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Ägyptologie Forum >> Schrift & Sprache


1) Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 15.12.2019 um 11:52:46 - Anhang: Sprichwort_auf_einer_Stele.jpg

Hallo, Leute,

verlassen wir den Thread über Muata Ashby und seine angeblichen Übersetzungen ägyptischer Sprichwörter1 und widmen wir uns den Originalquellen!

Als ägyptisches Wort für "Sprichwort" gilt (Wb III, 289.8):


xn n mdw.t

von xn "Rede, Angelegenheit".

Als weiteres Wort wird angegeben "Sprichwort, Spruch aus einem Buch" (Wb V, 403.14):


Ts

In der Linguistik wird unterschieden zwischen Sprichwort, sprichwörtlicher Redensart, Zitat, Lebensweisheit und dergl. Naturgemäß ist eine solche Unterscheidung für altägyptische Formulierungen "häufig eine reine Ermessensfrage" (Lexikon der Ägyptologie, Bd. V, 1219-1222, Stichwort: "Sprichwort"). Zu etlichen Sentenzen hat sich jedoch eine Meinung gebildet, dass es sich um ein Sprichwort o.ä. handelt. In loser Folge sollen einige Beispiele hier als Übersetzungsübung vorgestellt werden. Aber Achtung: Diese Art von Sätzen ist oft verdichtet und daher grammatikalisch nicht leicht zu analysieren!

Beginnen wir mit einem Beispiel aus einer Stele (Einzelheiten folgen später):



Hinweis: Das letzte Wort ist unvollständig. Da muss man ein bisschen suchen ...

Es sei noch auf die Funktion "verdeckter Text" hingewiesen:

Code:
[hidden] ... [/hidden]

Versteckten Text anzeigen...
Damit kann man seinen Lösungsansatz posten, ohne dass es ein anderer sofort sehen kann. Der andere kann dann unbeeinflusst versuchen, seine eigene Lösung zu entwickeln.


Viel Spaß beim Grübeln!

Viele Grüße,
Michael Tilgner


1: http://www.aegyptologie.com/forum/cgi-bin/YaBB/YaBB.pl?board=bc&action=display&num=1575931171


2) Re: Altägyptische Sprichwörter
 David am 15.12.2019 um 17:05:29

Dann versuche ich mich gleich mal daran.

Ich schlage folgende Transliteration vor:

Versteckten Text anzeigen...
mn.w pw n z(j) nfrw=f smx pw bjn bjA.t


Darauf basierend folgende Übersetzung:
Versteckten Text anzeigen...
"Das Denkmal eines Mannes ist sein gutes Wesen. Einer, der (es) vergisst, hat einen schlechten Charakter."


Erläuterungen:
Versteckten Text anzeigen...
Der erste Satz geht eigentlich ganz gut von der Hand würde ich sagen. Man könnte ggf. noch eine treffendere Übersetzung für mn.w suchen, wie z. B. "Andenken" oder sowas. Beim zweiten Satz ist smx meiner Meinung nach ein aktives Partizip, das die Funktion eines Nomens hat, also übersetzt "ein Vergessender" oder "Einer, der vergisst". Da fehlt dann aber ein Pronomen 3. Pers. Sing., auf das sich das Vergessen bezieht, aber es könnte auch weggelassen worden sein. Wenn bjA.t stimmt und als "Charakter" zu übersetzen ist, dann könnte dieses Nomen in Verbindung mit dem Adjektiv bjn die von James P. Allen nfr Hr genannte Konstruktion darstellen und damit als "einer, der einen schlechten Charakter hat" übersetzt werden.


> Antwort auf Beitrag vom: 15.12.2019 um 11:52:46


3) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 15.12.2019 um 18:24:35

Ich schlage folgendes vor:

Versteckten Text anzeigen...
mn.w pw n s(i) nfrw=f smx pw bin biA(. t) Ich übersetze es mit "Ein Denkmal für einen Mann ist seine Güte, der Vergessende/der es vergisst hat einen bösen/schlechten Charakter."

pw würde ich wieder als Nominalsatz auffassen und sxm als "der Vergessende/einer der es vergisst".
biA(.t) wähle ich, da biA (Vorbild) eigentlich den Becherdeterminativ hat.


> Antwort auf Beitrag vom: 15.12.2019 um 17:05:29


4) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 16.12.2019 um 12:07:41

Hallo, Leute,

hervorragend gelöst!

Versteckten Text anzeigen...
Die Schwierigkeit im ersten Teil liegt in einer adäquaten Übersetzung für nfr.w; "gutes Wesen" trifft es meiner Meinung nach sehr gut.

Im zweiten Teil ist in der Tat bjn biA.t die sog. nfr-Hr-Konstruktion: "schön an Gesicht" bzw. substantiviert: "der Schöngesichtige". Man beachte die analoge Konstruktion nfr bjA.t "von gutem Charakter" (Wb II, 255.11). bjA.t "Charakter", der gut oder auch "schlecht" sein kann (Wb I, 441.17 - dort auch die Schreibung ohne Determinativ). Beispiele für fehlendes .t sind z.B. auf DZA 22.821.990 angegeben. Auch bei bjn findet man "vom Charakter: böse, schlimm" (Wb I, 443.6).

Für smx "jemanden vergessen (Namen, Andenken)" (Wb IV, 141.1-3) habt Ihr ein aktives Partizip vorgeschlagen, als Nomen gebraucht. Dass ein Objekt fehlt, ist dabei das Problem.  Eine andere Möglichkeit ist ein substantiviertes passives Partizip: "einer, der vergessen wird", so dass der zweite Teil wörtlich etwa lautet: "einer, der vergessen wird, ist er, der Schlecht-Charakterliche".

Die Stelle stammt aus der Stele des Mentuhotep (UC 14333)1, letzte Zeile. Die Umzeichnung habe ich dem Artikel entnommen: Hans Goedicke, A Neglected Wisdom Text, in: Journal of Egyptian Archaeology, Bd. 48, S. 25-35 (1962), und zwar von S. 26.

Jan Assmann, Ma‘at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München, 1995, hat dem Thema "Die Denkmalhaftigkeit der Tugend" einen ganzen Abschnitt gewidmet (S. 109-113). Ich zitiere seine Übersetzung mit den vorangehenden und nachfolgenden Zeilen (S. 110):

Zitat:
Der gute Charakter eines Mannes ist für ihn mehr (wert) als Tausende von Taten.
Wie man denn hört im Munde der Menschen
in der Form jenes Spruches, den die „Bürger“ im Munde führen:

„Das Denkmal eines Mannes ist seine Tugend,
der mit schlechtem Charakter wird vergessen.“

Wenn geschieht, wie gesagt wird,
dann wird mein guter Name fortdauern in meiner Stadt,
und mein Denkmal nicht verfallen in Ewigkeit.

Der "Spruch" ist hier als Ts bezeichnet. Ich finde auch das Wort "Tugend" für nfr.w ziemlich treffend!


Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 15.12.2019 um 18:24:35


1: https://www.ucl.ac.uk/museums-static/digitalegypt/art/uc14333.html


5) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 18.12.2019 um 09:32:47 - Anhang: Sprichwort_02.jpg

Hallo, Leute,

die folgende Sentenz wird von manchen Ägyptologen auch als Sprichwort angesehen:



Anbei die Umschrift aus einem Papyrus mit der Ergänzung des Schlusses.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 16.12.2019 um 12:07:41


6) Re: Altägyptische Sprichwörter
 David am 18.12.2019 um 19:00:49

Mein Vorschlag:

Versteckten Text anzeigen...
nn sf n wzf.w

"Der gestrige Tag existiert für den Faulen nicht." oder "Für den Faulen gibt es kein Gestern."

nn leitet hierbei einen verneinten Existenzsatz ein.
Diese Stelle kenne ich zufällig aus J. P. Allens "Middle Egyptian: An Introduction to the Language and Culture of Hieroglyphs" (Second Edition, S. 481). Dort übersetzt er "Für den, der vergisst/den Vergesser gibt es kein Gestern.", wobei ich seine Übersetzung von wzf.w nicht nachvollziehen kann, da im Wb 1, 357.12 kein derartiger Übersetzungsvorschlag verzeichnet ist. Andererseits macht das auf jeden Fall mehr Sinn.


Grüße,
David

> Antwort auf Beitrag vom: 18.12.2019 um 09:32:47


7) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 18.12.2019 um 22:06:26 - Anhang: Sprichwort_02A.jpg

Hallo, David,

Versteckten Text anzeigen...
Dass diese Stelle in Allens Grammatik als Übungsaufgabe auftaucht, war mir entgangen!


Bevor wir diesen Satz besprechen, lege ich noch etwas drauf! Also zusätzlich zum obigen Satz bitte übersetzen:





Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 18.12.2019 um 19:00:49


8) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 19.12.2019 um 00:22:30

Hallo!

Bemerkungen:
- Ich habe Allens Grammatik nicht...

- Ich bezeichne die drei Sätze mal mit 1 bis 3:

1

Versteckten Text anzeigen...
nn sf n wsf.w

Es gibt kein Gestern für den Faulen.


2

Versteckten Text anzeigen...
nn xnms n zX mAa.t

Es gibt keinen Freund für einen "Wahrheitstauben"

Konstruktion nfr Hr, also sowas wie "taub an /für Wahrheit"


3

Versteckten Text anzeigen...
nn hrw nfr n awn-jb

Es gibt keinen Feiertag ("schönen Tag") für den Habgierigen.


Eine schöne Rest-Adventzeit allerseits!

Gruß, Seschen

> Antwort auf Beitrag vom: 18.12.2019 um 22:06:26


9) Re: Altägyptische Sprichwörter
 David am 19.12.2019 um 14:35:56

Ich ergänze:

Versteckten Text anzeigen...
nn xnms n zX mAa.t

"Für einen, der die Wahrheit nicht hört, gibt es keinen Freund."
zX ist meiner Meinung nach ein aktives Partizip.

nn hrw nfr n awn-jb

"Für einen Habgierigen gibt es keinen Feiertag."
awn-jb ist vielleicht eine nfr Hr-Konstruktion, wörtlich vielleicht "gierig von Herzen"? awn-jb ist aber auch direkt im WB 1, 172 zu finden.


Freue mich auf weitere Übungen!

Grüße,
David

> Antwort auf Beitrag vom: 18.12.2019 um 22:06:26


10) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 19.12.2019 um 17:12:03

Sorry, dass ich gestern nicht konnte.

Versteckten Text anzeigen...
Ich schlage folgendes vor: nn sf n wsf.w => "Es gibt kein gestern für den/einen Vergesslichen./ Trägen/Faulen"

nn = nicht (existent)
sf= gestern/gestriger Tag
n= für
wsf.w= Vergesser/Fauler (einer der es vergisst/ einer der faul ist.)

Daraus wird ein Satz, der etwas verneint bzw. angibt, dass etwas nicht existiert.
Beim letzten Wort bin ich mir allerdings unsicher.


> Antwort auf Beitrag vom: 18.12.2019 um 09:32:47


11) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 19.12.2019 um 22:53:06

Hallo, Leute,

das geht ja zügig voran!

Die zitierten Sätze stammen aus der mittelägyptischen "Geschichte vom Beredten Bauern", und zwar aus dem hieratischen Papyrus Berlin 3025 (als Quelle der Geschichte mit "B2" bezeichnet), Spalte 109-111. Die beigefügte hieroglyphische Umschrift stammt aus R. B. Parkinson, The Tale of the Eloquent Peasant, Oxford, 1991, S. 47.

Versteckten Text anzeigen...
Ja, es handelt sich um Sätze der Nichtexistenz von der Form "Nicht gibt es X für Y".

Der erste Satz:

nn sf n wsfw
"nicht gibt es ein Gestern für den Trägen"

sf "allein substantivisch: das Gestern" (Wb IV, 113.2)
wsfw "der Träge, der Faule" (Wb I, 357.12) - Wie James P. Allen auf "forgetter" (Middle Egyptian, 2nd ed., 2010, S. 459) kommt, ist mir schleierhaft.

Der zweite Satz:

nn xnms n zX mAa.t
"nicht gibt es einen Freund für den, der taub ist gegen die Maat"

sXj "taub sein gegen etwas Gesagtes u.ä." - mit direktem Objekt "taub gegen die Wahrheit" (Wb III, 474.4); genauer "taub an Maat".

Der dritte Satz:

nn hrw nfr n awn-jb
"nicht gibt es einen Festtag für den Habgierigen"

hrw nfr "froher Tag, Festtag" (Wb II, 499.12)
awn-jb "habgierisch, neidisch" (Wb I, 172.12)



Was ist damit gemeint? Jan Assmann hat in seinem Buch Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, 2. Auflage, München, 1995 einen langen Abschnitt diesen drei Sätzen des "Beredten Bauern" gewidmet: S. 58-91; eine Zusammenfassung findet man in: Günter Burkard, Heinz J. Thissen, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte, Bd. I: Altes und Mittleres Reich, 5. Auflage, Berlin, 2015, S. 181-182.

Der "Träge" ist einer, der nicht handelt. Assmann zitiert einen weiteren Satz aus dem "Beredten Bauern" (S. 62):

Zitat:
Ein guter Charakter kehrt zurück an seine Stelle von gestern,
denn es ist befohlen: Handle für den, der handelt,
um zu veranlassen, daß er tätig bleibt.
Das heißt, ihm danken für das, was er getan hat.

Wer träge ist, tut so, als ob für ihn zuvor - "gestern" - nichts getan worden ist, und gibt nicht zurück, was ihm zuteil wurde.

Der zweite Verstoß gegen die Maat ist die "Verstocktheit"; wer sich nicht an die Maat hält, hat "keinen Freund", ist also sozial isoliert.

Schließlich die Raffgier: Sie entfremdet den Menschen von den anderen, er feiert nicht nur kein Fest mit ihnen, sondern er hat auch "kein Grab", wie es in der Lehre des Ptahhotep heißt.

Assmanns Schlussfolgerung (S. 89):

Zitat:
Die drei Verse aus den Klagen des Bauern (...) fassen das zusammen, was in meinen Augen als die Quintessenz des ägyptischen Ma'at-Begriffs zu gelten hat. Ma'at erweist sich darin als etwas völlig anderes als "Weltordnung". Vielmehr geht es um etwas, das man am besten mit dem Begriff "Kultur" zusammenfaßt: um die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens.

Zurück zu den Sprichwörtern: Wieso hat man nun den ersten Satz in die Reihe der Sprichwörter aufgenommen, und die anderen Sätze nicht? Hier war wohl die Ägyptologin Waltraud Guglielmi aus Tübingen maßgebend, die den Eintrag "Sprichwort" für das Lexikon der Ägyptologie, Bd. V, Sp. 1219-1222 verfasst hat. Für sie war die "wirksame sprachliche Einkleidung" ein wesentliches Kriterium, speziell in diesem Fall das Wortspiel zwischen sf und wsfw. Nach den oben angedeuteten Betrachtungen zu den drei Sätzen des "Beredten Bauern" muss man das wohl doch wieder in Frage stellen.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 19.12.2019 um 17:12:03


12) Re: Altägyptische Sprichwörter
 David am 19.12.2019 um 23:40:06

Interessante und sehr detaillierte Analyse!
Das zeigt mal wieder, dass jede noch so gute Übersetzung vor dem Hintergrund der Eigenheiten der ägyptischen Hochkultur erklärungsbedürftig bleibt. Das legt mir auch nach Jahren noch immer wieder Steine in den Weg.

> Antwort auf Beitrag vom: 19.12.2019 um 22:53:06


13) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 20.12.2019 um 15:47:09 - Anhang: Sprichwort_03.jpg

Hallo, Leute,

in einem hieratischen Papyrus findet man diesen Satz:



Lasst Euch Zeit, ich bin an diesem Wochenende viel unterwegs.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 19.12.2019 um 23:40:06


14) Re: Altägyptische Sprichwörter
 David am 21.12.2019 um 09:57:13

Mein Vorschlag, klingt aber noch etwas holprig:

Versteckten Text anzeigen...
nfr gs n anx r m(w)t m zp wa

"Die Hälfte eines Lebens ist besser als ein Tod mit einem Mal."
D. h. wohl eher "besser als ein plötzlicher Tod"?

Mit nfr am Satzanfang wird ein Komparativ gebildet. m zp wa findet sich als Ausdruck für "mit einem Mal" in WB 3, 436.


Gruß,
David

> Antwort auf Beitrag vom: 20.12.2019 um 15:47:09


15) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 21.12.2019 um 19:30:19

Hallo!

Hier auch mein Vorschlag:

Ähnlich konstruierte Sätze sind z. B. auch in der Lehre des Ptahhotep zu finden.

Versteckten Text anzeigen...
nfr gs n anx r m(w)t m zp-wa
Zwei gegensätzliche Substantive : "Leben" und "Tod" (bzw. sterben) und dazwischen das
r, als Bildungselement des Komparativs: "als"

nfr ... r - besser ... als
gs - Hälfte, halb
m sp-wa - mit einem Mal (Hannig, 180.1)
Gelegentlich auch übersetzt mit "zusammen", "auf einmal", "zugleich", "in einem Augenblick" u.ä.

Übersetzung:
Besser ist ein halbes Leben als auf einmal zu sterben / der einmalige Tod.


Adventsgrüße von
Seschen

> Antwort auf Beitrag vom: 20.12.2019 um 15:47:09


16) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 22.12.2019 um 18:54:11

Hallo,

wunderbar, alles perfekt!

Versteckten Text anzeigen...
Für den Schluss m sp wa hat es unterschiedliche Übersetzungsvorschläge gegeben:

In der Erstpublikation heißt es: "Half-life is better than dying altogether." (H.E. Winlock, Excavation at Thebes, in: The Metropolitan Museum of Art Bulletin, Bd. 17, Nr. 12, Part 2, S. 19-49 (1922), das Zitat auf S. 42)

C.E. Sander-Hansen, Der Begriff des Todes bei den Ägyptern, in: Historisk-filologiske meddelelser, Bd. 29, Nr. 2, 32 S.: "Halbes Leben ist besser als völliger Tod" (S. 22)

Jan Assmann, Das Bild des Vaters im Alten Ägypten, in: G. Bornkamm et al., Das Vaterbild in Mythos und Geschichte, Stuutgart / Berlin / Köln / Mainz, 1976, S. 12-49, 155-162: "ein halbes Leben ist besser als ein ganzer Tod" (S. 19)

Die letzte Bearbeitung: "Half of life ist better than death in full." James P. Allen, The Heqanakht Papyri, New York 2002, S. 17

Wie man sieht, rangen auch die Ägyptologen um eine knappe, treffende Formulierung.


Dieses Sprichwort stammt aus dem Brief II des Heqanacht1 (New York, Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 22.3.517), Sp. 26. Die Umschrift habe ich der bereits erwähnten Publikation von James P. Allen, Tafel 30 entnommen.

Zum Kontext: Es handelt sich um den Brief eines Privatmannes an seine Familie aus dem Mittleren Reich. Diese war offensichtlich unzufrieden mit der Nahrungsmittelsituation, denn er schreibt (nach Assmann, a.a.O.):

Zitat:
Seht, das ganze Land geht zugrunde, aber ihr braucht nicht zu hungern. Seht, als ich hierherkam, hatte ich eure Rationen anständig festgesetzt. (...) Seht: der ganze Haushalt ist wie meine Kinder, alles gehört mir - denn es heißt: »ein halbes Leben ist besser als ein ganzer Tod«. Seht, >Hunger< sagt man (nur) zu (wirklichem) Hunger, Hier, schaut, fangen sie an, Menschen zu essen. Seht, es gibt nirgendwo Leute, die solche Rationen wie ihr bekommen."

"Denn es heißt: ..." ist ein Hinweis darauf, dass es sich um ein Sprichwort handelt.

Der ganze Brief ist im TLA2 zu finden (Anmeldung z.b. mit User=gast, Passwort=gast).

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 21.12.2019 um 19:30:19


1: https://www.metmuseum.org/art/collection/search/545446
2: http://aaew.bbaw.de/tla/servlet/GetTextDetails?tc=18748


17) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 22.12.2019 um 21:29:52 - Anhang: Sprichwort_04.jpg

Hallo,

das letzte Sprichwort vor Weihnachten!



Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 22.12.2019 um 18:54:11


18) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 23.12.2019 um 17:46:59

Hallo!

Uff! Ich bin nicht sicher. Es ist nicht leicht, wenn der Kontext fehlt.

Umschrift:
Versteckten Text anzeigen...
TAw m X.t rd.wj Hr Sm.t


Wörter:
Versteckten Text anzeigen...
TAw - Luft, Atem
m - Präposition: in, aus (u.a)
X.t - Körper, Leib
rd - Fuß
Hr - Präposition
Sm - gehen;


Grammatik:
Versteckten Text anzeigen...
rd.wj = (beide) Beine, Dualform
Sm.t = Infinitiv
Nomen + Hr + Infinitiv ist eine pseudoverbale Konstruktion


Übersetzung(en):
Je nach Kontext und Bedeutung der Präposition m kann übersetzt werden:
Versteckten Text anzeigen...
a)
Die Atemluft ist aus dem Körper, die Füße gehen dahin. / (wörtl.: sind beim Dahingehen)
Soll etwa bedeuten: der Tod naht.

oder
Versteckten Text anzeigen...
b)
Die Luft (der Atem) ist im Leib, die (beiden) Füße gehen. / (wörtl. sind am Gehen)
Soll etwa bedeuten: eine Aktion startet.


Weihnachtliche Grüße,
Seschen



> Antwort auf Beitrag vom: 22.12.2019 um 21:29:52


19) Re: Altägyptische Sprichwörter
 David am 24.12.2019 um 09:41:05

Hallo zusammen

Mein Vorschlag:

Versteckten Text anzeigen...
TAw m X.t rd.(wj) Hr Sm.t

"Atemluft ist im Leib, wenn die/beide Beine am Gehen/in Bewegung sind."

Ich denke, der zweite Teil ist irgendwie abverbial, vielleicht konditional. Sm.t ist für mich ein Infinitiv, der zusammen mit dem Zusatz Hr etwas Progressives ausdrückt.
Sinngemäß könnte ich mir vorstellen, dass das Sprichwort sowas wie "Bewegung ist gut für den Körper" aussagen soll.


Ebenfalls weihnachtliche Grüße,
David


@Seschen: Ist das jr in deinem Weihnachtsgruß ein Imperativ?

> Antwort auf Beitrag vom: 22.12.2019 um 21:29:52


20) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 24.12.2019 um 11:42:28 - Anhang: Pseudoverbal_construction_in_EG_para_320.jpg

Hallo, Leute,

das sieht alles schon ganz gut aus!

Einige Ergänzungen:

Versteckten Text anzeigen...
Sm gilt als "biliterales" Verb, d.h. bestehend aus zwei Konsonanten, hat aber einen femininen Infinitiv: "an indication that this verb-stem once belonged to the 3ae inf." (tertiae infirmae = Verben, deren dritter und letzter Konsonant j oder w ist.) - Zitat: Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, 1957, § 299; siehe auch § 278.

Unser Spruch besteht aus zwei Teilen: Der erste Satz ist ein adverbieller Nominalsatz, der zweite eine pseudoverbale Konstruktion, gebildet aus Nomen + Hr + Infinitiv. Nach einer Übersicht über die Unterschiede zwischen dieser Konstruktion und die von Nomen + Pseudopartizip bei Gardiner, § 320, liegt die Bedeutung bei Verben der Bewegung vor allem in: "emphasize the movement itself".

Sm hier: "von den Füßen, die gehen" (Wb IV, 465.7). Eine Bedeutung wie "dahingehen" im Sinne von "dahinschwinden, absterben" ist nicht belegt. Der zweite Teil lautet also: "die Füße gehen".

Zwar kann die Präposition m auch bedeuten: "aus etwas heraus" (Wb II, 1.6), aber das ist inhaltlich sinnlos: "Füße gehen" und "Atem kommt aus dem Leib heraus". Es bleibt für den ersten Teil nur: "Atem ist im Leib".

Wie ist das Verhältnis dieser beiden Sätze zueinander? Das war die Schwierigkeit in Euren Vorschlägen. Meiner Meinung helfen Gardiners Überlegungen zu "virtuellen" Nebensätzen weiter (§§ 210 ff.): "virtuell", weil sie nicht durch eine einleitende Partikel markiert sind. Für unseren Spruch müssen wir einen "virtuellen Bedingungssatz" (§ 216) annehmen:

"(Solange) Atem im Leib ist, gehen die Füße."

Die Bedeutung ist offensichtlich: Solange man (noch) lebt, kann man etwas tun.

Der Spruch stammt aus der Chronik des Prinzen und Hohepriesters Osorkon, die im Bubastidentor in Karnak angebracht ist, und zwar aus dem Teil B mit Datum Jahr 12 des Pharao Takeloth II. bis Jahr 3 von Schoschenk III. (22. Dyn., 9. Jahrhundert v.Chr.). Die Abbildung: The Epigraphic Survey, Reliefs and Inscriptions at Karnak, vol. III: The Bubastite Portal, Chicago, 19541, Tafel 21, Sp. 8. Diese Inschriften wurden bearbeitet von: Ricardo A. Caminos, The Chronicle of Prince Osorkon, Roma, 1958, die bis heute unübertroffen ist.

Unsere Stelle steht im folgenden Passus (§ 134):

Zitat:
Thereupon this governor of Upper Egypt said to his officials, friends (...) they have ceased being loyal to him in my time. You shall not fight, because (your fighting) would be the death of him. While there is breath in the body the feet walk. The temples are in distress (...)

Man sieht, wie der Spruch den eigentlichen Gedankengang unterbricht und in allgemeiner Form die Situation beschreibt und kommentiert.

Caminos notiert (§ 136): "Is this an aphorism?" und verweist auf eine ähnliche Stelle bei Cicero, Epistolae ad Atticum, wo es heißt: "Dum spiro spero" (Solange ich atme, hoffe ich). Im Deutschen haben wir auch die Redensart: "Die Hoffnung stirbt zuletzt." Ist das in etwa der Sinn des ägyptischen Sprichworts?


Besinnliche Festtage! Nach Weihnachten geht es weiter ...

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 24.12.2019 um 09:41:05


1: https://oi.uchicago.edu/research/publications/oip/reliefs-and-inscriptions-karnak-volume-iii-bubastite-portal


21) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 27.12.2019 um 13:05:18 - Anhang: Sprichwort_05.jpg

Hallo,

in einem hieratischen Papyrus findet man folgendes:



Der kleine Kreis am Ende ist ein "Verspunkt": ein roter Punkt am oberen Rand der Zeile in manchen Handschriften. Sie stehen nur am Ende von Haupt- oder Nebensätzen und gehören in keinem Fall zum Text. (Lexikon der Ägyptologie, Bd. VI, Sp. 1017-1018, Stichwort: "Verspunkte")

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 24.12.2019 um 11:42:28


22) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 28.12.2019 um 04:16:10

Hallo!

Versteckten Text anzeigen...
n hAb.n tw mAj m wp(w).t

Nicht sendet man einen Löwen mit einer Botschaft aus.

Analog in Deutsch: Man mache den Bock nicht zum Gärtner

> Antwort auf Beitrag vom: 27.12.2019 um 13:05:18


23) Re: Altägyptische Sprichwörter
 David am 28.12.2019 um 10:13:39

Guten Morgen,

Versteckten Text anzeigen...
n(j) hAb.n.tw mAj m wp(w).t

"Ein Löwe kann nicht mit einer Botschaft ausgesandt werden."

Die Endung .tw deutet für mich auf einen Passiv hin. hAb.n ist ein Verb im Perfekt, das negiert auch ein Unvermögen ausdrücken kann, also "etwas nicht können".


Gruß,
David



> Antwort auf Beitrag vom: 27.12.2019 um 13:05:18


24) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 29.12.2019 um 11:34:26

Hallo, Leute,

da kann man nur noch auf ein paar Feinheiten hinweisen.

Versteckten Text anzeigen...
.tw ist Passivelement, kann aber auch als indefinites Pronomen "man" angesehen werden. Dementsprechend gibt es zwei Übersetzungsmöglichkeiten, die auch in diesem Fall realisiert wurden.

Zum n sDm.n=f bemerkt Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, 1957, § 418:

Zitat:
A broad survey shows that the construction n sDm.n=f is common in characterizations, statements of custom, and generalizations of all kinds.

Das ist offensichtlich auch hier der Fall, denn es wird kein realer Sachverhalt angesprochen, sondern eine Verallgemeinerung im übertragenen Sinn.

David hat angesprochen, dass diese Konstruktion auch ein "Unvermögen" ausdrücken kann und hat den Satz dementsprechend übersetzt. Zu dieser Frage hat sich Gardiner auch geäußert (im gleichen §):

Zitat:
it will often be found that a possible, or even the best, rendering for n sDm.n=f is 'he cannot', 'could not', or 'will not be able to hear'. In such renderings, however, an English standpoint is substituted for the Egyptian; English affirms the impossibility of the act, while Egyptian merely states that over a contemplated period it does not occur.

Das gleiche gilt natürlich auch im Deutschen.


Auch ohne den Kontext zu kennen, bemerkt man die Auffassung, dass ein Löwe als Bote wohl eine "Fehlbesetzung" ist.

Der Satz wurde der "Loyalistischen Lehre" entnommen, ein Werk, dass der Ägyptologe Georges Posener (1906-1988) in mühevoller Kleinarbeit aus einer Stele, drei Papyri, einem Holztäfelchen sowie 65 Ostraka rekonstruiert hat (L'enseignement loyaliste, Genève, 1976). Dieser Passus steht in dem Papyrus Paris, Louvre, Inv.-Nr. E 48641. Die Louvre-Datenbank gibt nur den medizinischen Text an, der auf der einen Seite steht, nicht aber den Auszug aus der "Loyalistischen Lehre" auf der anderen Seite. Was sie als Rückseite ("verso") bezeichnet, gilt bei Posener als Vorderseite ("recto"). Etwas verwirrend, finde ich.

Zum Kontext gebe ich die Übersetzung von Hellmut Brunner, Altägyptische Weisheit. Lehren für das Leben, Zürich / München, 1988, S. 182-183 an:

Zitat:
(§ 10) Die Werktätigen sind es, die die Nahrung schaffen.
Ist das Haus leer (von Dienern), dann wackeln seine Fundamente,
aber ihr Lärmen läßt die Mauern feststehen.
Wer viele Leute hat, kann bis Tagesanbruch schlafen,
aber es gibt keinen Schlummer für den, der allein ist.
Man erteilt einem Löwen keinen Auftrag,
kein Herdentier sperrt sich selbst von der Koppel aus,
es würde brüllen wie ein durstiges Tier abseits vom Brunnen.

Brunner hat den Satz aktivisch mit dem indefiniten Pronomen "man" übersetzt. Posener hingegen schrieb: "Le lion n'est pas envoyé en mission." ("Der Löwe wird nicht mit einem Auftrag geschickt."; aus der oben angegebenen Veröffentlichung, S. 38), also als Passivkonstruktion.

Was kann man mit diesem Satz gemeint sein? Posener verweist auf eine ähnliche Passage in der in etwa zeitgenössischen "Lehre des Cheti" (ebenfalls nach Brunner, a.a.O., S. 159):

Zitat:
Nie habe ich einen Bildhauer bei einer (amtlichen) Sendung gesehen,
noch einen Goldschmied, der ausgeschickt worden wäre.

In diesem Text geht es um die Vorzüge und Vorteile der Schreibertätigkeit im Vergleich zu anderen Berufen. Der Schreiber "wird geschickt, um Aufträge auszuführen" und - wie der Text anmerkt - "noch ein Kind", also schon in der Ausbildung. Bildhauer und Goldschmiede sind für diese Art von Tätigkeiten nicht qualifiziert. - Und auch kein Löwe!

Auch in Ägypten galt der Löwe als "König der Tiere". Entsprechend wird der Pharao mit dem Löwen verglichen oder gar als "Löwe" bezeichnet. Es sind dessen Eigenschaften wie Mut, Stärke und Wut, die diesen Vergleich herbeigeführt haben. (Hermann Grapow, Die bildlichen Ausdrücke des Ägyptischen, Darmstadt, 1983 (Nachdruck), S. 69-73)

Ist der Löwe als Bote also "überqualifiziert"? Sehen wir uns noch einmal den Kontext an: "es gibt keinen Schlummer für den, der allein ist". So heißt es in viel späterer, griechischer Überlieferung: "Manetho says in his Criticism of Herodotus that the lion never sleeps." (nach W.G. Waddell, Manetho, Cambridge / London, 2004 (Nachdruck), S. 205) Ähnlich äußert sich auch Horapollon (Horapollo. Zwei Bücher über die Hieroglyphen, Erlangen, 1997, S. 57):

Zitat:
Einen wachsamen und besorgten Menschen, oder auch einen Wächter zeigen sie [die Ägypter] durch das Bild eines Löwenhauptes. Weil der Löwe die Augen schließt, während er wacht, und sie offenhält, wenn er schläft, sodaß er deswegen das Zeichen des Wachens und des Wachthabens ist.

Es wird auch spekuliert, ob mAA "sehen" und mAj "Löwe" im Zusammenhang stehen.

Diese Überlegungen haben Brunner zum folgenden Kommentar geführt (a.a.O., S. 457):

Zitat:
Diesem mekrwürdigen Sprichwort liegt der Glaube zugrunde, daß der Löwe nicht schläft (so eine griechisch-ägyptische Überlieferung) und daß man ihm deshalb, trotz seiner Kraft, nicht trauen könne.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zum Verfasser der "Loyalistischen Lehre": "so hat kein Manuskript den Namen des Verfassers bewahrt" (Brunner, a.a.O., S. 178). Das hat sich inzwischen geändert: So wurde bei Grabungsarbeiten im Grab N13.1 in Assiut ein Graffito entdeckt, das diesen Verfasser nennt: Kairsu (Ursula Verhoeven, Von der "Loyalistischen Lehre" zur "Lehre des Kairsu". Eine neue Textquelle in Assiut und deren Auswirkungen, in: Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde, Bd. 136, S. 87-98 (2009)2)

Dieser Kairsu, ein Wesir der 12. Dyn., ist wohlbekannt und wurde bereits in einem Thread in diesem Forum3 erwähnt.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 28.12.2019 um 10:13:39


1: http://cartelfr.louvre.fr/cartelfr/visite?srv=car_not_frame&idNotice=3360&langue=fr
2: https://www.academia.edu/12624282/Von_der_Loyalistischen_Lehre_zur_Lehre_des_Kairsu_._Eine_neue_Textquelle_in_Assiut_und_deren_Auswirkungen
3: http://www.aegyptologie.com/forum/cgi-bin/YaBB/YaBB.pl?board=guan&action=display&num=1277844009&pnum=081510183336&start=6#6


25) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 30.12.2019 um 22:37:23 - Anhang: Sprichwort_06.jpg

Hallo, Leute,

etwas knifflig, besonders am Anfang, ist das folgende Sprichwort:



In der Vorlage, die ich verwendet habe (siehe Anhang), sieht das zweite Zeichen mehr wie V1 aus, das ich aber so nicht einordnen kann. Ich habe es durch ein übliches Zeichen ersetzt.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 29.12.2019 um 11:34:26


26) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 31.12.2019 um 13:01:04

Ich würde folgendes Vorschlagen:
Versteckten Text anzeigen...
Transkription: Hw.t Tzm XAy nb=f

Wörter:
Hw.t = "Wirken/Gewirktes" (?/!)
Tzm = "Windhund" (?) Im folgenden mit Hund übersetzt.
XAy = "sich wiedersetzen"
nb=f = "sein Herr"

Daraus leite ich folgende Übersetzung ab:
"Das Gewirkte/Wirken des Tzm-Hundes, es widersetzt sich seinem Herren!"
Oder
"Das Gewirkte/Wirken des Tzm-Hundes widersetzt sich seinem Herren."

Meint man mit dem Tzm-Hund vielleicht Seth? Er tut ja eigentlich nicht das was man ihm sagt!

Wenn der Satz so richtig übersetzt ist, dann würde ich es so deuten, dass das Tier gegen den Willen seines Herren handelt...

Bei der Grammatik möchte ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Ist vielleicht sDm=f und so ne Art Partizip?


> Antwort auf Beitrag vom: 30.12.2019 um 22:37:23


27) Re: Altägyptische Sprichwörter
 David am 31.12.2019 um 15:48:52

Hmm, schwierig. Ich trage mal zusammen, was ich mir so überlegt habe:

Versteckten Text anzeigen...
Hw(j).t(w) Tzm XAy nb=f

XAy ist meiner Meinung nach eine Form des 3ae inf. Verbs XAj. Wegen der Umwandlung j zu y müsste das ein Subjunktiv, eine Relativform oder ein passives Partizip sein. Dann muss Hw(j).t(w) Tzm ein Hauptsatz sein, daher habe ich für das erste Wort keinen Infinitiv, sondern eine Verbalform genommen und da keine Partikel vor dem Verb steht, nehme ich den passiven Subjunktiv an. Für XAy nehme ich dann auch den Subjunktiv an, weil ich keinen sinnvollen Relativsatz formulieren kann, weder aktiv noch passiv. Wenn überhaupt würde ein aktives Partizip Sinn machen ("..., der sich seinem Herrn wiedersetzt..."), aber dazu passt nicht die Stammendung der Verbalform. Damit das ganze mit zwei Subjunktivformen irgendwie Sinn ergibt, sehe ich diesen Satz wie einige Aufgaben zuvor als virtuellen Bedingungssatz an:

"Wenn ein Hund geschlagen wird, dann soll sich sein Herr (dem) widersetzen."


Ich wünsche allen einen guten Rutsch!
David

> Antwort auf Beitrag vom: 30.12.2019 um 22:37:23


28) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 31.12.2019 um 18:43:43

Ja! Stimmt! Jetzt fällt es mir wieder ein! Ich hänge mich an Davids Übersetzung an!😅

> Antwort auf Beitrag vom: 31.12.2019 um 15:48:52


29) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 01.01.2020 um 20:24:00 - Anhang: 3 Anhänge

Hallo, Leute,

willkommen im Neuen Jahr!

Bei diesem Spruch handelt es sich um einen Teil des Spruches 37 aus den Sargtexten (CT I1, 154c). Auf der Webseite des Oriental Institutes, Chicago, findet man auch die anderen Textbände von de Buck, Coffin Texts.

Versteckten Text anzeigen...
Zunächst zur Schreibung des ersten Wortes, bei dem es sich um Hwj "schlagen" handelt. Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, 1957 beschreibt in seiner Zeichenliste für A25 die konventionelle hieroglyphische Umschrift für eine hieratische Zeichengruppe und merkt an: "the explanation of the group is obscure" (S. 445). Er verweist u.a. auf einen Artikel von Georg Möller, Zur Datierung literarischer Handschriften aus der ersten Hälfte des Neuen Reichs, in: ZÄS, Bd. 56 (1920)2, S. 39, wo Möller auf diese hieratische Gruppe eingeht und das Zeichen als einen "hinten verknotete[n] Gurt, den die Hieroglyphe des schlagenden Mannes (...) aufweist," deutet. Das würde de Bucks Umschrift mit V1 vielleicht erklären.

Hwj hier: "Tiere schlagen - eigentlich: sie prügeln" (Wb III, 46.20)
Tsm "Windhund, Hund" (Wb V, 409.13)

Obwohl Hwj einen weiblichen Infinitiv hat (Gardiner, § 299), ist doch das Passivelement .tw anzunehmen; dessen Schreibung nur mit .t belegt ist (Gardiner, § 39). Somit hätten wir für den Anfang:

Hwj.t(w) Tsm
"Der Hund wird geschlagen / geprügelt ..."

Das folgende Wort ist richtig identifiziert als

XAj "sich jemandem widersetzen" (Wb III, 361.6) - Das Wb kennt es nur aus den Pyramidentexten; die Sargtexte konnten seinerzeit noch nicht verzettelt werden.

Für die Form XAy wurde das perfektische passive Partizip vorgeschlagen. In der Tat heißt es auch bei Gardiner, § 361 zu den Verben 3ae inf.: "The ending -y is characteristic of all genders and numbers". Jedoch ist auch eine Deutung als perfektisches aktives Partizip möglich - und aus inhaltlichen Gründen vorzuziehen. Gardiner, § 359 führt zu diesem Partizip aus: "As a rule no ending is shown (...) Nevertheless sporadic writings point to the existence of a flexional ending -w or -y". Vielleicht trifft aber auch ein Argument im selben Paragraphen zu, dass er zu einem Beispiel pAyw "which once did" anführt: "in this particular instance, however, the y may be due merely to the A of the stem, the change of the A into y being frequent."

Der zweite Teil lautet dann also:

XAy nb=f
"der sich seinem Herrn widersetzt."

R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts, Bd. I, 1973, S. 28-29:

Zitat:
The dog which thwarts its master is beaten.(21)

(21) Doubtless a true aphorism, but it is not clear what this saying is doing here, unless it is to hint at the fate of him who disobeys Osiris.

Harco Willems, The Social and Ritual Context of a Mortuary Liturgy of the Middle Kingdom (CT Spells 30-41), in: Harco Willems (ed.), Social Aspects of Funerary Culture in the Egyptian Old and Middle Kingdoms, 2001, S. 253-372 bespricht diese Stelle auf S. 309-310:

Zitat:
(But) may the dog which thwarts its master be beaten. (230)

(230) I assume that this is a metaphor introducing the topic of the treatment of the enemies of the deceased, which takes up the rest of the spell.

Es ist jetzt angebracht, auf den Kontext einzugehen. Ich zitiere dabei die Übersetzung von Jan Assmann, Andrea Kucharek, Ägyptische Religion. Totenliteratur, Frankfurt am Main / Leipzig, 2008, S. 232:

Zitat:
[Schlußtext]
Sei gegrüßt, Osiris in Busiris,
in deiner Würde des Stiers des Westens!
Siehe, dieser NN hier ist neben dir!
Mögest Du seine Stellung befördern, seine Würde befestigen,
seine Worte hören, seinen Kummer vertreiben,
mögest du ihn rechtfertigen gegen seine Feinde,
und möge sein Arm stark sein in deinem Tribunal,
wenn er eintritt für seine Angehörigen [- welche ich bin -] auf Erden.

"Die Stärke des Osiris!" sagt man dazu.
"Geschlagen ist der Hund, der sich seinem Herrn widersetzt hat."

[Anwendung als Totenbeschwörung gegen einen Feind]
(...)

nb "der Herr" ist mit A40 determiniert, ist also ein "göttlicher Herr", das passt zu Osiris. Der Hund ist eigentlich "für den Ägypter das typische Bild des Gehorsams" (Hermann Grapow, Die bildlichen Ausdrücke des Ägyptischen, Darmstadt, 1983 (Nachdruck), S. 75-76; er gibt keine Gegenbeispiele an. Mir ist auch kein Vergleich des Hundes mit Seth bekannt. Dennoch ist offensichtlich, dass hier das Schicksal der Feinde des Osiris angesprochen wird.


Viele Grüße,
Michael Tilgner






> Antwort auf Beitrag vom: 31.12.2019 um 18:43:43


1: https://oi.uchicago.edu/research/publications/oip/egyptian-coffin-texts-1-texts-spells-1-75
2: https://archive.org/details/zeitschriftfr56brug

||


30) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 02.01.2020 um 10:46:58

Ich habe an den roten Djesemhund gedacht, deshalb habe ich den sich wiedersetzenden Hund aufgrund meiner Fehlübersetzung mit Seth gleichsetzen wollen.
Wegen dem Gottesdeterminativ habe ich eben auch an einen göttlichen Herren gedacht, was mich eben auch nochmal "bestätigt" hat.

Aber danke für die Übersetzung.
Hab mich jetzt mal in dieses Pseudopartizip eingelesen, mal sehen, ob ich es das nächste Mal hinbekomme.

Frohes Neues!

> Antwort auf Beitrag vom: 01.01.2020 um 20:24:00


31) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 25.01.2020 um 12:04:11

Hallo, ich wollte mal fragen, wann es hier weitergeht.

> Antwort auf Beitrag vom: 02.01.2020 um 10:46:58


32) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 25.01.2020 um 13:31:01

Lieber Peter,

hier kann sich jeder - im vorgegebenen Rahmen - beteiligen. Wenn es nicht so recht weitergeht, liegt es vielleicht daran, dass keiner etwas postet. Es kann ja nicht nur an einer Person hängen.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 25.01.2020 um 12:04:11


33) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 30.01.2020 um 23:45:59 - Anhang: Sprichwort_07.jpg

Hallo,

nun, ich habe doch noch einen Text gefunden, in dem sich auch ein Sprichwort befindet.






Viel Spaß beim Übersetzen! (Im Anhang die hieroglyphische Umschrift eines hieratischen Textes.)

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 25.01.2020 um 13:31:01


34) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 31.01.2020 um 17:32:20

Hey,

sorry, wenn das irgendwie fordernd oder so rüber kam, ich dachte eigentlich du machst das extra für das Forum, aber wenn ich was finde kann ich es gerne mal posten.

Nun zum Sprichwort, was echt schwer aussieht:

Transkription:
Versteckten Text anzeigen...
(1) zAw tkn nHH mri wAH
(2) mj Dd TAw pw n fnD jrj.t mAa.t


Übersetzung:
Versteckten Text anzeigen...
(1) Wache/Hüte und die Ewigkeit wird nahe sein/sich nähern. Liebe die Freundlichkeit(?)/Beständikeit(?),
(2)wie (sie/)es gesagt wird.(/denn) Es ist der Wind/Atem der Nase, der die Ma'at schafft.


Grammatik (hier lehne ich mich lieber nicht zu weit aus dem Fenster, da ich noch nicht alle Formen perfekt beherrsche.):

Versteckten Text anzeigen...
(1) Ich erkenne hier 2x einen Imperativ und einen Subjunktiv bei tkn.
(2) Hier erkenne ich einen Subjunktiv(?) und einen pw-Nominalsatz mit Resultativ(?). Ob dort wörtliche Rede enthalten ist, kann ich nicht sagen.


Wie gesagt, bin noch nicht so gut und bin deshalb auf Übungen angewiesen.

> Antwort auf Beitrag vom: 30.01.2020 um 23:45:59


35) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 31.01.2020 um 21:25:49

Hallo!

Peter, ja, echt nicht einfach.
Michael erwähnte ja schon, dass Sprichwörter oft etwas "komprimiert" sind, das scheint auch hier der Fall zu sein.

Meine Einteilung weicht ab von der Zeilenvorgabe:

Umschrift:
Versteckten Text anzeigen...
sAw tkn nHH
mrj wAH mj Dd TAw pw n fnd jri.t mAa.t


Übersetzungsversuch:
Versteckten Text anzeigen...
Wehre ab, dass die Ewigkeit sich nähert!
Wünsche zu überdauern wie es heißt: Die Atemluft für die Nase ist, die Maat (= Rechtes) zu tun.


Gruß, Seschen

> Antwort auf Beitrag vom: 31.01.2020 um 17:32:20


36) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 31.01.2020 um 22:56:36

Wieso Versteckten Text anzeigen...
Ma'at zu tun?

Könnte man das als parallele Übersetzung sehen?

> Antwort auf Beitrag vom: 31.01.2020 um 21:25:49


37) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 01.02.2020 um 12:07:57

Hallo!

Siehe Versteckten Text anzeigen...
Was ist eine "parallele Übersetzung"

> Antwort auf Beitrag vom: 31.01.2020 um 22:56:36


1: http://aaew.bbaw.de/dza/21/21090000/21093900.gif


38) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 01.02.2020 um 12:12:18

Eine Übersetzung, die als Alternative steht.
Deine versteh ich nicht.

> Antwort auf Beitrag vom: 01.02.2020 um 12:07:57


39) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 01.02.2020 um 13:38:41 - Anhang: Hieroglyphen_im_Grab_des_Tutanchamun.pdf

Hallo, Leute,

"echt schwer" - aber doch gut gelöst!

sAw tkn nHH
"Hüte dich vor dem Herannahen der Ewigkeit!"

sAw "Hüte dich vor ..." (fast immer im Imperativ; ohne reflexives Pronomen; mit Objekt) (Wb III, 417.10)
Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, 1957 bespricht speziell diesen Imperativ in § 338,3 als Ausdruck für "beware lest" (hüte dich vor ..., dass nicht ...) und kommt zum Ergebnis:

Zitat:
As to the construction of these various phrases, sAw alone seems to be followed by sDm=f, which is sometimes replaced by a noun or an infinitive.

tkn "(Ewigkeit, Fest) naht heran" (Wb V, 333.14)

Was ist gemeint? Jan Assmann im Lexikon der Ägyptologie, Bd. II. Sp. 47-54, hier Sp. 47:

Zitat:
Für die Idee eines Lebens nach dem Tode und eines Handelns "sub specie aeternitate" [unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit] wird nHH verwendet; den Gegensatz zu aHaw ("Lebenszeit") bildet nHH, nicht D.t.

Mit dem "Herannahen der Ewigkeit" ist also nach ägyptischem Verständnis der Tod eines Menschen als Übergang in die (ewige) jenseitige Existenz gemeint. Dazu passt eine Übersetzung wie "wehre ab, dass sich die Ewigkeit nähert" nicht, da dieses unvermeidlich ist. Dass es sich bei tkn um einen Infinitiv handelt, ist daher vorzuziehen.

mr wAH
"Begehre / wünsche zu dauern ..."

mrj hier "(mit folgendem Infinitiv) etwas zu tun begehren" (Wb II, 100.1) - Nach Gardiner, § 336 (zum Imperativ von 3ae inf.): "A final semi-vowel is never shown ...".
wAH "dauern" (Wb I, 255). Im Zusammenhang mit Personen wird wAH tp tA "auf Erden weilen" angegeben (Wb I, 255.1). wAH ist Infinitiv als Objekt von mrj (Gardiner, § 303).

Dieser Passus bezieht sich also auf die diesseitige Existenz, etwa im Sinne "begehre ein langes Leben".

mj Dd
"wie gesagt wird: ..."

Welche Form Dd ist, ist schwer zu sagen: Vielleicht Infinitiv? "wie das Sprechen (von)" - oder perfektisches passives Partizip? Normalerweise zeigt Dd in diesem Fall eine Verdopplung des zweiten Konsonanten; es müsste Ddd.t "das, was gesagt wird / wurde" heißen, es gibt aber auch Belege ohne Verdopplung Dd.t (Gardiner, § 360). Die feminine Form, oft mit Pluralstrichen, wird verwendet, um abstrakte Ideen ohne vorhergehendes Bezugswort auszudrücken, wie z.B. jrr.t "das, was getan wird" oder xpr.t "das, was geschehen ist" (Gardiner, § 354; siehe auch Wb V, 624.13 und .16). Wie auch immer: Damit ist das folgende als Zitat oder Sprichwort angekündigt.

TAw pw n fnD jr.t mAa.t
"Atem der Nase ist es, (nämlich) das Rechte tun"

tAw "Atem (der Nase)" (Wb V, 351.14)
fnD "Nase" (Wb I, 577.11-12)

Die lebensnotwendige Bedeutung der Nase wird in ägyptischen Texten oft angesprochen und auch in Reliefs gezeigt; bekannt sind die Strahlen des Aton, die ein Anchzeichen an die Nasen von Echnaton und Nofretete halten. Oder das Abschlagen der Nasen an Statuen, um die Weiterexistenz der dargestellten Person zu verhindern.

Der Infinitiv von jrj ist jr.t (Gardiner, § 299, 3ae inf.).

mAa.t "das Rechte" (Wb II, 18.12) jrj mAa.t "das Rechte tun, tugendhaft handeln" (Wb II, 20.3)

In diesem Satz sind Subjekt und Prädikat beide Substantive (der Infinitiv substantivisch gebraucht) (Gardiner, § 130).

Etwas lockerer übersetzt: "Das Rechte tun ist Atem für die Nase."

Zusammen mit dem vorangehenden Satz ist es eine Variation häufiger geäußerter Sentenzen, z.B.:



Ein nachträgliche Übersetzungsübung!

Nachtrag: Auch dieses Sprichwort stammt aus der "Geschichte vom Beredten Bauern", und zwar aus dem hieratischen Papyrus Berlin 3023 (als Quelle der Geschichte mit "B1" bezeichnet), Zeile 145-146 (neue Zählung nach Parkinson: 176-177). Die beigefügte hieroglyphische Umschrift stammt aus R. B. Parkinson, The Tale of the Eloquent Peasant, Oxford, 1991, S. 28.

Eine weitere Zusatzaufgabe: Im Grab des Tutanchamun begrüßt eine Göttin den Pharao. Wer ist es? Was wird von ihr ausgesagt? Besonders interessiert der Ausschnitt auf der zweiten Seite der angehängten Datei.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 31.01.2020 um 22:56:36


40) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 01.02.2020 um 20:09:31

Oh! Eine Substantivierung von tkn
hatte ich gar nicht im Sinn.
Das mit der Vorstellung ist dann ja logisch.

Zur Nase fällt mir auch TB 125 ein.
Da ist ja Thot der, durch dessen Schnabel man atmet. Bei der Nase ist man dann bestimmt extrem lebendig. Hihi.

Zu deinem Satz:

Transkription:
Versteckten Text anzeigen...
wAH z(i) aqA=f mAa.t


Übersetzung:
Versteckten Text anzeigen...
Dauern wird ein/der Mann, der "richtig" an Ma'at ist.


Grammatik:
Versteckten Text anzeigen...
Subjunktiv und ein Partizip!?


Tutanchamun:

Transkription:

Versteckten Text anzeigen...
nw.t nb.t-p.t Hnw.t-nTr.w jri=s njnj ms.n=s

dj=s snb anx r fnD

anx.tj D.t


Übersetzung:

Versteckten Text anzeigen...
Nut, die Herrin des Himmels, die "Frau/Mutter/Gattin/Herrin" (?) (Ich bevorzuge das 1. Oder das letzte) der Götter, sie macht NiNi für den, den sie geboren hat, sie möge Gesundheit und Leben an deine Nase geben. Mögest du ewig leben!


Grammatik:

Versteckten Text anzeigen...
Name+"Titel/Beinamen"...; Subjunktiv; Resultativ
Änderung: Mir kam die 1. Übersetzung spanisch vor und bin im Wörterbuch auf so eine Art Begrüßunhsbewegung namens Nini gestoßen, aber die ist sehr komisch geschrieben.


Antwort:
Versteckten Text anzeigen...
Das ist die Himmelsgöttin Nut, die Mutter der "Götter".
Sie gibt dort Tutanchamun Leben und Gesundheit, damit er ewig leben kann.


> Antwort auf Beitrag vom: 01.02.2020 um 13:38:41


41) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 02.02.2020 um 00:42:51

Hallo!


wAH z aqA=f mAa.t

Versteckten Text anzeigen...
wAH - dauern
z - Mann
aqA - richtig sein, richtig machen *
=f - er
mAa.t - Maat (Rechtes; Wahrheit; Gerechtigkeit)

* Im TLA - und nur dort - in einer Belegstelle... Versteckten Text anzeigen...
wird aqA auch übersetzt mit "sich richten nach" .


Dann klingt auch die (TLA)-Übersetzung nicht holprig!
Versteckten Text anzeigen...
Ein Mann bleibt bestehen (wenn) er sich nach der Maat richtet.

pPrisse = pBN 186-194, Die Lehre des Ptahhotep (Zeile [10,4])
Aber, "richtig sein/machen" und "sich richten nach" sind für mich nicht sinngleich...)


> Antwort auf Beitrag vom: 01.02.2020 um 13:38:41


42) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 02.02.2020 um 01:22:00

Die Zusatzaufgabe:

Zitat:
Im Grab des Tutanchamun begrüßt eine Göttin den Pharao. Wer ist es? Was wird von ihr ausgesagt? Besonders interessiert der Ausschnitt auf der zweiten Seite der angehängten Datei.

Beischrift zur Göttin:
Versteckten Text anzeigen...
Nw.t nb.t p.t Hn.wt-nTr.w
jr=s njnj n ms.n=s
dj=s snb anx
r fnD=k anx.tj D.t


Nut, die Herrin des Himmels, Herrin (/Gebieterin) der Götter,
sie macht Nini *  für den, den sie geboren hat.
Sie gibt Gesundheit (und) Leben
an deine Nase. Du mögest ewig leben!
*(eine Begrüßungsgeste)


Beischrift zum König:
Versteckten Text anzeigen...
nb tA.wj (nb xpr.w-Ra)| dj anx D.t nHH

Der Herr der Beiden Länder "Herr an Gestalten, ein Re", dem Leben gegeben sei, immer und ewiglich.


Gruß, Seschen

> Antwort auf Beitrag vom: 01.02.2020 um 13:38:41


43) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 02.02.2020 um 13:00:09 - Anhang: 22029460.jpg

Hallo, Leute,

zunächst zum Beispielsatz:

Versteckten Text anzeigen...
Ja, Seschen hat recht: Die Stelle stammt aus der "Lehre des Ptahhotep" (Version Papyrus Prisse). Es handelt sich um einen Satz aus der 19. Maxime, in der es um die Habgier geht; er wird in ägyptologischen Bearbeitungen mit der Nr. 312 gekennzeichnet.

Es sind genau genommen zwei Sätze; der erste ist vom Typ (imperfektisches) sDm=f: "Ein Mann dauert / besteht." (soll wohl heißen: auf Erden, im Diesseits)

Der zweite Satz wird auch oft zum gleichen Satztyp gezählt.

aqA "richtig machen, etwas richtig benutzen" (Wb I, 233.10), so dass wir wörtlich haben: "Er macht / benutzt die Maat richtig" o.ä.

Verschiedene Übersetzer haben versucht, diesen Satz dem Leser etwas näherzubringen.

Erik Hornung, Altägyptische Dichtung, Stuttgart, 1996, S. 68:
Zitat:
(Nur) der Mann dauert, der sich an Gerechtigkeit hält.

Jan Assmann, Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München, 1990, S. 88:
Zitat:
Fortdauert (hingegen) der Mann, der der Ma'at entspricht.

Dieter Kurth, Altägyptische Maximen für Manager, Darmstadt, 1999, S. 34:
Zitat:
Bestehen wird der Mann, der sich an Wahrheit und Gerechtigkeit hält.

R. B. Parkinson, The Tale of Sinuhe and Other Ancient Egyptian Poems 1940-1640 BC, Oxford, 1998, S. 256:
Zitat:
A man will last when he uses Truth aright.

Die letztgenannte Fassung kommt der wörtlichen am nächsten.

Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit, den zweiten Satz zu übersetzen, indem man aqA als Substantiv auffasst: "die Richtigkeit, das Richtige; auch im ethischen Sinne: Richtschnur u.ä." (Wb I, 233.16-17) Und so hat es auch der Wörterbuch-Bearbeiter gesehen (DZA 22.029.460). Dann hätte man einen nominalen Nominalsatz: "Seine Richtschnur (ist) die Maat."

Aus diesem Verständnis "Richtschnur" ist vielleicht die Übersetzung "sich halten an" entstanden.

Es fällt auf, dass der zweite Teil als Nebensatz übersetzt wird. Das ist der sog. "virtuelle" Nebensatz, ein Satz ohne einleitende Partikel (Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, 1957, §§ 182-183), hier ein "virtueller" Zeitsatz (mit verbalem Prädikat, § 212).


Was die Inschrift aus dem Tutanchamun-Grab betrifft, wäre eine Erläuterung an der einen oder anderen Stelle hilfreich, um zu verstehen, wie Ihr zu Eurer Übersetzung gekommen seid.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 02.02.2020 um 01:22:00


44) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 02.02.2020 um 20:21:44

Hallo!

Vorerst nicht  Michaels Aufforderung folgend, hätte ich noch eine Ergänzung zu njnj:

Die Nini-Begrüßung1, von Wolfhart Westendorf
(ab Seite 351)

Lesenswert!

Gruß, Seschen

> Antwort auf Beitrag vom: 02.02.2020 um 13:00:09


1: https://books.google.de/books?id=fq6GPLNDkR0C&pg=PA351&lpg=PA351&dq=der+gru%C3%9F+nini&source=bl&ots=1FOmFadIjS&sig=ACfU3U0uVMAmmkeWJ_rG0-5xIycgjQEZFA&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiD9qbaxbPnAhXww8QBHUl8DLQQ6AEwBnoECAkQAQ#v=onepage&q=der%20gru%C3%9F%20nini&f=false


45) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Seschen am 03.02.2020 um 17:43:23

Hallo!

Michael möchte Erläuterungen zur Übersetzung...

Zur Beischrift der Göttin:
Versteckten Text anzeigen...
anx.tj D.t - Mögest du ewig leben! / Du mögest ewig leben!

anx.tj ist ein Pseudopartizip, verwendet u.a. für Wünsche (Gardiner Grammar, § 313).

Zitat Michael an anderer Stelle:
Zitat:
Hier ist die Doppeldeutigkeit der Endung .tj beim Pseudopartizip zu beachten: Zum einen steht sie für die 2. Person Singular (maskulin und feminin) wie auch für die 3. Person Singular feminin, d.h. anx.tj bedeutet sowohl "du mögest leben" wie auch "sie möge leben".

Hier spricht die Göttin über den König, daher ist anx.tj ein Pseudopartizip 2. Person, maskulin, Singular: "du mögest leben".


Gruß, Seschen

> Antwort auf Beitrag vom: 02.02.2020 um 13:00:09


46) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 03.02.2020 um 21:38:31

Ich habe die Grammatik aktualisiert!
Weiß nicht, was ich noch erklären soll...

> Antwort auf Beitrag vom: 02.02.2020 um 13:00:09


47) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Michael Tilgner am 03.02.2020 um 22:06:33 - Anhang: Nini-Gruss.pdf

Hallo,

Eure Umschriften und Übersetzungen sind fast gleich.

@Peter

An der einen Stelle fehlt die Präposition n; es muss heißen: n ms.n=s. Am Ende fehlt ein Suffixpronomen; richtig ist: fnD=k "deine Nase". Wahrscheinlich nur Flüchtigkeitsfehler.

@Seschen

Zitat:
Michael möchte Erläuterungen zur Übersetzung...

Jo!

@Alle

Im Satz wird das Subjekt "Nut", inklusive Epitheta (Beiworte) an den Anfang gesetzt, und im Satz mit dem Suffixpronomen wieder aufgenommen. Englisch heißt diese Erscheinung "anticipatory emphasis" und wird für Verbalsätze bei Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, 1957, § 148 abgehandelt. Andere Fälle werden in weiteren Paragraphen besprochen.

Zur Nini-Geste: Da hat Seschen so den ziemlich einzigen Artikel ausgegraben, der sich speziell mit diesem Thema befasst. Es wird aber auch ausführlich diskutiert in: Brigitte Dominicus, Gesten und Gebärden in Darstellungen des Alten und Mittleren Reiches, Heidelberg, 1993, S. 38-58. Abweichend vom Titel werden auch Text- und Bildzeugnisse des Neuen Reiches berücksichtigt.

Westendorf kommt in seiner Studie zum Ergebnis (S. 358-359):
Zitat:
Die njnj-Begrüßung ist also mit anderen Worten nichts anderes als die "Hochzeit" der himmlischen Mutter mit ihrem zu ihr (in ihren Leib) zurückkehrenden Sohn, was auf den Sonnengott ebenso zutrifft wie auf den König (bzw. Osiris). Und deutlich ist diese Szene bei Tutanchamun ... abzulesen, sofern man bemüht ist, die symbolischen Formen der ägyptischen Kunst, mit der sexuelle Handlungen umschrieben werden, zu "lesen": Der König, der mit seiner Keule in der Hand der Muttergattin gegenübertritt, und die Mutter, die auf ihren Händen das "Wasser empfängt", ist die bildliche Umsetzung der Idee, daß die Mutter ihren Sohn "empfängt".

In ihrer sehr eingehenden Analyse, die ich hier nicht referieren kann, kommentiert Dominicus dies mit den Worten (S. 49):
Zitat:
Eine "'Empfängnis' im sexuellen Sinne", wie sie von W. Westendorf erwogen wird (...), ist weder den Darstellungen noch den Beischriften zu entnehmen.

Sie kommt am Schluss ihrer Betrachtungen auf den ursprünglichen Vorschlag von Emma Brunner-Traut zurück, den diese im Lexikon der Ägypologie, Bd. IV, Sp. 509-511 vorgelegt hat. Dominicus schreibt (S. 58):
Zitat:
Es wurde gezeigt, daß das Verbum njnj seinen Ursprung in dem Grußwort n=j n=j 'zu mir, zu mir' hat und 'grüßen, willkommen heißen (mit ausgestreckten Armen)' o.ä. heißt. Die 'Wasserlinien' auf den ausgestreckten Händen der Grüßenden in Darstellung und Determinativ sind wahrscheinlich nichts anderes als eine Schreibung von njnj. Die Belege finden sich vom AR [Alten Reich] bis in röm. Zeit.


Ein weiterer erklärungsbedürftiger Punkt ist der Passus n ms.n=s "für den, den sie geboren hat". Was ist das für eine grammatische Form?

ms n "geboren von ..." (Wb II, 137.12)

Das erklärt aber noch nicht die Form. Es handelt sich um die sog. sDm(w).n=f-Relativform (bei Allen als "perfect relative form" bezeichnet). Die Relativformen sind - vereinfacht gesprochen - als Relativsätze zu sehen, deren Subjekt vom Bezugswort abweicht. Einzelheiten lese man in den Grammatiken nach. Bei Gardiners Formenübersicht für die genannte Relativform (§ 387, 3) heißt es:
Zitat:
So too jr.n und ms.n are to be taken as relative forms owing to the invariable absence of the -y characteristic of the perf. pass. part. in 3ae inf.

Noch deutlicher wird James P. Allen, Middle Egyptian, 2nd rev. ed., Cambridge, 2010, Abschnitt 24.9:
Zitat:
The clauses jr.n X and ms.n Y mean "whom X made" and "to whom Y gave birth," but they are normally translated "begotten of" and "born of" because the length of the phrases that serve as their subject usually makes a literal translation somewhat clumsy in English.

Zum Abschluss muss man noch erwähnen, dass Relativformen wie die Partizipien auch ohne Bezugswort, also substantiviert, verwendet werden können (Gardiner, § 381).

Die Götterbezeichnung ms.n Nw.t "Den Nut geboren hat" hat auch Eingang in das Lexikon der Götter und Götterbezeichnungen gefunden (LGG III, 404f.).

Zum abschließenden Pseudopartizip anx.tj hat sich Seschen schon geäußert.

Viele Grüße,
Michael Tilgner

> Antwort auf Beitrag vom: 03.02.2020 um 17:43:23


48) Re: Altägyptische Sprichwörter
 Peter am 04.02.2020 um 06:54:15

Oh ja stimmt. Ich musste da schnell schreiben.
Sorry, mein Fehler, aber man sieht ja in der Übersetzung, dass das eigentlich dort steht.

Also ist das praktisch wie nty?

Ich sollte mir wohl echt mal die angesprochenen Bücher zulegen...

> Antwort auf Beitrag vom: 03.02.2020 um 22:06:33