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Re: Krankheit oder Religion? an Jörg, semataui & Karl

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Geschrieben von Jörg Müller am 13. Januar 2001 20:14:34:

Als Antwort auf: Re: Krankheit oder Religion? an Jörg, semataui & Karl geschrieben von Lena am 13. Januar 2001 14:45:37:

>Hallo,
>wie gesagt läßt sich der Grund für Echnaton Darstellungen nur spekulieren, doch was wäre, wenn er an gar keiner Krankheit litt, sondern sich nur aus ästhetischen oder sonstwelchen Gründen so "abnormal" darstellen ließ?
>Schließlich gibt es auch Bildnisse von Nofretete mit langgezogenem Schädel und "Hasenohren" - dagegen aber zum Beispiel ihre berühmte Büste.
>Schließlich ist Geschmack immer relativ. Allein, wenn wir uns alte Gemälde z.B. von Pferden aus dem 15.Jhd. ansehen, werden diese immer mit einem extremen Hirschhals und allzukleinem Kopf dargestellt - für uns (oder mich) ziemlich häßlich, da unrealistisch - für die damaligen Fürsten totschick. Oder allein die moderne Kunst...
>Echnaton hat eine neue Religion eingeführt - warum dann nicht auch noch eine neue Kunstepoche?
>Viele Grüße!
>Lena

Er hat eine neue Kunstepoche eingeführt, die allerdings nur eine Art Intermezzo war.
Wie ich schon schrieb, glaube ich nicht an eine "so entsetzliche Krankheit".
Die Änderung des Kunststiles vollzog sich ja auch nicht plötzlich sondern sozusagen in mehreren Phasen. In der ersten Zeit hielt man sich ja noch an die althergebrachte Darstellungsweise. Auf eine Im zweiten oder dritten Regierungsjahr begann sozusagen Phase 1, die, wenn auch sehr spärlich dokumentiert, so doch zumindest mit einem Reliefblock im Atontempel in Karnak nachweisbar ist. Dies zeigt sich nicht nur in einem andersartigen Königsbild oder in der Thematik, sondern besonders in stilistischen Elementen wie beispielsweise fließenden Linien, in der teilweisen Auflösung der strengen Achsengebundenheit, in einigen Versuchen einer mehr oder weniger räumlichen Darstellungsweise im Flachbild oder in der Verwendung von versenktem Relief in Innenräumen.
Nach dieser Phase 1, die ich mal als Übergangsphase bezeichnen möchte, folgt mit der Phase 2 der extreme Amarna-Stil. Er ist gekennzeichnet durch exzessive Übertreibungen und Verzerrungen einer an der Realität orientierten Kunst, die allerdings wieder sehr schnell eine Stilisierung erfuhr.Diese drückt sich beispielsweise darin aus, dass die Prinzessinnenköpfe nach einem einmal als Prototyp gewähltem Vorbild eines getreulich wiedergegebenen Mädchenkopfes von 4 bis 6 Jahren geformt wurden, unabhängig vom tatsächlichen Alter de4r Mädchen.
Man zweifelt nicht daran, dass Bildnisse des Königs, die ihn in einer krankhaften Häßlichkeit zeigen, weitgehende Ähnlichkeiten mit dem jungen König aufweisen. So sind beispielsweise das in die Länge gezogene Gesicht mit den mandelförmigen Augen und dem hervorspringenden Kinn, aber auch die dünnen Beine mit den (Verzeihung!) weiblich anmutenden Oberschenkeln und der sich vorwölbende Bauch charakteristisch für das Aussehen des Königs. In den Werken dieser Phase sind solche Merkmale in voller Absicht übertrieben und verzerrt wiedergegeben worden.
Nach etwa sieben bis acht Jahren setzte wiederum ein Stilwandel ein und in dieser dritten Phase begann man, auf diese Übertreibungen und Verzerrungen wieder zu verzichten und sich wieder der Kunstauffassung langsam anzunähern, die vor Echnaton Geltung hatte.
Im Begleitheft zur Hildesheimer Ausstellung "Echnaton - Nofretete - Tutanchamun" von 1976 schreibt Hans Wolfgang Müller dazu:
"...Diese Statue sind nicht Abbilder eines menschlichen Individuums. Ihre unnatürlichen Formen sind auch nicht als Anzeichen für eine krankhafte Deformierung zu deuten.....Mit der individuellen menschlichen Erscheinung Amenophis IV. haben diese Statuen nichts gemein. Das vom Künstler geschaffene Bild ist in höchstem Maße von der Wirklichkeit abstrahiert und als Verkörperung der "Idee" über alles Irdische herausgehoben. Der König erscheint als der "Ur- und Schöpfergott", der nach ägyptischer Vorstellung die Funktionen von Vater und Mutter in sich vereint, ein Bild der Göttlichkeit, das sich von den alten Göttern in kraftvoll schaffender Menschengestalt unterscheiden will.
Auch die Formen des Gesichtes müssen von dieser Idee her begriffen werden. Die Absage an die Tradition zeigt sich rein äußerlich im Verzicht auf schön geschwungene Brauenbögen und Schminkstriche, die an keinem Götterbild der 18. Dynastie fehlen. Der Kopf auf übertrieben langem, dünnem und gebogenen Hals, das überlange und schmale Gesicht mit kraftlos hängendem Kinn und fliehendem Profil, die nur schlitzartig geöffneten, schrägstehenden Augen, die sensible lange gerade Nase und die schwellenden Lippen verkehren die Tradition robuster menschlicher Körperschönheit, wie sie die Kunst der unmittelbar vorangegangenen Epoche in manieristischen Formen zur Schau gestellt hatte, in das Gegenteil. Die Glieder sind schlaff und regen sich in den Reliefbildern eifrig nur im Opfer und Preisen des Einzigen Gottes. Der Körper ist das Gefäß ewiger Fruchtbarkeit des Schöpfergottes. Das Anlitz mit dem weltabgewandten, nach Innen gekehrten Blick ist Geist; die sensible Nase das Organ, das die von den Strahlen Atons verliehenen Gaben und die göttliche Inspiration in sich aufnimmt. Die in heftiger Bewegung begriffenen Lippen verkünden die von Aton geoffenbarte Lehre....."

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