zunächst zum ersten Teil der Inschrift (1. Zeile bei Seschen): Die hieroglyphische Darstellung ist bei Euch beiden gleich; ich wiederhole sie daher nicht.
Htp-dj-nsw n Wsjr-%kr Hr.j-jb STy.t=f nTr aA nb p.t HqA D.t m Jwnw "Ein Opfer, das der König für Osiris-Sokar gibt, der inmitten seines "Schetit"-Heiligtums ist, den großen Gott, Herrn des Himmels, Herrscher der Ewigkeit in Heliopolis"
dj bzw. rdj - mittelägyptisch mit d, nicht D (Wb II, 464; Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, § 289, 1 sowie weitere Grammatiken). Die Lesung Dj bzw. rDj ist altägyptisch (Sprache der Pyramidenzeit).
Wsjr-%kr "Osiris-Sokar" ist nur ein Gott; das ergibt sich aus dem folgenden dj=f. Das habt Ihr "unbewusst" richtig gemacht. Das Phänomen der Götterverbindung (Synkretismus) ist im Alten Ägypten weit verbreitet; ein bekanntes Beispiel ist Amun-Re. Die Verbindung Osiris-Sokar ist laut Lexikon der Götter und Götterbezeichnungen, Bd. II, S. 563 (= LGG II, 563) nur einmal in einer (anderen) Htp-dj-nsw-Formel belegt.
STy.t "Heiligtum des Gottes 'Soker'-Osiris, sein Grab u.ä." (Wb IV, 559.4-5) - dort ist auch die Schreibung mit N16 aufgeführt, hier mit der Variante N17
Hr.j-jb STy.t "Beiname des Soker, auch des Osiris" (Wb IV, 559.11-12; LGG V, 348) - Hr.j-jb STy.t=f "der inmitten seines Schetitheiligtums ist" (LGG V, 349)
Wsjr-%kr m STy.t "Osiris-Sokar in der Schetit" (LGG II, 564) - nur ein Beleg im Neuen Reich - %kr m STy.t "Sokar im Schetitheiligtum" (LGG VI, 674)
HqA D.t "Herrscher der Ewigkeit" (Wb III, 172.19-20) - dieses Epitheton (Beiwort) ist unendlich oft - ich will nicht übertreiben -, also ziemlich oft in Inschriften belegt, wohingegen HqA.t D.t nicht belegt ist, zumindest gibt es keinen Eintrag an der entsprechenden Stelle im LGG V, 552. Was ist also mit dem .t? Hier greift die Bemerkung von Jansen-Winkeln, die Seschen zitiert hat. - Die Schreibung mit .t ist für die Spätzeit belegt (DZA 27.368.440). Ein Beispiel wird auch in LGG V, 531 angegeben.
Jwnw "Heliopolis" (Wb I, 54)
HqA D.t m Jwnw "der Herrscher der D.t-Zeit in Heliopolis" (LGG V, 532)
Das Determinativ hinter mnx.t habe ich als S113 (extended library) gesehen, eine Variante zu S27 "unfertiges Tuch mit zwei Kettfäden".
dj=f mw n bA=t Htp n XAt(=t) mnx.t n saH=t "Er möge geben: Wasser deinem Ba, Opfergaben (deinem) Leichnam (und) Kleidung deiner Mumie"
=t Suffixpronomen 2. Person Singular feminin
Strittig ist nur das letzte Wort:
saH "Mumie" (Wb IV, 52.1-2) - Das Wort hat mehrere Bedeutungen. Wenn das Determinativ fehlt, ist es gelegentlich schwierig zu entscheiden, welche Bedeutung zu wählen ist. Da hilft nur der Kontext: In diesem Fall ist es der Hinweis bei Wb IV, 52.2: "Mumie des Menschen, bes. neben bA 'Seele', XA.t 'Leichnam' u.ä."
Es ist eine Reihung: A für dein B, daher habe ich =t bei XA.t ergänzt. Es handelt sich offensichtlich um eine "Haplographie": Zwei gleiche Zeichen aufeinander folgender Wörter werden nur einmal geschrieben (siehe: Alan H. Gardiner, Egyptian Grammar, § 62).
Diese Art von Bitte wird in Winfried Barta, Aufbau und Bedeutung der altägyptischen Opferformel, 1968, S. 175, 188 (Fußnote 8) und 206 für die 21./24. bzw. 25. Dyn. erwähnt.
Eine schöne Darstellung für "Wasser deinem Ba" findet sich auf einer Stele des August-Kestner-Museums in Hannover (Inv.-Nr. 2933), auf der die Bas eines Ehepaares zu sehen sind, die aus einem Becken Wasser trinken.
Normalerweise wird der Empfänger / die Empfängerin durch n kA n NN "für den Ka des / der NN" eingeführt. Winfried Barta vermerkt in seinem bereits zitierten Werk Opferformel, S. 252: Zitat:
Daß Name und Titel unvermittelt den Bitten folgen, ist im Alten Reich besonders häufig, später seltener zu beobachten.
Das heißt: tritt auch noch später gelegentlich auf.
Hs.t m Xnw n Jmn *Aj-As.t-jm=w sA.t n PA-xrj mAa(.t)-xrw r nHH "Sängerin im Innern des Amun Tschai-Aset-imu, Tochter des Pacheri (Pacharui), gerechtfertigt bis in Ewigkeit."
Wie kommt man zu dem Titel?
[1] Hs.t "Sängerin" (Wb III, 165)
"in dem späten Frauentitel (ob hierher?)" (Wb III, 165.16)
[2] Im TLA findet man in der Folgezeile: Xs.t-n.t-Xnw-n-jmn "Sängerin vom Innersten des Amun"
[3] Wir können unsere Schreibung mit der Präposition m getrost als Variante betrachten, aber das Wort in der Mitte soll Xnw sein? - Ja, wie ein Blick in Wb III, 369 zeigt; dort ist sie für die Spätzeit angegeben. Zudem lesen wir dort: Xnw "Wohnort, Residenz (...) eines Tempels" (Wb III, 369.19).
Wir können also den Frauentitel Wb III, 165.16 mit der Bezeichnung des Frauentitels im TLA identifizieren. Aber in unserem Titel wird Xn(w) mit den "laufenden Beinen" D54 determiniert, das ist die Schreibung für das Verb Xn "herantreten" (Wb III, 373.9), und zwar in der Bedeutung "an eine Person", auch mit Präposition n.
[4] An dieser Stelle hat man zwei Möglichkeiten: (a) Der Scheiber hat einen Fehler gemacht; es ist dieser Frauentitel. (b) Es ist nicht dieser Frauentitel. Es gibt aber eine Schwierigkeit mit Xn "herantreten", denn das Wb hat hervorgehoben: "bes. dem König nahe kommen dürfen", nicht aber einem Gott! Was soll aber dann diese Stelle bedeuten?
Soweit kommt man mit den üblichen Bordmitteln. Nun zum Zugabenteil:
[5] Die Studie Spätmittelägyptische Grammatik der Texte der 3. Zwischenzeit, 1996, von Karl Jansen-Winkeln beschäftigt sich mit den Eigenarten der späten Texte. Er hat einen Abschnitt dem Thema "Fehler" gewidmet (S. 27-30) und trifft folgende Unterscheidungen: Zitat:
a) Falsche Zeichen (...) b) Korrekturen (...) c) Verschleppte Lautzeichen (...) d) Verschleppte Determinative (...) e) Graphische Umstellungen (...) f) Auslassungen (...) g) Überflüssiges (...) h) Verschreibungen aus dem Hieratischen (...) i) Kontamination zweier Wörter (...) j) Scheinbare Reduplikation (...)
Ich meine, dass hier ein Beispiel für den Fall (i) "Kontamination zweier Wörter" vorliegt, nämlich der Wörter Xnw "Wohnort, Residenz" und Xn "herantreten".
[6] Der TLA-Eintrag zum Frauentitel nennt noch zwei Artikel aus GM ("Göttinger Miszellen"). Der Artikel von Erhart Graefe, Die Adoption ins Amt der Hzwt njwt Xnw nj jmnj und der Smswt dwAt-nTr (zu Ritners Artikel in GM 164,1998,85ff), in: GM, Heft 166, S. 109-112 (1998) enthält die Information, dass Graefe in einem Dossier bereits 95 Einträge zu diesem Titel gesammelt hat; die Anzahl der Personen wird vermutlich aber geringer sein.
Aus alldem schließe ich, dass es sich um diesen Titel handelt, trotz der fehlerhaften Schreibung.
sA.t "Tochter" (Wb III, 411) - Für die Spätzeit ist dort die Schreibung mit zwei t sowie der Anschluss des Vaternamens mit dem indirekten Genitiv angegeben. Beide t sind bei den Hieroglyphen zu schreiben.
PA-xr.j "der Syrer" (PN I, 116.17) - offensichtlich ein Ausländer. Wb III, 232.13: xArw.j, xrj "Syrer". Die letztere Variante interpretiert die Zeichen als "syllabische Schreibung" für ausländische Namen und Wörter.
mAa(.t)-xrw "gerechtfertigt" - ich habe dies auf die Besitzerin der Kartonnagehülle bezogen, nicht auf den Vater.
r nHH in Verbindung mit mAa-xrw ist meines Wissens nicht im Wb aufgeführt. Vielleicht zu ergänzen zu (anx.tj) r nHH "sie möge leben bis in Ewigkeit".
Nachtrag: Es handelt sich um die Kartonnagehülle mit der Mumie der Tjayasetimu (British Museum EA 20744).
Die Kartonnagehülle ist mit einer dunklen Substanz bedeckt. Erst 1975 wurden Gesicht, Füße, rechter Unterarm und die Inschrift gereinigt. Seither ist die Identität der Mumie bekannt.
CT-Sans zeigen, dass die Mumie deutlich kleiner ist als die Kartonnagehülle. Tjayasetimu starb sehr jung; die Zahnentwicklung war noch nicht abgeschlossen. Geschätztes Alter: 7 +/- 3 Jahre.
Zum Titel: Lange Zeit glaubten Ägyptologen, dass diese Priesterinnen – wie auch die "Gottesgemahlinnen" – Jungfrauen gewesen seien. Es gibt jedoch Hinweise, dass zumindest einige von ihnen verheiratet gewesen sind.
Zur Bitte "Wasser für deinen Ba, Opfergaben für (deinen) Leichnam, Kleidung für deine Mumie": Diese nur selten vorkommende Bitte ist vor allem für den Norden Ägyptens belegt, in der Region des Fayums. Kommt Tschai-Aset-imu von dort? War sie Sängerin z.B. im Tempel des Amun in el-Hibeh statt in Karnak?