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   Der Kult des Chnum zu Esna (11)
  Autor/in  Thema: Der Kult des Chnum zu Esna
Lolli2u  maennlich
Member



Der Kult des Chnum zu Esna 
« Datum: 26.07.2023 um 13:08:00 »   

Dem Glauben der alten Ägypter zufolge saß der widderköpfige Gott Chnum alltäglich im Morgengrauen an seiner Töpferscheibe und formte aus Schweiß und Nilschlamm neue Menschen. Dieser altägyptische Glaube sei hier in seiner Entwicklung einmal in groben Zügen näher dargestellt. Vieles von dem, was hier im weiteren dazu ausgeführt wird, ist nur wenig bezeugt und daher unsicher.

Rund 60 km südlich von Theben (Luxor) befand sich die antike Stadt Seni (Esna), welche von den Ptolemäern Latopolis genannt wurde.

In der Zeit des Pharao Thutmosis I. (1504 - 1492) veranlasste dessen Mutter Seni-seneb, dass dem Kult des Gottes Chnum in ihrer Heimatstadt Seni (Esna) ein eigener Tempel errichtet wird. Dieser Bau wurde durch den Wesir Imhotep dann auch tatsächlich ausgeführt, sodass die Stadt Seni (Esna) als Ausgangspunkt des Chnum Kultes gelten darf. Das heutige Esna wurde in alter pharaonischer Zeit auch Tasni genannt, was lediglich soviel wie einen "Durchgangspunkt" oder eine "Station" meint. An dieser Stelle zogen bis dahin lediglich die Karawanen aus Kerma und der Sahara (Rosetjau) durch. Vermutlich darf der Name der Königin Chnumet (ca. 1879 - 1872) bereits auf den Gott Chnum zurückgeführt werden. Aus der Hieroglyphhe des Nemsetkruges in der Schreibung ihrer Namen lässt sich ein Bezug auf die Totengöttin Quebehut ableiten. Quebehut verfügte über das Reinigungswasser von Quebehu, mit dem die Eingeweide der Verstorbenen gewaschen wurden. Quebehu war die Tochter des Anubis und Schwester des Königs und galt den Ägyptern als Göttin des Trankopfers. In Kerma und dem späteren Nubien wurde die Gottheit Chnum unter dem Namen Amun verehrt. Vermutlich wurde die allgemein bekannte, typische Widdergestalt des Chnum daher erst nach der Eroberung von Kerma durch Thutmosis III. (1479 - 1425) etabliert. Anderen Quellen zufolge wurde Chnum bereits seit etwa 2.400 v. Chr. als widderköpfiger Gott in Menschengestalt dargestellt. Seine früheste Nennung geht auf die Hungersnotstele des Pharao Djoser (2665 - 2645) zurück, welche in ptolemäischer Zeit abgefasst wurde. In Kom Ombo wurde Chnum als Sobek verehrt und hatte mit der Göttin Hathor einen Sohn namens Chons. In Esna selbst bildete Chnum mit der Göttin Menhit und ihrem gemeinsamen Sohn Heka eine eigene Trias. Sein Beiname "Herr der Krokodile" gründete sich auf den Glauben, dass sein Schweiß am 1. Katarakt den Nil entspringen lassen würde.

Mit der Erbauung seines ersten Tempels stieg Seni (Esna) in der 18. Dynastie zur Hauptstadt des 3. oberägyptischen Bezirkes (Nomos) auf. Unter Ptolemaios III. Evergetes I. (246 - 221) wurde der alte Tempel des Chnum neu errichtet und erweitert. In römischer Zeit wurde diesem Chnum Tempel unter Kaiser Claudius (41 - 54 n. Chr.) dann ein großer Pronaos hinzugefügt, welcher bis heute erhalten blieb. An den Decken innerhalb, sowie auf den Außenseiten der Wände und in den Kehlungen der Giebel dieser Vorhalle, setzten alle römischen Kaiser bis einschließlich Decius (249 - 251) ihre Kartuschen, sobald sie am Mons Claudianus zum Pharao gekrönt worden waren. Leider wurden der in früh ptolemäischer Zeit errichtete Neubau und sein Naos bereits im Mittelalter abgetragen. Der alte Tempel des Chnum war inzwischen weitgehend verfallen wurde 1842 durch Mohammed Ali abgerissen. Lediglich die ungewöhnlich schöne Vorhalle aus römischer Zeit steht heute noch und gewährt mit ihren Inschriften einen Einblick in den Kult des Chnum. Serge Sauneron berichtet daher durchaus richtig : "Obwohl Chnum schon ein Gott der ältesten Zeit ist, kennen wir ihn am besten aus den Texten des Tempels von Esna, die nicht früher als in den beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderten zu datieren sind." Und fügt hinzu : "Mit den erstaunlich reichen Inschriften auf den Wänden und Säulen  befasst man sich erst seit wenigen Jahren. ... Die bedeutendsten Texte stammen aus der Zeit [der Pharaonen] Trajans und Hadrians (2. Jahrhundert n. Chr.), die spätesten wurden noch unter Decius (um 250 n. Chr.) angebracht. Für uns sind sie die letzte Sammlung hieroglyphischer Texte, die wir aus dem alten Ägypten kennen."

Dieser Aussage von Serge Sauneron sei hinzugefügt, dass die von dem Kaiser Marc Aurel (161 - 180) gesetzten Texte ebenfalls eine hohe geschichtliche Bedeutung haben, da sie mit seiner Expedition zu dem in Kom Ombo befindlichen Tempel des "Lunus" (Chons) in Bezug stehen, wie aus dem Bericht des Aelius Spartianus hervorgeht. Der Tempel des Chnum zu Esna gibt demnach also sowohl über das Pharaonentum der römischen Kaiser, als auch über den altägyptischen Schöpfergott Chnum umfangreiche Auskunft. Schön wäre es, wenn dieser bereits für die 3. Dynastie nachgewiesene Kult des Chnum hier eingehender erörtert werden würde, denn seine Schöpfungsgeschichte hatte in den Glaubensvorstellungen der alten Ägypter offenbar eine zentrale Bedeutung gehabt und ist zudem sehr konkret, griffig und gut nachvollziehbar.  

Lolli      

Quellen :

Sauneron, Serge : Le temple d'Esna, Vol. 1 - 4, Nos. 1 - 546, Kairo 1963 - 1975.

Hallof, Jochen : Le temple d'Esna, Vol. 5, Nos. 547 - 646, Kairo 2009.

Sauneron, Serge : Art. Chnum u. Art. Esna. In : Posener, Georges ; Sauneron, Serge ; Yoyotte, Jean : Lexikon der ägyptischen Kultur, Wiesbaden 1960, S. 46 u. S. 65.

Wilkinson, Richard ; Bertram, Thomas : Die Welt der Götter im Alten Ägypten, Darmstadt 2003.

Hölbl, Günther : Altägypten im Römischen Reich : der römische Pharao und seine Tempel, Mainz 2000.

Aelius Spartianus : The life of Antoninus Caracalla, Abschnitt VII. Aus : Magie, David : The scriptores Historiae Augustae, Vol. 3, Cambridge 1921.
http://www.public-library.uk/ebooks/18/79.pdf

Bonnet, Hans : Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, 3. Aufl. Berlin 2000.

Selket's Ägypten https://www.selket.de/aegyptische-goetter/chnum/

Nefers Hapiland https://nefershapiland.de/esna.htm (Esna)

Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Chnum (hnmw)

Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Chnumet (hnmw.t)

Das Grab der Prinzessin Chnumet https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/morgan1903/0064/scroll

Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Tempel_von_Esna (Pronaos)

Nile cruise Egypt - The city of Esna https://nilecruisebooking.com/the-city-of-esna/
« Letzte Änderung: 14.08.2023 um 14:49:49 von Lolli2u »


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Chontamenti  maennlich
Member



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #1, Datum: 27.07.2023 um 11:36:30 »   

War also das Chnum-Heiligtum auf Elephantine dem in Esna untergeordnet?
> Antwort auf Beitrag vom: 26.07.2023 um 13:08:00  Gehe zu Beitrag
Lolli2u  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #2, Datum: 27.07.2023 um 17:47:34 »   

Grüß dich Chontamenti !

Ehrlich gesagt kann ich dir darauf keine zuverlässige Antwort geben. Wenn die auf der Insel Sehel gesetzte Inschrift der Hungersnotstele tatsächlich auf ein Dekret des Djoser zurück geht - und dies nehme ich an - dann dürfte der Kult des Chnum dort schon in ältester Zeit bestanden haben. Gleiches könnte jedoch auch für Abydos, Theben und Esna gelten ... . Eine gute Frage also. Wenn du entsprechenden Hinweisen dazu begegnest, einfach hier einstellen.
> Antwort auf Beitrag vom: 27.07.2023 um 11:36:30  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #3, Datum: 28.07.2023 um 21:48:41 »   

Hallo, Lolli,

die Frage, ob der Text der Hungersnotstele in seinem Kern tatsächlich auf ein Dekret des Pharao Djoser zurückgeht, ist in der Ägyptologie kontrovers diskutiert worden. Die diesbezüglichen Stellungnahmen hat Carsten Peust in den Vorbemerkungen zu seiner Übersetzung der Hungersnotstele zusammengefasst. Er kommt zum Ergebnis:

Zitat:
Eine definitive Entscheidung über Autorschaft und damit auch Funktion des Textes muß vorerst offenbleiben.

Allerdings hält er die Argumente für eine Datierung in die Zeit des Djosers für "schwach". Eine Reihe von Einzelheiten, darunter die Gottessohnschaft Imhoteps, seien für das Alte Reich "undenkbar".

Dass der Text selbst - wie Du ja auch angegeben hast - erst in ptolemäischer Zeit entstanden sein kann, ist aber unstrittig.

Im übrigen sei noch auf die knappe, aber inhaltsreiche Darstellung zur Hungersnotstele von Joachim Friedrich Quack im Wissenschaftlichen Bibellexikon hingewiesen.

Viele Grüße,
Michael Tilgner
> Antwort auf Beitrag vom: 27.07.2023 um 17:47:34  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #4, Datum: 29.07.2023 um 22:48:44 »   

Hallo, Lolli,

"die allgemein bekannte, typische Widdergestalt des Chnum" ist weitaus älter als Thutmosis III.; sie lässt sich bis ins Alte Reich zurückführen, und zwar in die Zeit des Pharao Sahure (5. Dyn.). In Ludwig Borchardt, Das Grabdenkmal des Königs S’a'ḥu-Re', Bd. II: Die Wandbilder (Abbildungsblätter), Leipzig, 1913, Taf. 18 ist eine widderköpfige Gestalt abgebildet. Die Beschreibung gibt es im zugehörigen Text-Band, S. 35-36. Dass es sich tatsächlich um Chnum handelt, zeigt die Analyse der Beischriften durch Kurt Sethe, S. 94-95. Der Name des Gottes selbst wird nicht erwähnt, sondern nur die Titel, die seine Kultstätten nennen.

Viele Grüße,
Michael Tilgner
> Antwort auf Beitrag vom: 28.07.2023 um 21:48:41  Gehe zu Beitrag
Lolli2u  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #5, Datum: 30.07.2023 um 00:08:30 »   


Hallo Michael,

herzlichen Dank für den Auszug aus Ludwig Borchardt ! Das auf Tafel 18 veröffentlichte Relief aus dem Grabdenkmal des Pharao Sahure (ca. 2.471-2.458 v.Chr.) bezeugt sehr schön, dass die Verehrung des Chnum schon in sehr früher Zeit in weiten Teilen Ägyptens verbreitet gewesen sein muss und auch im königlichen Haus entsprechend Einzug gehalten hatte.  

Beste Grüße

Lolli
> Antwort auf Beitrag vom: 29.07.2023 um 22:48:44  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #6, Datum: 30.07.2023 um 16:54:16 »   

Hallo, Lolli,

dem kann ich nur zustimmen! Man hat den Eindruck, dass die Bedeutung Chnums im Alten Reich erheblich unterschätzt wird.

Auf der Webseite "Selkets Ägypten" - die ich ansonsten schätze - steht zu Chnum u.a.:

Zitat:
Erste Erwähnung des Namens - In den Pyramidentexten

Das stimmt, dass Chnum in den Pyramidentexten mehrfach genannt wird. Die Pyramidentexte tauchen zum erstenmal in der Pyramide des Unas (Ende der 5. Dyn.) auf, aber davor, schon in der 4. Dyn, hat sich ein Pharao nach Chnum benannt - nämlich Cheops, der manchen schon altägyptisch als #wfw "Chufu" bekannt ist! Dies ist aber nur eine Kurzfassung seines Eigennamens, der in der Langfassung so lautet: #(wj)=f w(j) $nmw, sehr schön in einem Graffito in seiner Pyramide zu sehen (LD II, 1c). Ich habe den Namen - übrigens von rechts nach links zu lesen - noch einmal in Standardhieroglyphen angefügt. Übersetzung: "Er schützt mich, Chnum" mit xwj "jemanden beschützen, behüten" (Wb III,244.17), mit ehrenvoller Voranstellung des Götternamens (Es gibt andere Ägyptologen, z.B. Hermann Ranke, die eine solche Voranstellung nicht für nötig erachten: "Chnum, er schützt mich"; das ändert aber kaum etwas an der Übersetzung).

Aber auch in der Zeit davor (2.-3. Dyn.) ist Chnum in Personennamen und Titeln belegt. Ich gebe jeweils ein Beispiel:

Auf einer Speisetischszene ist der Zimmermann Wab-$nmw Wab-Chnum ("Chnum ist rein (heilig)") genannt (Peter Kaplony, Kleine Beiträge zu den Inschriften der ägyptischen Frühzeit, Wiesbaden, 1966, S. 41 und Taf. 7).

Auf Steingefäßfragmenten, die in der Stufenpyramide Djosers gefunden wurden, ist der Titel Hm-nTr $nmw zu finden: "Gottesdiener/Priester des Chnum", den ein gewisser @tp.n(=j) Hetepeni trägt (PN I, 258.12) (die Abb. aus: P. Lacau, J.-Ph. Lauer, La pyramide à degrés, Bd. V: Inscriptions à l'encre sur les vases, [Le Caire], 1965, S. 16).

Im letzteren Fall wurde nur die Hieroglyphe E11 geschrieben:


E11

Sie hat die Lesungen bA "heiliger Bock" (Wb I, 414) oder $nmw "Chnum" (Wb III, 381.16-18).

Es ist daher nicht sicher, wie E11 zu lesen ist, wenn keine Lesehilfe dabei ist, z.B. W9 "Steingefäß mit Henkel" mit Lesung Xnm:


W9

Ist Chnum womöglich noch älter? Darauf könnte die berühmte Statue des Narmer-Pavians (Berlin, Neues Museum, Inv.-Nr. 22.607) hinweisen. Rolf Krauss hat vor einiger Zeit die Inschrift näher untersucht (Bemerkungen zum Narmer-Pavian (Berlin 22607) und seiner Inschrift, in: MDAIK, Bd. 50, S. 223-230 (1994)) und hat eine neue Umzeichnung angefertigt. "Nach eingehender Prüfung" der Inschriftenreste schließt er sich der "Deutung des fraglichen Tieres als Widder" an (S. 229).

Zitat:
Allerdings erschließt sich der Sinn der Inschrift noch nicht mit der von S c h o t t vorgeschlagenen Lesung der Widder-Hieroglyphe als Chnum. (...) Wegen dieser nicht beantworteten Fragen muß bis auf weiteres offenbleiben, ob hier die Widderhieroglyphe als Götter- oder Personenname oder überhaupt als Name zu lesen ist.

Wie auch immer: Es ist nicht zu bestreiten, dass Chnum schon in der Frühzeit eine erhebliche Rolle in den religiösen Vorstellungen der Alten Ägypter gespielt hat.

Viele Grüße,
Michael Tilgner
« Letzte Änderung: 31.07.2023 um 22:27:49 von Michael Tilgner »


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> Antwort auf Beitrag vom: 30.07.2023 um 00:08:30  Gehe zu Beitrag
Lolli2u  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #7, Datum: 12.08.2023 um 21:56:14 »   

Ich bin ganz derselben Auffassung.

Hinsichtlich der Reliefs und Inschriften im Pronaos des Tempels von Esna stellte das Institut Franc̣̣ais d'Archéologie Orientale dankenswerter Weise die Gesamtausgabe der von Serge Sauneron (1927-1976) und Laila Ménassa (1945-2020), sowie Jochen Hallof erarbeiteten Ergebnisse online :

Serge Sauneron : Le temple d'Esna : https://www.ifao.egnet.net/publications/catalogue/Temples-Esna/ (Gesamtausgabe im Volltext)

Der Pronaos des Tempels des Chnum zu Esna ist eine Fundgrube für alle Freunde der altägyptischen Spätzeit. Für mich stellt die Lesart und Übersetzung der römischen Kaisernamen zudem eine bewundernswerte Leistung dar.

Gruß Lolli  
« Letzte Änderung: 14.08.2023 um 14:51:48 von Lolli2u »
> Antwort auf Beitrag vom: 30.07.2023 um 16:54:16  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
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Re: Der Kult des Chnum zu Esna Esna_Nr_103_und_126_Leitz_Uebersetzung.pdf - 371 KB
« Antwort #8, Datum: 13.08.2023 um 14:05:35 »   

Eine ebenso bewundernswerte Leistung ist die Übersetzung zweier kryptographischer Inschriften im Esna-Tempel, publiziert von Serge Sauneron in Esna II - zu finden auf der von Lolli angegebenen Webseite (sie waren schon vorher von Champollion und Lepsius veröffentlicht worden). Es handelt sich um die Inschriften Nr. 103 (Esna II, S. 203-204) und Nr. 126 (S. 234-235). Ich habe sie noch einmal angehängt.

Das Faszinierende: Die Inschriften bestehen fast nur aus Widdern (Nr. 103) bzw. Krokodilen (Nr. 126)! Da befällt auch den passioniertesten Hieroglyphenfan eine gewisse Mutlosigkeit. Sauneron hat dazu folgendes bemerkt:

Zitat:
Der Text ist sicherlich nicht leicht zu entziffern; wir glauben jedoch nicht, dass seine Lektüre die Möglichkeiten moderner Gelehrter übersteigt. Die größte Schwierigkeit ergibt sich aus den Lücken, die den Gang der Inschrift unterbrechen und zwangsläufig mehrere isolierte Gruppen mangels Kontext unleserlich machen.

Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass sich manche Widder bzw. Krokodile in Details unterscheiden und doch auch andere Hieroglyphen zwischen ihnen zu finden sind. Tatsächlich hat ein Ägyptologe - nämlich Christian Leitz, jetzt Tübingen - die "heroische Aufgabe" übernommen und 2001 erstmals einen Übersetzungsvorschlag gemacht: Die beiden kryptographischen Inschriften aus Esna mit den Widdern und Krokodilen, in: Studien zur altägyptischen Kultur, Bd. 29, S. 251-276 (2001). Einen anderen Vorschlag hat Ludwig Morenz zur Widder-Inschrift vorgelegt: Schrift-Mysterium. Gottes-Schau in der visuellen Poesie von Esna - insbesondere zu den omnipotenten Widder-Zeichen zwischen Symbolen und Lesbarkeit, in: Jan Assmann, Martin Bommas (Hrsg.), Ägyptische Mysterien, München, 2002, S. 77-94.

Auch wer sich nicht so mit Hieroglyphen und der mittelägyptische Sprache auskennt, kann doch staunend diese akribisch erarbeiteten Deutungen zur Kenntnis nehmen! Nach Leitz handelt es sich um Hymnen an Chnum-Re. Die Krokodilsinschrift will Jochen Hallof allerdings Neith zuweisen: Der Tempel von Esna - ein Tempel für zwei Götter, in: Ben Haring, Andrea Klug (Hrsg.), 6. Ägyptologische Tempeltagung, Wiesbaden, 2007, S. 119-130, Zitat S. 129.

Die Übersetzung von Leitz aus seinem Aufsatz, S. 273 ist auch im Anhang.

Viele Grüße,
Michael Tilgner
« Letzte Änderung: 14.08.2023 um 21:14:12 von Michael Tilgner »
> Antwort auf Beitrag vom: 12.08.2023 um 21:56:14  Gehe zu Beitrag
Lolli2u  maennlich
Member - Themenstarter



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #9, Datum: 13.08.2023 um 19:05:32 »   


Zitat:
Da befällt auch den passioniertesten Hieroglyphenfan eine gewisse Mutlosigkeit
  X

Lieber Michael,

dem Tapferen winkt bekanntlich der Preis

Gruß Lolli
> Antwort auf Beitrag vom: 13.08.2023 um 14:05:35  Gehe zu Beitrag
Michael Tilgner  maennlich
Member



Re: Der Kult des Chnum zu Esna 
« Antwort #10, Datum: 14.08.2023 um 21:15:29 »   

Hallo, Lolli,

"Tapferkeit" reicht wohl nicht aus, um sich an solche Texte zu wagen. Ich zitiere aus den Bemerkungen, die Christian Leitz seinem Übersetzungsversuch vorangestellt hat (S. 252 der oben zitierten Arbeit):

Zitat:
Das Ergebnis ist das, was auch bei anderen kryptographischen Inschriften zu Tage tritt. Es handelt sich um durchaus konventionelle Texte, die zumeist in dem entsprechendem lokalen Umfeld häufige Ausdrücke enthalten. Dies liegt sozusagen im Wesen der ägyptischen Kryptographie; ein in der jeweiligen lokalen Theologie Bewanderter, der vergleichbare Texte studiert hatte, war in der Lage, derartige Inschriften zu lesen. Texte, die einmalige Inhalte vermitteln sollten, konnte man nicht nur mit Widdern oder Krokodilen schreiben; es wären keine kryptographischen, sondern nur völlig sinnlose Texte gewesen.

Durch die Arbeit am Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen - das ein Jahr später (2002) erschien und dessen Herausgeber Christian Leitz war -, bei der auch die Inschriften des Esna-Tempels verzettelt und erfasst wurden, entstand beim heutigen Bearbeiter der Zustand, "in der lokalen Theologie (d.h. des Esna-Tempels) bewandert zu sein", womit "ein Lese- und Übersetzungsversuch sinnvoll" anzugehen war.

Wie angeblich Einstein einmal gesagt haben soll: "Genie ist 10 % Inspiration und 90 % Transpiration." - Das gilt auch hier!

Viele Grüße,
Michael Tilgner
> Antwort auf Beitrag vom: 13.08.2023 um 19:05:32  Gehe zu Beitrag
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