Thread: Das Grab als Vorschule der Literatur

Lolli2u maennlich

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Das Grab als Vorschule der Literatur

« Datum: 06.02.2025 um 14:50:02 »

Das Grab, so Jan Assmann 1983, hat den Verstorbenen zur ewigen Wohnstätte zu dienen, vor allem aber hat es das erfolgreiche Überdauern in dieser Ewigkeit zuvorderst überhaupt erst einmal zu ermöglichen, indem es das Andenken an den Verstorbenen bis zu seiner Rückkehr wachhält. Zu diesem Zwecke musste es seine "Leistung", die andenkenswürdigen Resultate seines Lebens, zur Darstellung bringen. Dafür benötigten die Bauherren jedoch Ausdrucksformen wie die bildende Kunst und die Schrift. Eben dadurch, so die These von Assmann, wurde das Grab zur Vorschule der Literatur. Obwohl das alte Ägypten ganz sicher über eine reiche mündliche Überlieferung verfügte, wurde das Grab durch die Anwendung von Kunst und Schrift zum Zeichen (sema) der Personalität des jeweils Verstorbenen. Spätestens in der Zeit des Narmer (ca. 3.030 v.C.) entfalten sich diese Zeichen zur Inschrift und damit zum Text. Bereits im Alten Reich (2.682–2.145) ist die Entwicklung der sepulchralen Selbst-Thematisierung von der bloßen Zeichen-Setzung hin zum Text deutlich vorangetrieben worden, bis zur Anfertigung von anspruchsvollen, poetisch ausgearbeiteten Lebensbeschreibungen im Umfang kleiner Bücher. Assmann stufte diese Grabtexte selbst zwar noch nicht als Literatur ein, legte zugleich aber überzeugend dar, dass die aufkommende Literatur im engeren Sinne aus diesen biographischen Grabinschriften und den immer differenzierter werdenden Identitätsrepräsentationen hervorgegangen sein wird. Ein wirklich interessanter Ansatz zur Entwicklung der altägyptischen Schrift.

Gruß in die Runde

Lolli

Quelle :

Jan Assmann: Das Grab als Vorschule der Literatur im alten Ägypten. In: Aleida Assmann, Christof Hardmeier: Schrift und Gedächtnis. Archäologie der literarischen Kommunikation 1, München 1983, S. 64–93 https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/1737/1/Assmann_Schrift_Tod_und_Identitaet_1983.pdf.