Farbe und Dekoration einer Gruppe von Fayence-Gefäßen des Neuen Reiches haben zu ihrer Benennung als Nun-Schalen geführt: Die grün-blaue Färbung der Fayence symbolisiert den Urozean Nun, dem alles Lebern entstammt; als viereckiger Teich nimmt er in der Dekoration der Schaleninnenseite Gestalt an und bildet oft das Mittelmotiv. Weitere Dekorationselemente sind Pflanzen, vor allem Lotos und Papyrus, die das Thema der aus dem Urgewässer entstehenden Natur aufgreifen, das fortgeführt wird in Tierdarstellungen: Es finden sich Fische und Vögel für den Lebensraum des Wassers und der Luft, seltener treten auch Säugetiere wie Kälbchen oder Wüstentiere auf. Der Mensch ist nur auf wenigen Schalen abgebildet in Gestalt junger Mädchen, Musikantinnen oder Fischer. Wasser, aus dem alles Leben entsteht, Erde, auf der die Pflanzen wachsen und die Tiere leben, Luft, in der die Vögel fliegen - die Wiedergabe einer Welt im Kleinen findet ihren Abschluß in der Darstellung des Himmels, symbolisiert durch die Himmelsgöttin Hathor. Sie ist entweder in ihrer Gestalt als Kuh mit der Sonnenscheibe zwischen den Hörnern oder in ihrem Kultsymbol, dem Sistrum, wiedergegeben. So werden die Schalen zu einem Abbild des Kosmos: Was für den ägyptischen Tempel mit seinem "Heiligen See", seinen Pflanzensäulen und seinen Himmelsdarstellungen an den Tempeldecken im Großen gilt, nämlich ein steinernes Abbild der Welt zu sein mit allen Lebensformen der Natur, läßt sich in einer Objektgruppe der Kleinkunst en miniature erkennen. Daraus erklärt sich auch die Verwendung der Schalen im Kontext des Tempelkultes: Vor allem in Heiligtümern der Göttin Hathor wurden sie gefunden und dienten zur Darbringung einer Trankspende. Ihre Verwendung als Grabbeigabe hängt gleichfalls mit dem Thema ihrer Dekoration zusammen: Der Verstorbene versteht sich als Teil des Kosmos und möchte integriert werden in den zyklischen Ablauf der Natur, die ihm ein Weiterleben nach dem Tod verheißt, die Zugehörigkeit zum ewigen Kreislauf des Lebens. Hauptmotiv der Nun-Schalen zu Beginn der 18. Dynastie ist die Lotospflanze mit ihren Blüten und Knospen; sie findet sich als einzige Dekoration auch schon auf kleinen FayenceSchalen des Mittleren Reiches, die man als Vorläufer dieser Objektgruppe sehen kann. Mit dem Auftreten differenzierterer Innenbilder mit der Darstellung von Tieren oder Menschen wandert der Lotos auf die Unterseite der Schalen. Ein Kennzeichen der Dekoration der Nun-Schalen in der ersten Hälfte der 18. Dynastie scheint eine deutlich symmetrische oder strahlenförmig von der Mitte ausgehende Anordnung der Pflanzen und Tiere zu sein. Neben den Lotospflanzen ist eine bestimmte Fischart als häufigstes Motiv der Dekoration von Nun-Schalen anzutreffen: Es handelt sich um die Tilapia, die als Maulbrüter eine dem Lotos vergleichbare symbolische Bedeutung besaß. "Der von sich selbst entstand" ist der Beiname dieses Fisches, dessen Brutverhalten entscheidend war für seine religiös-theologische Interpretation: Als Garant der Wiederbelebung konnte er zur Erscheinungsform des Sonnengottes werden, worin er sich mit dem Lotos trifft.
Quelle: Schoske / Kreißl / Germer, SAS 6 - "Anch" - Blumen für das Leben, München 1992
Eingestellt durch: | manetho (18.01.2004) |
Bearbeitet durch: | manetho (18.01.2004) |
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