. Getreide (i.S.v. Getreidekörnern), vgl. Wb I 142, Hannig 111; s.a. DZA 21.409.3305, DZA 21.409.3506

Da aber unmittelbar dahinter eine Zahl steht, was eher für eine Maßeinheit spricht (wer wollte die Körner zählen?), habe ich mich für HqA.t als Getreidemaßeinheit entschieden, auch wenn der Autor die Zahl v. 16807 als pauschale Annahme gesehen haben mag, d.h. indem er 7 Körner pro Ähre gerechnet hat. Nun weiß ich nicht, wie hoch der durchschnittliche Ertrag einer Ähre damals war, aber heute sind pro Ähre 40-50 Körner Standard. Eine reine Rechenaufgabe zum Üben.

P.S.:
Was insbes. die linke Seite angeht, so sieht es hier nach Potenzzahlen aus, also 7 hoch 1, 7 hoch 2 … bis 7 hoch 5. ... Man kannte damals also auch schon die Potenzrechnung.


> Antwort auf Beitrag vom: 07.02.2017 um 17:48:15


1: https://archive.org/details/vonzahlenundzahl00seth
2: http://aaew.bbaw.de/tla/servlet/DzaBrowser?START.x=25&START.y=142&newpid=DZA+27.409.160&dispscale=100&set=EM&wn=110440&lastpid=27409160&wid=0
3: http://aaew.bbaw.de/tla/servlet/DzaBrowser?START.x=23&START.y=121&newpid=DZA+27.409.700&dispscale=100&set=EM&wn=110440&lastpid=27409700&wid=0
4: http://aaew.bbaw.de/tla/servlet/DzaBrowser?START.x=25&START.y=144&newpid=DZA+27.409.930&dispscale=100&set=EM&wn=110440&lastpid=27409930&wid=0
5: http://aaew.bbaw.de/tla/servlet/DzaBrowser?u=mulan&f=0&l=0&wn=32830
6: http://aaew.bbaw.de/tla/servlet/DzaBrowser?START.x=20&START.y=145&newpid=DZA+21.409.340&dispscale=100&set=EM&wn=32830&lastpid=21409340&wid=0


4) Re: Übersetzungsübung: Eine merkwürdige Inschrift
 Michael Tilgner am 09.02.2017 um 22:21:05

Lieber Haiko,

ja, es handelt sich um eine Aufgabe aus dem Papyrus Rhind.

Versteckten Text anzeigen...
Zur Übersetzung:

Ich hatte nur dezent angedeutet: "aus dem Neuen Reich", d.h. er ist eigentlich neuägyptisch. Das ist aber nur an einer einzigen Stelle erkennbar:

wa.t jmj.t-pr
"ein Hausrat"

wa ist der unbestimmte Artikel im Neuägyptischen (Wb I, 276.8.-9), der sich aus dem Zahlwort wa "eins" entwickelt hat. Im Mittelägyptischen gibt es keinen (bestimmten oder unbestimmten) Artikel. Das war vielleicht ein bisschen unfair von mir, das nicht anzugeben. Aber es kam mir auf den eigentlichen Text an.

jmj.t-pr "Hausrat" (Wb I, 73.20), wörtlich: "das, was im Hause ist"; dieses Wort entwickelt sich später zu einem juristischen Begriff "Hausurkunde".

bd.t (btj) "(Ähren von) Emmer" ist wohl gemeint; ebenso steht
HqA.t wohl für die "Körner" (im Scheffel), sonst würden die Zahlen keinen Sinn ergeben.

Der Text ist so vollständig, wie ich ihn angegeben habe; da fehlt nichts. Irgendwie mysteriös?

Wir können aus dem Vorliegenden das herleiten, was der ägyptische Mathelehrer wohl seinen Schülern gesagt haben wird:

[Die Aufgabe:

Gegeben sind 7 Häuser,
in jedem befinden sich 7 Katzen,
jede Katze frisst 7 Mäuse,
jede Maus frisst 7 Ähren,
jede Ähre enthält 7 Getreidekörner.

Berechne die Summe der genannten Dinge.]

[ Die Lösung:

7 + 7 * 7 + 7 * 49 + 7 * 343 + 7 * 2.401 = 19.607 ]

Das ist die linke Seite unserer Matheaufgabe, wobei sich der Schreiber bei der Zahl 2401 verschrieben hat; das Endergebnis ist aber richtig!

Es gibt aber eine alternative Art der Darstellung, indem man 7 ausklammert (jetzt ist eine Erinnerung an die Schulmathematik gefragt!):

[ Alternative:

7 * (1 + 7 + 49 + 343 + 2.401) = 7 * 2.801

7 * 2.801 = (1 + 2 +4) * 2.801
     = 2.801 + 5.602 + 11.204 = 19.607 ]

Schreiben wir die letzte Zeile untereinander:

 1    2.801
 2    5.602
 4  11.204
 
Summe 19.607

so haben wir die rechte Seite unserer Matheaufgabe. Jetzt wird auch klar, warum in der dritten Zeile eine 4 steht und nicht eine 3, wie Du "den Text heimlich korrigierend" geschrieben hast!


Nun kommt der Hammer!

Sehr viel später, nämlich im Jahre 1202 (n. Chr.!) schrieb der italienische Mathematiker Leonardo Fibonacci (ca. 1170 - ca. 1250) ein Mathebuch namens "Liber abaci", in dem folgendes Problem zu finden ist:

Zitat:
Sieben alte Weiber gehen nach Rom;
jede von ihnen führt sieben Esel mit sich;
auf jedem Esel sind sieben Säckchen;
in jedem Säckchen sind sieben Brote;
und jedes Brot hat sieben Messerchen;
und jedes Messerchen hat sieben Schneiden.

Es wird nach der Summe aller erwähnten Dinge gefragt.

Es ist die gleiche Aufgabe, wie wir sie im Papyrus Rhind gefunden haben! Wurde diese schöne Formulierung vom Ägypten des Neuen Reiches bis ins mittelalterliche Italien von Generation zu Generation weitergereicht? Oder ist es eine Neuformulierung, basierend auf der magischen Zahl 7? Sind es die gleichen Gedanken, die einem Lehrer durch den Kopf gehen, um seinen Schülern Rechenfertigkeiten beizubringen? Keiner weiß eine Antwort auf diese Fragen!

Seit dem 18. Jahrhundert ist ein englischer Kinderreim nachweisbar:

Zitat:
As I was going to St. Ives
I met a man with seven wives.
Each wife had seven sacks,
Each sack had seven cats,
Each cat had seven kits;
Kits, cats, sacks and wives –
How many were going to St. Ives?

Auch hier haben wir die gleiche Struktur! Allerdings mit einem kleinen Schlenker, denn die Antwort auf die gestellte Frage lautet: Eins! Denn nur der Erzähler geht nach St. Yves, die anderen begegnen ihm, gehen also in die umgekehrte Richtung.

Dieser Kinderreim fand schließlich Eingang in die Sesamstraße1!


Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 08.02.2017 um 09:58:38


1: https://www.youtube.com/watch?v=DsFpczReGTI


5) Re: Übersetzungsübung: Eine merkwürdige Inschrift
 Seschen am 10.02.2017 um 08:51:13

Hallo!

Ich bin zu spät dran!
Meine Lösung ist diesmal eine versteckte Graphik.

Ich habe die Vorlage gespiegelt und ergänzt:
rot = Korrektur des Schreibfehlers des Kopisten Ahmose
blau = meine Umschrift und Übersetzung
grau = Ergänzungen

Versteckten Text anzeigen...


Michaels Vorschläge "Ähren" und "Getreidekörner" habe ich übernommen.
Einen Teil der Aufgabe würde ich - vielleicht der Realität (die Haiko bemängelt hat,) näher - wie folgt ändern:

"...jede Katze frisst 7 Mäuse,
jede Maus frisst an 7 Ähren,
von jeder Ähre werden 7 Körner gefressen..."

Und hier der Ausschnitt auf dem Original, Foto erhalten vom großzügigen British Museum free image service:



> Antwort auf Beitrag vom: 07.02.2017 um 13:51:56


6) Re: Übersetzungsübung: Eine merkwürdige Inschrift
 Michael Tilgner am 12.02.2017 um 13:56:40

Hallo, Seschen,

Versteckten Text anzeigen...
Du hast unter die Zahlen 1, 2, 4 in Spalte II geschrieben: (1 Haus), (2 Häuser) und (4 Häuser). Diese Zahlen sind aber nur die Multiplikatoren, nicht Angabe der Anzahl der Häuser.

Hinsichtlich der Lesung in Zeile 5 in Spalte I: HqA.t "Hekat-Maß" oder Ssr.w (sSr.w) "Körner". Um das genau zu entscheiden, müsste man in die hieratische Paläographie dieses Papyrus einsteigen. Wie auch immer, es sind jedenfalls die "Körner" gemeint.

Seschen hat die Summenformel einer geometrischen Reihe ins Spiel gebracht. Hintergrund ist, dass der Autor des Papyrus nicht angibt, wie er zur Zahl 2801 in der zweiten Berechnung gekommen ist. Ich hatte eine elementare Rechenoperation (Ausklammern) unterstellt. Dabei werden Potenzen von 7 benötigt, die ja in der anderen Rechnung angegeben sind. Ferner ist noch eine Addition erforderlich. Bei der Summenformel treten Zwischenergebnisse auf, die hier nicht zu finden sind. Auch muss noch dividiert werden. Wenn man vom Prinzip ausgeht, die Hypothese zugrunde zulegen, die mit möglichst wenig Annahmen auskommt, kommt man zur ersten Variante.

Ich habe noch einmal die einschlägige Literatur gewälzt. Danach hat man auch sonst keinerlei Hinweise darauf, dass den alten Ägyptern die Summenformel bekannt gewesen sein könnte. So heißt es z.B. im Eintrag "Mathematik" im "Lexikon der Ägyptologie":

Zitat:
Arithmetische und geometrische Progressionen wurden trivial, ohne Hinweis auf die Verwendung einer Summenformel ausgerechnet. (LÄ III, 1241)

Es muss also dahingestellt bleiben, was genau der mathematische Hintergrund dieser Aufgabe ist.


Man sieht jedoch aus diesem Beispiel, dass auch Texte mit wenig Wörtern und noch weniger Grammatik manchen Anlass zu Diskussionen liefern können!

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 10.02.2017 um 08:51:13