Göttin weibliche Komponente des Atum (gemeinsam mit Nebet-Hetep und Iusas)
Gemeinsam mit Nebet-Hetep und Iusas ist sie das weibliche Prinzip der Schöpfung. Obwohl Atum an sich kein weibliches Komplement der Schöpfung benötigte, da er ja der Gott war, "der sich selbst geschaffen hat" (Totenbuch), gab es für die Ägypter nichts Vollständiges aus nur einem Element. Daher wurden ihm drei weibliche Komplemente zur Vollbringung der Schöpfung beigegeben, die sich in drei voneinander unabhängig und dennoch miteinander verbundenen Göttinnen personifiziert wurden.
Während sie in den Totentexten fehlen, werden Iusas und Nebet-Hetepet bereits in den Pyramidentexten erwähnt. Dort wird auch ihr Kultort nördlich von Heliopolis benannt. Weiter werden sie allerdings bis zum Neuen Reich kaum erwähnt. Im Verlauf der 18. Dynastie treten sie dann in Grab- und Tempeldarstellungen in Erscheinung und werden auch textlich erwähnt. Gemeinsam mit Iusas ist sie ebenfalls Tochter des Atum und gleichzeitig auch Mutter von Schu und Tefnut.
Nebet-Hetepet und Iusas werden möglicherweise bis zum Neuen Reich als identisch angesehen und als eine Form der Hathor betrachtet. Etwa zu dieser Zeit, in der diese konkreten Beziehungen zu Atum entstanden, erscheint auch die Göttin Temet, mit der ebenfalls ein weibliches Komplement zu Atum erschaffen wird. Vor der Ramessidenzeit ist sie nicht belegbar, allerdings wird sie in den Chester-Beatty-Papyri mehrfach erwähnt. Wie auch Iusas-Nebet-Hetep gilt sie als Tochter des Atum.
Temet gilt ebenfalls als eine Form der Hathor, speziell der Hathor quadrifons, ist aber ebenso auch in anderen Verbindungen anzutreffen. Eine Stele aus der Zeit Ramses VI. nennt sie mehrfach in einem Kreuzwort-Hymnus für Mut (allerdings sind diese Stellen teilweise erheblich zerstört und dadurch die Zusammenhänge nur schwer zu interpretieren). Allerdings scheint Temet hier eine Form der Mut zu sein, denn in Zeile 61 (vertikal) heißt es von Mut: "[...] in ihrem Namen Temet, die Mächtige". Dominierend bleibt jedoch die Verbindung mit Hathor, in dieser Form übernimmt Temet die Rolle einer Schutzgottheit des Toten und des Osiris und gehört gemeinsam mit Atum und dem Paar Sobek - Sobeket zur den "vier Ach's, diesen Großen, die über Osiris wachen". Von Hathor übernimmt sie auch die Rolle des Sonnenauges und wird mit der Uräusschlange identifiziert. Ihr "trefflicher" Schutz kommt nun ihrem Vater Atum zugute; "vor ihr erzittern die Götter vor Angst".
In einer ihrer seltenen Darstellungen in Edfu erscheint sie gemeinsam mit Atum in archaischer mumienförmiger Gestalt. Vielleicht soll Temet hier trotz ihres späten Erscheinens im ägyptischen Pantheon eine urzeitliche Entstehung zugeschrieben werden. Trotz ihres äußerst seltenen Vorkommens kann man in solchen Belegen den Versuch erkennen, Temet tatsächlich zu einer "großen" Göttin aufzuwerten, oder zumindest dieser Form einer Hathor-Temet schärferes Profil zu verleihen. Durch den Aspekt des Schutzes wird Temet aber vermehrt zu einer Art Funktion, die andere Göttinnen ausüben können, so daß Sachmet "diese Temet" genannt werden kann und "Bastet auch eine Temet ist". Wenn Nephthys in Edfu als "Nephthys-Temet" erscheint, ist diese Verbindung wohl mit "Nephthys, die Beschützerin" zu übersetzen.
Im Grunde sind sie alle drei "drei Aspekte einer einzigen Göttin, die das weibliche Prinzip der Schöpfung personifiziert und daher als keine spezifische oder als Gesamtheitheit der weiblichen Gottheiten Ägyptens betrachtet werden konnte, primär aber im Kreis der Erscheinungsformen der Hathor Gestalt annahm. Man kann sie als eine Göttin Hathor-Nebet-Hetepet-Iusas-Temet betrachten, die für Atum sämtliche weiblichen Rollen spielte: Mutter, Tochter, Frau. Sie haben ihren Ursprung in der Überzeugung, daß trotz des alleinigen Agierens Atums eine weibliche Beteiligung bei der Schöpfung unverzichtbar ist. Die drei Göttinnen entwickelten sich aber nicht zu einer richtigen Partnerin des Atums, wie etwa im Falle von Mut und Amun, da die Idee der eigenen Selbstzeugung und Selbsterzeugung der Welt durch Atum doch noch vordergründig war. Auch blieben die Beziehungen der Göttinnen zu Atum und zueinander - wohl bewußt - stets unklar definiert und unterlagen anscheinend einem ständigen Wandel (ein Dilemma der heliopolitanischen Theologie?), so daß sie für uns kein klares Bild ergeben. Das weibliche Komplement der Schöpfung war im Mythenkreis um Atum immer präsent, ohne aber je eine präzise Gestalt zu erhalten."
weitere Literatur: P. Derchain, Hathor Quadrifons. Recherches sur la syntax d'un mythe égyptien, Istanbul 1972 Osing, "Temet", LÄ VI
Quelle: Refai, H., Nebet-Hetepet, Iusas und Temet, in: Göttinger Miszellen 181 (2001) S. 89ff.